Mozilla-Chefin Mitchell Baker:"Programmierer sind wie Tänzer"

Lesezeit: 5 min

Mit dem Firefox hat Mozilla den erfolgreichsten freien Browser geschaffen. Mozilla-Chefin Baker über den angeblichen Kampf mit Google und ihre frustrierenden Erfahrungen mit Microsofts Internet Explorer.

Alexander Stirn

Die Mozilla-Stiftung ist angetreten, die Welt der Software und des Internets zu revolutionieren. Ihre Programme, darunter der Webbrowser Firefox und das Mail-Programm Thunderbird, sind nicht nur kostenlos, sie werden auch zu einem großen Teil von einer ehrenamtlich arbeitenden Entwicklergemeinschaft geschrieben. Mitchell Baker war von Anfang an dabei. Heute leitet die Juristin die Mozilla-Foundation.

Mitchell Baker, Leiterin der Mozilla-Foundation (Foto: Foto: Mozilla Foundation)

sueddeutsche.de: Mrs. Baker, vor zehn Jahren ist das Mozilla-Projekt gestartet. Firefox hat seitdem beständig zugelegt, doch noch immer liegt sein Marktanteil deutlich hinter dem des Internet Explorers. Wann werden Sie die Nummer 1 sein?

Mitchell Baker: (lacht.) Das weiß ich nicht. Und ehrlich gesagt, wollen wir den Markt gar nicht dominieren.

sueddeutsche.de: Träumt nicht jedes Unternehmen davon, irgendwann einmal Marktführer zu sein?

Baker: Mozilla ist da anders. Hätten wir einen Marktanteil von 80 Prozent, würden viele unserer Unterstützer nervös werden. Sie würden sich fragen: Tut Mozilla noch das Richtige? Oder ruht es sich etwa darauf aus, der Erste zu sein?

sueddeutsche.de: Also lieber der ewige Zweite?

Baker: Am allerliebsten hätten wir einen Marktanteil, der uns hilft, das Web voran zu bringen. Wenn wir heute eine neue, innovative Idee haben, können wir die oftmals nicht umsetzen - weil wir Rücksicht darauf nehmen müssen, dass die Seiten auch auf Microsofts Internet Explorer laufen sollen. Und dessen ältere Versionen sind nun mal enorm rückständig. Das ist frustrierend.

sueddeutsche.de: Wie ließe sich diese Frustration bekämpfen?

Baker: Ein Marktanteil von 40 oder 50 Prozent würde uns sicher helfen, effektiver zu arbeiten. Dann gäbe es so viele Firefox-Nutzer, dass die Entwickler von Webseiten bei künftigen Innovationen auch mitziehen und nicht nur auf den Internet Explorer schielen würden.

sueddeutsche.de: Wie werden die Menschen in Zukunft das Internet nutzen?

Baker: Wir werden viel weniger tippen und viel weniger Text lesen. Mobile Geräte werden die Norm sein, Webseiten, wie wir sie heute kennen, werden durch personalisierte Informationen ersetzt, die aus vielen unterschiedlichen Quellen kommen.

sueddeutsche.de: Das klingt nach Seiten, wie sie "Facebook" und ähnliche soziale Netzwerke schon heute anbieten?

Baker: Es wird weit darüber hinaus gehen, denn die Seiten werden automatisch Wissen über mich enthalten. Interessiert es mich zum Beispiel, wo mein Kind gerade ist, bekomme ich die Informationen - zum Beispiel als Video. Alles wird in hohem Maße personalisiert sein

sueddeutsche.de: Braucht man dann überhaupt noch einen Browser?

Baker: Sie werden irgendetwas brauchen. Und ich hoffe, es ist nicht so, wie wir es heute kennen.

sueddeutsche.de: Auf dem mobilen Markt hinkt Firefox der Konkurrenz ziemlich hinterher.

Baker: Sagen wir so: Mozilla hat gerade erst begonnen, sich darauf zu konzentrieren. Wir haben ein eigenes Team fürs mobile Web aufgebaut, und wir führen sehr engagierte Diskussionen, wie Lösungen in Zukunft aussehen könnten. Im nächsten Monat werden wir hoffentlich einen ersten Fahrplan vorstellen.

sueddeutsche.de: Warum so spät?

Baker: In der Vergangenheit haben wir immer gesagt: Die Zeit ist noch nicht reif. Aber mittlerweile haben sich die Geräte enorm weiterentwickelt. Wir wollen, dass die Leute ihre Internetseiten mit einem mobilen Firefox genau so anschauen können, wie sie es von zuhause gewohnt sind. Und sie sollen ihren Firefox wie gewohnt anpassen können.

sueddeutsche.de: Google, Ihr direkter Nachbar im kalifornischen Mountain View, baut seine neue Mobilfunk-Plattform ohne Firefox auf. Sind Sie sauer?

Baker: Wir haben ein gutes Verhältnis zu Google.

sueddeutsche.de: Finanziell sicherlich: Rund 85 Prozent ihrer Einnahmen kommen von Google. Der Suchmaschinenkonzern zahlt viele Millionen dafür, dass er auf der Startseite und in der Suchleiste von Firefox auftaucht.

Baker: Unsere Beziehung zu Google ist sehr ungewöhnlich - und viele mögen es vielleicht nicht glauben: Aber die Einnahmen und die Entwicklung von Produkten sind bei uns strikt getrennt. So kann Google nicht diktieren, was mit Firefox passiert. Und wir können andererseits Google nicht vorschreiben, welchen Browser sie in ihren Handys einsetzen sollen.

sueddeutsche.de: In den Augen von Kritikern kommt die Entwicklung des Mozilla-Mailprogramms Thunderbird gerade deshalb nicht voran, weil es eine Konkurrenz zu Googles E-Mail-Service ist.

