Microsoft:Im Advent der Xbox

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Die Welt als Dolby und Konsole. Microsofts Antwort auf die Playstation 2.

Bernd Graff

Wenn die Welt im Auge des Betrachters entsteht, dann muss man dem Auge etwas bieten. Zumal, wenn man über das Auge Geist und Geldbeutel auf ein neues, aktentaschengroßes Ding aufmerksam machen will, das so viel Sexappeal verströmt wie eine Heizkosten-Endabrechnung. Aus eigener Kraft würde es dieser schwarze Kasten mit dem giftgrünen Punkt oben drauf nie schaffen, Neugier und Begehren zu wecken. Eine weitere Black Box ist in der Welt - so what?

Von der Wiege bis zur Bahre: Liegen, Fliegen. In einem nur im Internet gezeigten Werbespot für Microsofts neue Xbox vergeht ein Leben tatsächlich im Fluge. Aus dem Kreißsaal in die Welt geschossen, um nach ein paar unbedeutenden Jährchen zielsicher in der Gruft zu landen. Das leben sei zu kurz, belehrt uns hernach Microsoft, um nicht viel, viel mehr zu spielen. (Foto: N/A)

Indifferenz aber wäre das letzte, was die Hersteller brauchen können. Denn nach ihrer Vorstellung soll es ausgerechnet diese Unscheinbarkeit sein, die glaubwürdige Action-, Kampf-, Anders-Welten für das Auge schafft und neue Erlebnisse wie Erfahrungen im virtuellen Raum stiftet. Doch weder das Gerät selber gibt viel her, noch sein Name, Xbox. Die beiden "X" vorn und hinten verweisen auf die große Unbekannte der Mathematik, und Box ist schließlich alles, was vier Wände, Deckel und Boden hat, um was immer an Inhalten aufzunehmen: Box ist ein Hirn ebenso wie eine Streichholzschachtel.

Also dachten sich die Hersteller der Xbox, dass man diesem unsexy thing ein Ambiente schaffen muss, eine Art Präsentierteller. Und weil es sich bei dem Produzenten um die immer abenteuerlustige Firma Microsoft handelt, beauftragte sie eine PR-Agentur, nach einer geeigneten Location zu fahnden, die sich als würdige Wiege für den jüngsten Spross in der Videospiel-Konsolen-Familie erweisen sollte. Wobei man einräumen muss, dass die Xbox-Premiere in Europa etwas verspätet kam. Andernorts ist die amerikanische Traummaschine, Antwort auf die japanische Playstation 2 von Sony, schon seit dem letzten Weihnachtsgeschäft zu haben.

Deutschland dagegen fiebert. Kein Wunder nach all dem Hörensagen über den Wunderapparat: Man weiß schon von der eingebauten 8-Gigabyte-Festplatte, der glasklaren Dolby Surround 5.1-Soundausgabe und dem Ethernet-Port für die Breitband-Internet-Anbindung. Vom neuen 733-Megahertz-Intel-Prozessor und dem 233 Megahertz schnellen Nvidia-Grafikchip, welche stattliche 1.600 Milliarden Rechen-Operationen pro Sekunde aufbringen, um satte, fette Bilder zu produzieren. Und so diskutiert man schon die Videospiele, die von den in Gamer-Kreisen wie Popstars gehandelten Entwicklern Peter Molyneux, Lorne Lanning und Dave Perry stammen. Nur: Wirklich gesehen und erprobt hat das alles hier noch niemand.

In einschlägigen Läden für Consumer- und Heimelektronik prangten vor dem 24. Dezember Reklametafeln mit der Aufschrift: "Heiligabend ist am 14. März." Das ist der Tag der offiziellen Einführung der Xbox hierzulande. Wer wollte, konnte damals mit der Xbox-Verpackung sein Stück Konsole symbolisch kaufen und so einen Optionsschein erwerben auf all das Glück, das Rechengeräte schenken. Doch ein Vierteljahr kann lang werden - darum läutete Microsoft jetzt, einen Monat vor dem Verkaufsstart, den deutschen Advent der Xbox damit ein, diese Konsolen-Causa vor Fachpublikum und Presse ausführlich zu erörtern. Und bat in eben jene Location: in eine komfortable Altbau- Vierzimmerwohnung in der Münchner Luisenstraße.

Auf Hertz geprüft

Eine ganz famose Idee das. Die eigentlichen Mieter waren für die Dauer der Presentation in ein Hotel ausquartiert worden, und man arrangierte sich in deren Mobiliar. So befriedigte die Xbox den Betrachter gleich dreifach. Zum einen konnte man den Spezialcomputer auf Megahertz und Silizium-Eingeweide prüfen. Zum anderen erlebte man die Xbox schon jetzt in ihrem ausgewiesenen Reservat, erfuhr ihre Wohn- und Schlafraumtauglichkeit unmittelbar: Videospiel-Kästen leben in strikter Symbiose mit Fernsehmonitoren, und wo immer im Heim solch ein Schirm steht, soll künftig auch das Biotop eines der Simulations-Generatoren sein, mögen sie PS2, Nintendo 64 oder eben Xbox heißen. Zu guter Letzt ließ die Tatsache, dass ja alle Gast in einem fremden Haushalt waren, einen Voyeurismus erblühen, den man sonst nur erlebt, wenn man einem Makler in ein noch nicht geräumtes Mietobjekt hinterherstapft. Wenngleich einzuräumen ist, dass - in nur vier Zimmern! - die Kakophonie aus fünf gleichzeitig in Dolby Surround tönenden Xboxen das individuelle Spielerlebnis mitunter bis zum Lustverlust beeinträchtigen konnte.

"Sollen wir die Wahrheit sagen?"Das deutsche Xbox-Team über die Herkunft des Namens und die Ziele von Microsoft. Mit Originalton.

Fragt man an diesem Tag die ausgesucht höflichen Gastgeber-Promoter, was es denn nun mit der Xbox im Vergleich zu den Produkten der Mitbewerber auf sich habe, dann weisen sie - nach einer detaillierten Analyse technischer Vorzüge - auf zwei einleuchtende Sachverhalte hin: Zum einen, so Microsofts Marketing-Manager Thomas Caric, der es sich auf dem Ehebett gemütlich gemacht hat, sei der Markt für Konsolen bei weitem noch nicht erschlossen. Bei einer maximalen Haushaltsdurchdringung von derzeit 15 Prozent gebe es weltweit für alle Konkurrenten noch genügend ausbaufähiges Potenzial. Dass man eine derartige Konsolen-Branche vorfinde, liege, zum zweiten, daran, dass Videospiele immer noch im Ruch stünden, Zeitvernichter und sinnloses Instant-Vergnügen zu sein. "Niemand", so der vor dem Nachtkästchen platzierte PR&Events-Manager der Xbox, Boris Schneider-Johne, "erzählt von einem Daddel-Abend wie von einem Kinobesuch. Das liegt an der mangelnden Tiefe der Spiele. Hier entwickelt sich bislang nichts und niemand. Entsprechend entstehen auch keine mitteilenswerten Erlebnisse. Und darum kann man über Video-Spiele auch kaum kommunizieren."

Aber, und das singen die beiden jetzt im Chor: "Mit der Xbox wird sich das ändern." Denn aufgrund der eingebauten Festplatte, die ja nur dazu ist, Unmengen von Spiel-Daten aufzunehmen (und eben kein Betriebssystem), wird es nun möglich, den Spielverlauf zu individualisieren. So berichtet man von einem bezeichnenderweise "Project Ego" genannten Strategiespiel, das Peter Molyneux entworfen hat. Der Spieler findet Held und Aufgabe nicht vor, sondern entwickelt beide durch seine Handlungen im Spielverlauf. Er begleitet sein Geschöpf durch vierzig virtuelle Jahre, sorgt für Bildung des Geistes wie Ausbildung des Körpers. Und alle Erlebnisse - nicht nur die des Heranwachsenden, sondern auch derer, die in Kontakt mit dem Knaben kamen - werden gespeichert. An die 12.000 Existenzen mit ihren individuellen Erfahrungen können so dauerhaft abgerufen werden - und werden es, sobald der Held erneut mit jemandem zusammentrifft, dem er vor langer Zeit einmal begegnete.

So soll die Xbox zu einer Maschine der persönlichen Entwicklungslinien und der Erinnerungen werden, die Konsequenzen zeitigen und Bedingungen schaffen. Ein Heidegger'sches In-die-Digitalwelt- Geworfensein also - Grund für Individualität und Charakter. Nichts Geringeres als die Ausdifferenzierung von personal history und Psyche stehen damit auf dem Prospekt, die im Verbund mit der - sensationell - realistischen Grafik dann tatsächlich so etwas wie interaktives Kino entstehen lassen könnten. Dessen Narrative, Bildfolgen, Schnitte und Erzählstrukturen haben die Computerspiele - neben den horrenden Kosten für eine einzige Produktion - ja sowieso schon übernommen.

Wenn es also das Auge des Betrachters ist, das seine Welt erschafft, dann kann man davon ausgehen, dass dazu künftig auch ein paar Blicke auf einen Konsolenmonitor gehören werden. Auch wenn das mit dem Spiele-Controller geführte Leben immer nur geliehen sein wird - wie derzeit noch eine Schwabinger Wohnung in der Luisenstraße.

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