New York:Kreative Stadt der Zukunft

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New York will mehr Hersteller von Computerspielen in die Stadt ziehen: Kein anderes Segment der Unterhaltungsindustrie besitze solchen Glamour.

Alex Rühle

Während man sich in Berlin die Frage stellt, ob Kunst und Kultur die Stadt denn nun so entscheidend prägen, wie man allerorten glaubt, stellen sich andere Städte schon ganz andere Fragen. Egal ob Dubai, London oder Shanghai - Kultur gilt längst als Motor einer Stadt. Und zwar nicht nur als Sinn- und Identitätsstifter. Knallharte Volkswirtschaft schleicht sich da in die Kulturdebatten. Großes Vorbild: New York City.

New York - wie es die Macher des Computerspiels GTA 4 sehen. (Foto: Foto: Rockstar Games)

Was ist beispielsweise wichtiger für New Yorks Wirtschaft, die Wall Street oder die Clubs und Bars und Galerien? Man muss schon gute Gründe haben, wenn man auf eine derartige Frage antwortet, it's the entertainment, stupid. Das klingt erstmal mutig, in New York ist die größte Wertpapierbörse der Welt zu Hause, ihr Handelsvolumen beträgt etwa 45 Milliarden US-Dollar. Am Tag.

Die Urbanistin Elizabeth Currid aber behauptet in ihrem Buch "The Warhol Economy - How Fashion Art & Music drive New York City", dass die Wirtschaft längst nicht mehr den Stellenwert für die Stadt habe wie noch vor 20 Jahren. Wirtschaftlich viel wichtiger seien heute die Kunstszene, die Medien, der Entertainmentzirkus. Zum einen, weil nur hier die Jobzahlen explodieren (in den letzten fünfzehn Jahren haben sich die Stellen an den Theatern, im Film, beim Fernsehen mehr als verdoppelt). Wichtiger aber: Kunst, Entertainment, Mode wurden in dieser Stadt längst indirekt zum Motor der Geldvermehrung.

Früher schlossen Manager ihre Deals bei einer Runde Golf und einem Glas Martini ab. Heute werden die großen Deals bei Galerieeröffnungen und Modeschauen getätigt. Diese Events verwandeln Kreativität in Geld und Karrieren. Currid belegt das anschaulich an einem Beispiel aus der Unterhaltungsindustrie selbst, am Erfolg der Band Clap Your Hands And Say Yeah, einer Indie-Band aus New York, die noch 2005 kein Mensch kannte, die aber im Gegensatz zu Hunderten anderer amerikanischer Indie-Bands das Glück hatte, ab und zu im "Pianos" in der Lower East Side auftreten zu dürfen.

Dort schaut auch David Bowie gerne vorbei. Bowie erzählte bei einer Galerieeröffnung von diesen jungen Typen, schon schrieb der Rolling Stone von der "heißesten Band 2005", das einflussreiche New Yorker Onlinemagazin Pitchfork Media jubilierte, der Rest ist Popgeschichte.

Natürlich, New York lebte immer schon davon, dass hier die wichtigsten Kunstinstitutionen Amerikas zu Hause sind - das Metropolitan Museum of Art, das Museum of Modern Art, das New York City Ballet, die Metropolitan Opera, die Theater am Broadway. Für Currid gleichen diese Institutionen einer Art Sparbuch. Klar braucht man sie im Portfolio, das große Geld aber macht man mit Risikoinvestitionen, sprich: Indem man auf die richtigen Stars setzt. Und der Motor ist das Gefühl, hier muss man sein, wenn man nichts verpassen will.

Currid suggeriert mit diesem Patchworkporträt aus Nightclubs, Galerien, Stars und Starlets, dass die Urbanisten bislang in ihren Theorien die immense ökonomische Unwucht der kreativen sozialen Szene unterschätzt haben, den Current die "Warhol Economy" nennt und den die Stadt eben sträflich ignoriere. Der Vorwurf ist nicht ganz gerecht. Gerade hat die Stadt New York selbst eine Studie erstellen lassen, wie man mehr Hersteller von Computerspielen in die Stadt ziehen könne, schließlich gebe es kein anderes Segment der Unterhaltungsindustrie, das heute solchen Glamour besitze und auch nur annähernd so schnell wachse.

Orte, an denen man leben möchte

Das stimmt. Die Computerspiele sind für die Spieleindustrie, was China für den Weltmarkt ist - Motor und Allesverdränger zugleich. Die Wachstumsraten liegen bei 10 Prozent jährlich, Tendenz steigend. Die Spieleindustrie ist dabei, Hollywood abzuhängen, was den Umsatz angeht. Die Studie klingt geradezu alarmistisch. New York liege bislang hinter Städten wie Seattle, Los Angeles und Vancouver zurück, im drängenden Tonfall wird eine Art Masterplan angemahnt.

Es fehlten Studiengänge für Spieleentwicklung, es fehlten die großen auratischen Namen, die sich hier bislang nicht angesiedelt haben, und es fehlten Techniker, weil die guten Programmierer bislang zur Wall Street abwandern. Vor allem aber, und da trifft sich die Studie mit Currids Buch, habe die Stadt, habe Bürgermeister Bloomberg bislang nicht verstanden, welche Weichen gestellt werden müssen.

Currid und die Studie vertreten also eine Art urbanistische Trickle-Down-Theorie: Das Wichtigste für eine Stadt sei es heute, die zwei, drei Prozent der Bürgerschaft anzusiedeln, die aufmerksamkeitsökonomisch den großen Reibach machen, dann wird der Rest auch davon profitieren. Die kreativen Köpfe, die tastemakers and gatekeepers, treffen sich in den Clubs und bei Eröffnungen, befruchten einander und produzieren dadurch eine neue Kultur.

Das wiederum zieht die Touristen an, die von dem Versprechen nach New York gelockt werden, dass sie hier dabei zusehen können, wie Kultur entsteht, statt einfach nur deren Kopien zu konsumieren. Verbreitet sich der Ruf dann nur lange genug, zieht die Kultur schließlich auch das begehrte "Creative Capital" an, das kreative Kapital der jungen Professionellen zwischen 20 und 40, die moderne Firmen durch Innovation und Ideen reich machen.

Schützenhilfe bekommt Currid übrigens von dem Architekten Santiago Calatrava, der in dieser Woche in einem Interview sagte, die Stadt der Zukunft werde, anders als die Stadt des 20. Jahrhunderts, nicht mehr quantitativ wachsen, sondern nur mehr qualitativ. Seien die Städte in der Moderne unkontrolliert gewuchert, werde sich im 21. Jahrhundert die Stadt "mit sich selbst versöhnen, die Infrastruktur, die Transportmittel, all das wird sich verbessern, die Städte werden wiedergeboren werden als Orte, an denen man gerne leben möchte". Lagos, Peking oder São Paolo kann er damit nicht gemeint haben.

© SZ vom 7.6.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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