Napster:Im Netz spielt die Musik

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Statt die Verletzungen des Urheberrechts zu bejammern und mit juristischen Mitteln um sich zu schlagen wie mit einer Fliegenklatsche im Mückenschwarm, sollte die Musikindustrie die technischen Strukturen des Internets nutzen.

Patrick Illinger

Längst vorbei ist die Zeit, in der wir eine schwarze Vinyl-Platte aus der Hülle zogen, behutsam den Staub herunter wischten und eine Nadel auf die Rillen der mit 33 Umdrehungen pro Minute rotierenden Scheibe sinken ließen. Musik von heute ist digital. Sie hat sich aller Hüllen und Tonträger entledigt und ist zur beliebig kopierbaren Tauschware geworden. Ihre Verbreitung ist unbeherrschbar, zum Entsetzen der Urheber.

Napster holt zum Gegenangriff aus. (Foto: Screenshot: Napster)

Wenn in der kommenden Woche die Computermesse CeBIT in Hannover ihre Türen öffnet, dann wird wieder einmal deutlich, wie sich das Computertreffen von einst zu einer die Massen lockenden Multimedia-Show gewandelt hat. Hunderttausende werden die neuen Fetische und Spielzeuge der Digitalwelt bestaunen: handflächenkleine Computer im Leopardenlook, Armbanduhren mit Kopfhöreranschluss, flache Fernseher, die wie Bilder an der Wand hängen, Handys am Halsband und Fingerschmuck, der bei Anruf leuchtet.

Fast alles, was auf der CeBIT zu sehen ist, dient einem Zweck: der grenzenlosen Kommunikation. Dabei geht es nicht nur um elektronische Post oder Telefonate übers Handy. Alles, was sich in Bits zerlegen lässt, jede Form von geistigem Gut - Bilder, Musik, Buchtexte, Filme - wird hemmungslos und milliardenfach über das Internet verschickt. Das Urheberrecht findet in diesem System kaum Beachtung. Die klassische Unterhaltungsindustrie sieht sich zu ihrem Entsetzen plötzlich mit einer weltumspannenden digitalen Anarchie konfrontiert.

Unzählige junge Firmen der so genannten New Economy mussten bereits schmerzvoll erkennen, dass das Internet sich mit atemberaubendem Tempo zum Massenmedium mausert, in dem das Massenpublikum jedoch sehr wählerisch ist. Das Grundprinzip des Internets, der freie, unbehinderte Zugang und das ungefilterte Austauschen von Information, lässt sich nicht mit Gewalt in ein riesiges Kaufhaus verwandeln.

Nach dem Schwächeanfall der New Economy sind nun auch manche Geschäftsmodelle der Old Economy in Gefahr, darunter vor allem die der Musikindustrie. Mit einer Atombombe verglich ein Vertreter des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft die Erfindung von MP3, einem System, das Musikstücke in handliche digitale Päckchen presst. Das Datenformat MP3, das die Musikindustrie vor einigen Jahren hochmütig ablehnte, die Bedeutung verkennend, hat eine unvermeidliche Entwicklung nur beschleunigt.

Die Schlacht gegen Napster

In der vergangenen Woche errangen die fünf großen Musiklabels, Vivendi Universal, Sony, Time Warner, EMI und BMG, die 90 Prozent der Weltmarktes beherrschen, einen juristischen Sieg gegen den illegalen Tausch von nicht lizenzfreier Musik. Vor Gericht erwirkten die Branchenriesen, dass die populäre Musiktauschbörse Napster keine kommerziellen Musikstücke mehr vermitteln darf. Doch der über Monate wie von Rache besessene Kampf der Musikindustrie gegen die Tauschbörse mit ihren zuletzt mehr als 60 Millionen Mitgliedern (mehr als zwei Millionen davon in Deutschland) war nutzlos. Denn das Ende von Napster steht sowieso bevor. Seitdem sich die Bertelsmann-Tochter BMG bei Napster eingekauft hat, ist absehbar, dass die bislang gebührenfreie Website in ein kommerzielles Angebot verwandelt wird. Dann wird Napster kein Stachel im Fleisch der Industrie mehr sein, sondern nur ein weiterer Kaufladen im Internet, der täglich fürchten muss, dass seine Kunden die gleiche Ware um die Ecke kostenlos bekommen.

