Moderne Schnitzeljagd:Schatzsuche mit Internet und GPS

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Die Computer-Botschaft schickt die Jäger durch dick und dünn - "Geocaching" heißt der neueste Freizeitsport aus den USA.

Jens Kiffmeier

"Schau dich um und finde ein Schwert mit drei Blitzen." Ein Rätsel, das Günter Köllner unbedingt heute Nacht knacken will und dessen Lösung irgendwo da draußen zu finden ist.

Es ist kurz nach 22 Uhr, Günter steigt aus seinem Wagen. Er parkt am Rande einer Siedlung. Nur eine Laterne spendet spärliches Licht. Von hier geht es zu Fuß weiter, mitten hinein ins sumpfige Weichser Moor, das sich hier hinter der letzten Häuserzeile in völliger Dunkelheit erstreckt. Nur Katzen, Rehe und Wildschweine streunen um diese Zeit durch die Büsche.

Für Günter jedenfalls kein Problem. Heute scheint der Vollmond, im Jäger-Jargon auch "Büchsenlicht" genannt. Deswegen trägt Günter eine Weste mit Reflektorstreifen. Nicht schick, aber Günter geht auf Nummer sicher. Falls die Jäger auf den Hochsitzen lauern. "Man muss schon ein bisschen verrückt sein, wenn man da nachts reinrennt", sagt er und läuft los.

Zu später Stunde in die Wälder

Seine beiden Söhne, der 15-jährige Martin und dessen zwei Jahre jüngerer Bruder Florian, stapfen fröhlich hinterher. Alexander Kurz und seine Schwester Kerstin kommen ebenfalls mit. Sie sind Freunde der Familie. Bewaffnet mit dicken Taschenlampen, einem Kompass und einem Global Positioning System (GPS) startet die Gruppe zu einer nächtlichen Schatzsuche. Geocaching nennt sich das Hobby auf Neu-Deutsch und ist eine moderne Art der Schnitzeljagd, die über das Internet organisiert wird und die immer mehr Menschen auch zu später Stunde in die Wälder treibt.

Geocaching gilt - wieder einmal - als eine US-amerikanische Erfindung und ist überall auf der Welt durchführbar. Allein in Deutschland haben Geocacher mittlerweile 11.000 Schnitzeljagd-Routen - so genannte Caches - ausgelegt. Versteckt werden zumeist Dosen oder kleine Kisten, gefüllt mit allerlei Krimskrams. Die nähere Umgebung des Verstecks wird auf der Homepage www.geocaching.de in Form von Koordinaten veröffentlicht. Die Schatzjäger nutzen ein kleines, circa 120 Euro teures GPS-Gerät, um die Fährte aufzunehmen.

Wer Erfolg hat und einen Schatz findet, kann Sachen gleichwertig austauschen, darf sich in ein Logbuch eintragen und muss die Kiste anschließend wieder einbuddeln - für den Nächsten. So das Grundprinzip.

Die Schätze liegen überall verborgen. In München sind es knapp 250. Auch im Englischen Garten oder mitten auf dem Marienplatz kann man fündig werden. "Wir haben sogar schon einen Schatz 200 Meter vor unserer Haustür entdeckt", weiß Günter zu berichten.

Routen für jeden Geschmack

Auf der Homepage sind Routen für jeden Geschmack verzeichnet: nachts, tagsüber, extrem, harmlos, für jung, für alt. Bei Familien ist zum Beispiel der Benjamin-Blümchen-Cache in der Münchner City sehr beliebt - zu bewältigen bei einem Sonntagsspaziergang mit Kinderwagen.

Auf der Mission Mike - so der Titel für die Route durch das Weichser Moor - sollte man jedoch auf schweres Gerät lieber verzichten. "Der Schatz ist nur in der Nacht zu finden, und man sollte ein wenig Sprungkraft mitbringen", teilt der Cache-Verstecker jedem Wagemutigen im Internet mit. "Das verspricht doch ein bisschen Nervenkitzel", sagt Günter und ruft kurz darauf: "Stopp. Hier ist es!"

Sein GPS-Gerät zeigt die vorgebenen Koordinaten an. Die Gruppe steht vor einer Brücke. Auf dem Geländer ist ein Wappen eingeritzt. Das Schwert mit den drei Blitzen darauf springt dem Betrachter ins Auge. Rätsel gelöst? Mission erfüllt? Nicht doch, denn nach kurzer Suche wird klar: Feierabend ist hier noch nicht.