Baker: Dazu kann ich nur sagen: Nein, nein, nein und nein. Ich würde mir lieber eine neue Einnahmequelle neben Google suchen, als eine Community, die durch ein schlechtes Produkt zerstört wurde, neu aufbauen zu müssen. Das eine, die Einnahmenseite, ist hart. Das andere ist unmöglich. Daher haben wir lange mit Google und auch mit Yahoo gesprochen - in der Hoffnung, sie verstehen das.

sueddeutsche.de: Woran hapert es dann bei Thunderbird?

Baker: Das Projekt muss vitaler werden und sich schneller verbessern. Und dann gibt es viele Dinge, die Nutzer bei Thunderbird stören. Jeder sagt mir: "Ich nutze es, aber ändert doch bitte das und das und das." So etwas passiert bei Firefox nicht.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was die Nutzer an Thunderbird am meisten nervt.

sueddeutsche.de: Was nervt die Nutzer am meisten?

Baker: Ein integrierter Kalender steht ganz oben auf unserer Liste. Und auch die fehlende Möglichkeit, Kontakte einfach mit dem Mobiltelefon zu synchronisieren, frustriert viele. Mich übrigens auch.

sueddeutsche.de: Der Browser Firefox 3, der demnächst kommen wird, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von der Vorgängerversion. Gehen Ihnen langsam die Ideen aus?

Baker: Nein. Normalerweise kommen bei einer Software im Laufe der Zeit immer mehr Funktionen hinzu, die die meisten Menschen gar nicht wollen. Genau das versuchen wir zu bekämpfen. Unsere Verbesserungen bekommt der Nutzer daher erst mit, wenn er sie braucht, wenn er intensiv im Web unterwegs ist.

sueddeutsche.de: Revolutionäre Entwicklungen wie einst die Tabs, die unterschiedliche Seiten in einem Fenster öffnen, sucht man bei neuen Browsern dennoch vergebens.

Baker: Unsere neue Lesezeichen-Verwaltung, Places genannt, hat das Zeug dazu. Wenn ich künftig meine Bookmarks oder die zuvor aufgerufenen Seiten durchsuchen will, muss ich mich nicht mehr an die Adresse oder den Titel der Seite erinnern. Ich gebe nur noch ein Stichwort ein. Das ist eine Funktion, die die Menschen unglaublich nützlich finden werden - wenn sie sich daran gewöhnt haben.

sueddeutsche.de: Viele Nutzer beklagen, dass Firefox viel Arbeitsspeicher braucht, dass er groß und langsam geworden ist.

Baker: Dann werden sie Firefox 3 mögen. Er ist kleiner und schneller. Wir sind sehr glücklich, wie sich Firefox 3 in den letzten Wochen entwickelt hat.

sueddeutsche.de: Hätten sie vor zehn Jahren gedacht, dass Mozilla so erfolgreich sein würde?

Baker: Wir haben erwartet, dass es das Projekt in zehn Jahren noch geben wird. Aber wir haben allenfalls davon geträumt, das Internet mit unseren Produkten in Richtung von mehr Offenheit zu bewegen.

sueddeutsche.de: Hat sich dieser Traum mit Firefox erledigt?

Baker: Nein, wir haben gerade erst angefangen zu zeigen, was Offenheit bewirken kann und warum Firefox nicht nur ein gutes Produkt für den einzelnen Nutzer ist, sondern auch für das Internet als Ganzes.

sueddeutsche.de: Warum denn?

Baker: Wenn man für Programme zahlen muss, unterbindet das alle Arten von Innovation: Mit offener Software dagegen kann man experimentieren und viele Dinge ausprobieren - auch Geschäftsmodelle. Oft würde man nie wissen, ob sich aus etwas Geld machen lässt, wenn man es vorher nicht ausprobieren könnte.

sueddeutsche.de: Aber das kann doch nicht der Grund sein, warum sich so viele Programmierer bei Ihnen engagieren?

Baker: Einige Programmierer sind wie Tänzer, Schriftsteller oder Künstler: Sie wollen einfach programmieren, egal was passiert. Aber wenn man gut ist, kann man in Open-Source-Projekten auch schnell Anerkennung und eine Art Führungsrolle erringen. Das ist ganz anders als in klassischen Softwarekonzernen.

sueddeutsche.de: Was stört sie an deren Arbeitsweise?

Baker: Es ist schwer, sich wirklich in eine Aufgabe reinzuknien, wenn ein Anderer alle Entscheidungen trifft und den Ruhm erntet. In Open-Source-Projekten kann man sich die Kollegen aussuchen, ein respektvolles Miteinander finden und so etwas Wertvolles schaffen. Das macht Spaß und motiviert.

sueddeutsche.de: Endet das nicht im Chaos?

Baker: Wenn wir ein Produkt veröffentlichen, wird dessen Qualität sehr genau überwacht. Es muss vieles passen, bis der Firefox-Stempel draufkommt. Aber an den Ecken gibt es sehr viel Spontaneität. Wenn jemand mit einer Idee ankommt, an die bislang keiner gedacht hat, sagen die Leute: "Großartig, mach' das! Wie können wir helfen?" Die wenigsten Menschen sind so glücklich, das in ihrem Arbeitsleben zu erfahren.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: