Italien:Der Michael Moore aus Genua

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Vom Blogger zum Polit-Star: Beppe Grillo führt eine Massenbewegung gegen das politische Establishment an. Er nennt sich "Detonator" - denn er will das gesamte Parteiensystem sprengen.

Stefan Ulrich

Er nennt sich "Detonator", denn er möchte die italienische Politik sprengen. "Wir wollen die politischen Parteien zerstören, weil sie der Krebs der Demokratie sind", droht er. Premier Romano Prodi sei eine "Schlaftablette", Oppositionsführer Silvio Berlusconi ein "Zwerg". Seinen Anhängern verheißt er, das Parlament zu säubern. Und dem ganzen Land verkündet er eine "Renaissance".

Grillos grimmiger Protest richtet sich gegen rechte wie linke Parteien: "Von Berlusconi haben wir sowieso nichts erwartet, aber von Prodi sind wir enttäuscht." (Foto: Foto: AFP)

Bislang agitierte der 59 Jahre alte Beppe Grillo, diese Mischung aus Prophet und Kobold, in seinen Bühnenshows und im Internet. Dort betreibt er den erfolgreichsten Blog Italiens und einen der meistbesuchten der Welt. Etwa 160.000 Mal wird seine Seite Tag für Tag angeklickt.

Die Besucher finden eine Liste mit "Onorevoli Wanted" - rechtskräftig verurteilten Parlamentariern. Sie treffen auf allerlei Initiativen, etwa gegen den Irak-Krieg, und vor allem auf Grillos brillant-boshaften Kommentare zu korrupten Politikern, maroden Konzernen, Umweltskandalen und sonstigen Übeln.

50.000 Besucher beim "V-Day"

Eine Internet-Welt des Protests ist so entstanden. Der aus Genua stammende Kult-Komiker stellt sie dem etablierten Politik- und Mediensystem entgegen. Nun aber hat sich Grillos virtuelles Volk materialisiert. Am Wochenende strömten Zehntausende Menschen auf die Plätze von 220 Städten, um den Politikern zuzuschreien, sie sollten sich zum Teufel scheren. "V-Day" hat Grillo die Aktion genannt. Das "V" steht für "Vaffanculo", was mit "Leck' mich am Arsch" zu übersetzen ist. Allein in Bologna, wo Grillo auftrat, kamen 50.000 Menschen zusammen.

In ganz Italien unterschrieben 300.000 Bürger einen Gesetzesvorstoß, mit dem Grillo das Parlament reinigen will. Er fordert, dass rechtskräftig verurteilte Politiker nicht mehr im Parlament sitzen dürfen. Zudem will er die Amtszeit von Politikern auf zwei Wahlperioden beschränken. Kandidatenlisten sollen von den Bürgern bestimmt werden.

Der "Michael Moore aus Genua", wie der Bärtige genannt wird, war selbst erstaunt über den Erfolg. Noch verblüffter waren die Politiker, die nun aus der Schockstarre erwachen und analysieren, was da im Gange ist. Wie schafft es ein Mann ohne Unterstützung von Parteien, Gewerkschaften, Industrie und etablierten Medien eine Massenbewegung zu erzeugen? Und wohin wird das führen? In eine Diktatur, wie manche unken, in Italiens Erneuerung - oder bloß ins Nichts?

"Die Parlamentarier erleben eine Rebellion gegen die Politik, die ernstgenommen werden muss", sagt Familienministerin Rosy Bindi. Sie habe miterlebt, wie Anfang der neunziger Jahre die Bewegung "Saubere Hände" der Mailänder Justiz und des erzürnten Volkes das alte Parteiensystem wegfegte. "Damals gab es viel Wut auf einzelne korrupte Politiker. Doch nunmehr richtet sich die Wut gegen die ganze politische Klasse." Diese Klasse steht im Verruf wie selten zuvor.

Unzählige Skandale und die Unfähigkeit der Regierenden aller Couleur, die Probleme des Landes anzupacken, erbosen die Bürger. Laut einer Umfrage, die der Corriere della Sera gerade veröffentlichte, sind mehr als zwei Drittel der Italiener mit der Regierung Prodi unzufrieden.

Von Berlusconi nichts erwartet

Grillos grimmiger Protest erhält so Resonanz. Seine Bewegung richtet sich gegen rechte wie linke Parteien. Von Berlusconis Rechter habe man nichts erwartet, meint der Satiriker. Von Prodis Linker aber sei man doppelt enttäuscht, meint Grillo.

Viele Politiker echauffieren sich über den rabiaten Komiker. Sie werfen ihm marktschreierische und populistische Anti-Politik vor. Grillo kann kontern, mit seiner Unterschriftenaktion sehr politische Ziele zu verfolgen. Der "Detonator" möchte zeigen, dass er auch Neues aufbauen kann. Über seine Anhänger sagt er: "Sie wollen die Politik nicht auslöschen - sie wollen eine andere."

© SZ vom 12.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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