Trampelpfad durchs Brennesselfeld

Bewacht von einer Schar quirliger Spinnen findet sich unter der Brücke anstelle eines Schatzes nur ein kleines Schild mit einer kurzen Botschaft. Der Schatzsucher wird aufgefordert, 170 Meter weiter nach Süden zu gehen und einen Reflektor zu suchen. Ein Reflektor beim Geocaching ist ein kleiner Leuchtklebestreifen, so wie sie auf Günters Weste zu finden sind. Sie sind kaum größer als ein Fingernagel und für die nächtliche Schatzsuche überall im Gelände verteilt. Die Reflektoren gilt es in der Nacht mit den Taschenlampen sichtbar zu machen. Sie zeigen dem Schatzjäger bei Dunkelheit den Fundort für einen Hinweis oder den Schatz an.

"Also los", ruft Alexander. Dumm nur, dass in diesem Fall der Weg nach Süden durch ein Meter hohes Brennnesselfeld versperrt ist. "Trampeltier voraus", beschließt Florian und lässt dem älteren Bruder großzügig den Vortritt. Hier hilft Schuhgröße 43.

"Wenn du einmal mit Geocaching angefangen hast, wirst du süchtig", sagt Alexander Kurz. Vor einem halben Jahr hat die Gruppe das Jagdfieber gepackt. Im Januar, bei Eis und Schnee, ging es zum ersten Mal los. "Einfach um mal abzuschalten und rauszukommen", erklärt Alexander.

Auch Günter will aus dem Alltag ausbrechen und ein bisschen Abenteuer erleben. "In Deutschland", doziert der Software-Entwickler, "kümmern sich Eltern doch immer weniger um ihre Kinder. Und die Kids hängen nur noch drinnen vor dem Computer ab." Die Teenies heutzutage, sagt er, seien wahre Helden vor der Playstation. Mit dem Joystick lassen sie ihre Figuren akrobatisch durch die Luft wirbeln.

Kein Spiel für Bewegungsmuffel

In der Realität, im Schulsport, bleiben sie beim Bockspringen wie ein nasser Sack auf dem Hindernis liegen. Eine grausame Vorstellung für Günter. Seine Jungs sollen keine Stubenhocker und Bewegungsmuffel sein. "Deswegen geht es raus zum Geocachen, so oft es nur geht", sagt er stolz. In den letzten acht Wochen waren sie jedes Wochenende unterwegs. Sie sind durch dreckige Röhren gekrochen und haben Baumkronen in 14 Meter Höhe erklommen - gut gesichert, versteht sich. Wo wir überall schon waren", lacht Günter.

Auch heute wird der Eroberungszug wieder vom Erfolg gekrönt sein. Aber bis zum Fundort ist es noch ein langer, harter Weg - ganz nach Günters Geschmack. "Wissen Sie, ein Kollege meinte, mit 14 Jahren müssten die Kinder heute unbedingt fit sein am Computer." Völliger Quatsch, findet Günter. "In dem Alter müssen die erst einmal wissen, wie man täglich drei Hosen dreckig macht", sagt er und ruft plötzlich: "Scheiße, das war ein Schritt zu viel." Knietief steckt er an mit einem Bein im Morast.

Mission erfüllt

Günter war der erste. Doch irgendwann erwischt es jeden auf der Mission, bei der der Verstecker die Schatzsucher noch über acht Stationen durch das unwegsame Gelände schickt. Unzählige Bäche müssen übersprungen, staubige Gebüsche durchkrochen werden. Erst nach zweieinhalb Stunden ist Schluss.

Die Schatztruhe liegt in einem Fichtenwald unter einem Baum. In der verbuddelten Munitionskiste finden sich unter anderem ein Katzenmagazin und eine Wegwerfkamera. Tauschen will heute niemand, aber die Gruppe ist froh, die Mission erfüllt zu haben. Als die Kiste wieder im Erdreich versenkt und die Fundstelle unkenntlich gemacht ist, geht es raus aus dem Wald. Er liegt nur wenige Schritte vom Parkplatz entfernt. "Tja, ein schöner Rundgang", zieht Günter nach seiner 80. Entdeckung Bilanz. "Im Vergleich würde ich sagen, die Mission Mike gehört eher in die Kategorie extrem. Aber sie ist schaffbar."

Es gibt Missionen, an denen sich die erfahrensten Geocacher die Zähne ausgebissen haben. Ein beliebtes Beispiel: der "Meister der Akkorde". Bei diesem Cache liegt der Schatz in Münchens Norden versteckt. Um ihn zu heben, muss man vorab die Lebensgeschichte von Musikproduzent Dieter Bohlen als Hörbuch konsumiert haben. Das haben aber angeblich bisher die wenigsten ohne Schaden an Geist und Körper überstanden.

© SZ vom 12.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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