Microsoft:Zurück in Gates Garage

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Wie der Megakonzern Microsoft versucht, sich wieder ein Hinterhof-Image zu geben.

Ingo Arzt

Mit einer Garage hat die National Convention Hall im japanischen Yokohama wenig gemein - eher schon mit einer Konzernzentrale: Die orchestergroße Bühne vorn im Saal ist flankiert von zwei Videoleinwänden, im Hintergrund steht noch eine dritte, auf der abwechselnd eine große Sonnenblume und das Logo des "Imagine Cup Japan 05" zu sehen sind.

Will sein Garagen-Image zurück: Bill Gates (Foto: Foto: AP)

Sivaramakichenane Somasegar, Vize-Chef der Entwicklungsabteilung von Microsoft, blickt auf die prall gefüllten Reihen der Kongresshalle. Neben vielen einheimischen Besuchern nehmen mehr als 200 ausländische Gäste an der dritten Microsoft-IT-Weltmeisterschaft für Studenten und Schüler teil.

Microsoft hat sie aus 44 Ländern nach Japan eingeflogen. Somasegar wartet mit ein paar Umschlägen in der Hand, bis sein Vorredner fertig erzählt hat - über den jungen Bill Gates und seine Garage, über das Jahr 1975, als alles anfing mit dem Software-Riesen Microsoft. Dann spricht Somasegar, von Hoffnungen und Träumen und davon, wie mit Hilfe der Informationstechnik Grenzen zwischen Menschen niedergerissen werden sollen.

Die Erinnerung an die Geschichten aus den 70er Jahren kommt nicht von ungefähr. Damals verwandelten bleichgesichtige Computer-Hippies mit ein paar hundert Dollar Startkapital ihre Garagen in die ersten Firmensitze von Microsoft, Apple oder Atari.

Doch längst hat Microsoft das romantische Flair der Gründerzeit verloren. Ausgerechnet in der Szene junger Computerabenteurer, der die Firma einst entsprang, ist sie heute alles andere als beliebt: Microsofts Aufstieg sei gepflastert mit kopierten Ideen, sagen IT-Idealisten. Sie sind Open-Source-Anhänger oder Linux-Freaks. Sie glauben an das Prinzip ABM: All but Microsoft.

Generation Software-Atheist

Rolf Kluge sitzt auf einem der samtblauen Kinosessel, mit denen die Halle bestuhlt ist, und trommelt nervös mit den Fingern auf die Armlehne. Der Leipziger Student hat es ins Finale des Imagine Cups 2005 geschafft. Sein Programm "Smartrunner" steht in der Kategorie "Software Design" auf der Liste der sechs Finalisten.

Endlich beginnt die Oscar-verdächtig inszenierte Preisverleihung: Somasegar zieht aus großen Umschlägen die Namen der Gewinner. Platz eins: Russland. Die Gewinner schwenken eine russische Fahne, schreiten im Schweinwerferlicht auf die Bühne und erhalten dort einen plakativen Scheck über 25.000 Dollar.

Das deutsche Team geht leer aus. "Immerhin wir waren im Finale", sagt Kluge, ausgewählt aus 14.000 Studenten aus mehr als 150 Ländern.

Den meisten Studenten, die nach Yokohama gekommen sind, ist der alte Glaubenskrieg um Microsoft egal. Sie finden es nett, eine Woche in Japan zu sein und vielleicht auch noch ein Preisgeld zu kassieren.

Sie sind weder Microsoft-Fans noch Microsoft-Hasser, sondern eine Generation von Software-Atheisten - groß geworden in einer IT-Welt, in der die Grenzen gezogen sind: Auf mehr als 90Prozent aller PCs weltweit läuft eine Version von Windows.

So findet Rolf Kluge schon die Frage seltsam, ob Kommilitonen die Nase über seine Teilnahme an einem Microsoft-Wettbewerb rümpfen. Sein Programm funktioniert nur mit Software von Microsoft: "Smartruner" zeichnet mit Hilfe einer GPS-Maus und eines Mini-Computers den Weg eines Sportlers durch die Natur auf, registriert Geschwindigkeit und Kalorienverbrauch.

Im Internet können dann Sportler ihre Leistung vergleichen. "Mit Microsoft", sagt Kluge, "war das Projekt schlicht am einfachsten zu programmieren."

Kluge ist über das "Microsoft Academic Program" auf den Imagine-Cup aufmerksam geworden - eine Initiative des Software-Konzerns, die Hochschulen und Studenten Windows-Betriebssysteme und -Programme besonders günstig oder sogar gratis zur Verfügung stellt. Im Mittelpunkt steht dabei das kostenlose .Net ("Dotnet"), eine Software-Umgebung zur Entwicklung und Ausführung neuer Programme.