Reihenweise bilden sich weitere Netzgemeinschaften, die das von Napster erdachte Tauschsystem perfektionieren. Systeme wie "Gnutella" und "Freenet" kommen ohne einen Zentralrechner aus, der die Musikdateien verwaltet. Somit ist kein Ziel für juristische Angriffe mehr gegeben.

Gut gemeint, aber sinnlos war auch der Gesetzentwurf, dem das EU-Parlament im vergangenen Monat zustimmte. Zu Recht wird das gängige Urheberrecht auf die Digitalwelt übertragen. Doch sind "Kopien zum privaten Gebrauch" weiterhin erlaubt. Und das ist genau der Weg zum illegalen Tausch, wie Napster ihn eingeführt hat. Vernünftiger ist die deutsche Regelung, die zumindest einen Teil der Urheberrechtsverletzungen ausgleicht. Ähnlich der Abgabe auf Fotokopiergeräte müssen Hersteller von digitalen Vervielfältigungsmaschinen wie CD-Brennern eine Abgabe für jedes in Deutschland verkaufte Gerät leisten. Der Erlös wird über Verwertungsgesellschaften wie die Gema an die Urheber gezahlt.

Hilfloses Gejammer

Die Versuche der Plattenindustrie, das Problem an der Wurzel zu packen, zeugen von Hilflosigkeit und nicht davon, dass eine Branche sich mit Ideenreichtum auf neue Geschäftsmodelle und Vertriebswege umstellt. Unter dem Kürzel SDMI (Secure Digital Music Initiative) versuchen Musik- und Computerfirmen Techniken zu entwickeln, um Musikstücke entweder zu verschlüsseln oder mit digitalen, unhörbaren Wasserzeichen zu versehen. Doch solche Codesysteme werden erfahrungsgemäß schnell von Hackern geknackt. Und digitale Wasserzeichen ergeben nur Sinn, wenn sie auf die Spur desjenigen führen, der das geschützte Werk illegal verbreitet hat. Das funktioniert nur, wenn jeder Kunde beim Kauf seine Identität nachweist - kein tragfähiges Modell.

Statt die Verletzungen des Urheberrechts zu bejammern und mit juristischen Mitteln um sich zu schlagen wie mit einer Fliegenklatsche im Mückenschwarm, sollte die Musikindustrie die technischen Strukturen des Internets nutzen. Keiner der fünf Branchenriesen hat bislang eine attraktive Plattform im Internet gebaut, auf der kommerzielle digitalisierte Musik legal zum Herunterladen angeboten wird - zu attraktiven Preisen und mit komfortabler Technik. Und kein kommerzieller Anbieter ist bislang auf die Idee gekommen, Musik im MP3-Format auf herkömmlichem Weg verbilligt anzubieten, womöglich sogar nach Kundenwunsch individuell zusammengestellte Musikstücke. Das Tauschen von Songs im Internet ist mühsam, abgesehen von den Telefongebühren, sodass zweifellos ein Markt für preisgünstige MP3-Scheiben besteht, neben der klassischen CD.

Dass Internetnutzer durchaus bereit sind, für Inhalte zu bezahlen, wenn diese nützlich und attraktiv sind, ist längst bewiesen. Doch statt zu erkennen, dass der Tausch von Musik im Internet auch geeignet ist, neue Interpreten bekannt zu machen, versucht die Industrie krampfhaft, an ihren alten, zum Teil überholten Geschäftsmodellen festzuhalten.

Daher stehen sich im Internet auch weiterhin zwei Ideologien gegenüber: Die Unterhaltungsindustrie will totale Kontrolle, die Internet-Nutzer völlige Freiheit. Die einen haben das Recht auf ihrer Seite, die anderen die technische Realität. Wer in diesem Streit als Sieger hervorgehen will, muss wissen, dass das Internet einst erfunden wurde, um den Atomwaffen zu trotzen. Rechtsanwälten, gleich welcher Zahl und Güte, wird es ebenso widerstehen.

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