Die Konkurrenten sind stark: Gerade im Hochschulbereich hat das alternative Betriebssystem Linux viele Anhänger, zudem erfreut sich die Programmiersprache "Java" der kalifornischen Firma Sun Microsystems hoher Beliebtheit. Java gilt als derzeit erfolgreichste Entwicklungsumgebung der Welt; 4,5 Millionen Programmierer arbeiten damit.

Auf diese Schiene versucht Microsoft mit .Net aufzuspringen und wählt die gleiche Strategie wie Sun - Java gibt es schon seit Jahren kostenlos zum Download. "Das Microsoft Academic Program soll bei der Ausbildung helfen, ist aber auch dazu da, Studenten an Produkte von Microsoft zu gewöhnen", sagt Somasegar.

Wie kann man nur, es ist doch Microsoft?

"Ob nun Microsoft oder andere Produkte besser sind, darüber sollten sachliche Argumente entscheiden", sagt Heinz Züllighoven, Informatik-Professor an der Universität Hamburg. "Damit aber hat der alte Glaubenskrieg längst nichts mehr zu tun." Er hat sich als Schiedsrichter für den Wettbewerb in Japan aufstellen lassen, obwohl einige Kollegen fast reflexartig fragten: Wie kann man nur, es ist doch Microsoft?

Doch Züllighoven ist Pragmatiker: Er lehrt seine Studenten, was die technologische Entwicklung gebietet. Wenn die Industrie Microsoft wolle, könne er seinen Studenten schlecht davon abraten, sich mit der entsprechenden Technologie auseinander zu setzen.

Natürlich verläuft die Wirkung auch andersrum: Die Studenten von heute entscheiden in der Industrie von morgen, welche Produkte eingesetzt werden. Microsoft dominiert zwar den Bereich der PC-Betriebssysteme und Office-Anwendungen, doch in wichtigen Zukunftsbranchen herrscht harter Konkurrenzkampf: Bei den Betriebssystemen für PDAs hat Microsoft mit Windows CE und Windows Mobile einen Marktanteil von knapp unter 50 Prozent.

Palm und RIM (bekannt für ihre "Blackberrys") halten jeweils knapp über 20 Prozent. Bei den Smartphones, die Handy und PDA vereinen, liegt das Betriebssystem Symbian mit mehr als 50 Prozent an der Spitze, Microsoft bringt es auf 20 Prozent.

Bei Webservern liegt die Open-Source-Lösung Apache seit Jahren konstant bei mehr als 60 Prozent Marktanteil. Microsoft ist bei weitem nicht konkurrenzlos. Eine Konstante gibt es jedoch: Keine Firma außer Microsoft ist in fast jedem Marktsegment vertreten.

Abschied vom Titanen-Bild

Beim Imagine-Cup ist von der rauen Welt der Marktanteile nichts zu spüren: Microsoft versucht, das Image des alles kommerzialisierenden, anonymen Software-Titanen los zu werden, will anfassbar und persönlich sein: Es gehe weder darum, Produktideen zu sammeln, noch potenzielle Nachwuchsprogrammierer zu rekrutieren.

Auch wolle man die Studenten mitnichten davon überzeugen, später einmal mit Produkten von Microsoft zu arbeiten, so Somasegar. Es gehe einzig darum, einen Ideenwettbewerb zu veranstalten. Anders gesagt: Ein bisschen Garagen-Geist-Flair zu verbreiten. "Wir wollen Studenten dazu bewegen, Technik toll zu finden", sagt Somasegar.

"Uns ist klar, dass das hier auch ein PR-Event ist", sagt dagegen Christian Meyer, Student an der Fachhochschule für Ökonomie und Management in München. Er hat es in der Disziplin "Information Technology" unter die besten sechs Teilnehmer geschafft. In seinem Wettbewerb hatte er 24 Stunden Zeit, um ein bürotaugliches Netzwerk aufzubauen.

Allerdings war die Auflage, nur Microsoft-Produkte zu verwenden. "Wenn man den besten IT-Studenten sucht, sollte man ihm eine Aufgabe stellen und ihn selbst entscheiden lassen, mit welchen Mitteln er sie löst", sagt Meyer. Denn hinter Windows-PCs fängt die raue Netzwerk-Welt erst an. Und deren Server oder Rooter arbeiten relativ selten mit Microsoft-Produkten.

Der Unterschied zwischen einer Garage aus dem Jahr 1975 und der Technik von heute: Ein junger IT-Ingenieur muss all die grundsätzlichen Technologien beherrschen, die in den vergangenen 30 Jahren erfunden wurden. Welche letztlich überlebt, hängt davon ab, wo junge Entwickler ihre Ideen einbringen.

Somasegar drückt das so aus: "Wir wollen den Führungskräften von morgen Zugang zu unserer Technologie verschaffen." Dafür reicht es schon, wenn man nicht mehr weiß, was ABM bedeutet.

© SZ vom 23.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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