Internetfernsehen Joost:Ein TV-Killer mit Sendestörung

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Die von vielen hochgejubelte TV-Plattform Joost hat Probleme: Fernsehsender vermarkten ihre Inhalte lieber selbst. Zudem vermasseln Internet-Portale das Geschäft.

Burkhard Reitz

Der gehypte Internet-TV-Anbieter Joost will weg von seinem Anarcho-Image und hat deshalb einen erfahrenen IT- und Netzwerk-Spezialisten ins Boot geholt. Mike Volpi, bislang Manager des Netzwerkausrüsters Cisco, ist seit Anfang Juni neuer Firmenchef (Chief Executive Officer).

Joost soll zur Erfolgsfirma werden. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Volpi gehörte bereits zum Vorstand der Internet-Telefonie-Firma Skype, die ebenfalls von den Joost-Gründern Niklas Zennström und Janus Friis aus der Taufe gehoben worden war.

Die Start-up-Firma Joost soll nach der umstrittenen Tauschbörse KaZaa und dem IP-Telefoniedienst Skype jetzt die dritte Erfolgsfirma werden, die Zennström und Fries aufgebaut haben.

Joost bietet - vorerst noch in der Testphase - eine neuartige TV-Plattform im Internet an. Dort verbreitet Joost professionelle Filme in voller Länge unter anderem von den Medienkonzernen Time Warner und Viacom, die Joost als Partner gewinnen konnte.

An den Erfolg von Joost glauben potente Investoren: Sequonia Capital etwa, die "Internet-Heuschrecke" schlechthin, hat schon Yahoo, Google, Apple oder YouTube unterstützt. Was sie anfassen, wird zu Gold, so die einhellige Meinung der Branche.

Auch Hutchison Whampoa, der Konzern des Hongkonger Milliardärs Li Ka Shing, hat investiert. Insgesamt 45 Millionen US-Dollar an Risikokapital hat das Start-up im Mai für den ersten Testlauf erhalten. Dass die Firma ein Erfolg werden wird, scheint als sicher zu gelten.

EIne Marktlücke, die vielleicht keine mehr ist

Doch es mehren sich die Zweifel. Joost startete in der Annahme, dass es eine Marktlücke besetzt. Statt selbstgedrehter Homevideos, wie sie YouTube groß gemacht haben, will die Plattform professionelles TV-Material anbieten, das die Nutzer jederzeit und unabhängig von der Programmstruktur der einzelnen Sender "on Demand" abrufen können. Doch genau dieses "TV on Demand"-Modell wird von mehreren Seiten eingekeilt, so ein Branchenkenner.

Plattformen wie YouTube haben längst erkannt, dass es auf Dauer nicht reicht, TV-Laien das Spielfeld zu überlassen. Schon jetzt bedrohen YouTube & Co. das Geschäftsmodell der kleinen Spartensender. Sie zeigen ebenfalls professionelles TV-Material, und das nicht immer mit deren Segen.

Das deutsche Pendant MyVideo, eine Beteiligung der ProSiebenSat.1 AG, vollzieht genau diesen Wandel im Geschäft, der Joost gefährlich wird. Bereits heute liegt die Hauptattraktion der Seite nicht mehr bei den Homevideos der Nutzer, sondern bei professionell gefertigtem Content.

Zu 75 Prozent sehen sich die MyVideo-Nutzer professionell erstellte TV-Inhalte an, sagt Matthias Falkenberg, Chef des Vermarkters SevenOne Interactive. Auch YouTube forciert die Bemühungen um Content-Partner. Die BBC sendet über YouTube, auch die Deutsche Welle. Das kann Joost noch nicht vorweisen. Ein Kommentar der Plattform war bis Redaktionsschluss nicht zu bekommen.

Von den Internet-Konzernen wird Joost zudem durch verschiedene Video-on-Demand-Plattformen in die Zange genommen. T-Online, Arcor und 1&1 in Zusammenarbeit mit der Sendergruppe ProSiebenSat.1 haben in Deutschland die umfangreichsten digitalen Videotheken, die längst nicht nur Spielfilme, sondern auch TV-Serien zum Abruf anbieten. Ein wirklicher USP beibt Joost da nicht.

Die Plattform könnte nur mit einer gigantisch hohen Nutzerzahl im Rücken attraktive Content-Partner nachhaltig davon überzeugen, ihre Inhalte über sie zu distribuieren.

Diese Karte spielen YouTube & Co. zurzeit wesentlich glaubhafter. Denn jene Plattformen haben mit dem Content der Nutzer bereits eine aktive Community gewonnen, die Joost erst noch erreichen will.

Der TV-Markt stagniert im Internet

Wie schwierig dieser Weg ist, mussten die Video-on-Demand-Anbieter erfahren. Und: Der Markt ist trotz deutlich verbesserter Technik immer noch sehr klein.In ihrer aktuellen Online-Studie belegen ARD und ZDF, dass der Markt für TV übers Internet seit 2003 kein Stück vorangekommen ist.

Damals haben zwei Millionen Nutzer angegeben, mindestens einmal pro Woche live im Internet fernzusehen. Abgesehen von einem Einbruch 2004 blieb die Zahl der Internet-TV-Nutzer seither konstant bei zwei Millionen.

Die Zahl der Internet-Nutzer stieg seit 2003 laut der ARD/ZDF-Studie um 6,4 Millionen. Diese Erhöhung schlägt sich aber nicht in den Nutzerzahlen für Web-TV nieder. In Relation - könnte man sagen - ist der Anteil an Web-TV-Nutzern vom gesamten Online-Markt sogar gesunken.

Die Joost-Idee ist nicht neu. Schon Leo Kirch war hingerissen von der Vorstellung, seine Filmrechte übers Internet zu verwerten. Sein Versuch mit "Maxdome" wurde damals ein Millionengrab.

Ein neues "Maxdome" haben die Kirch-Erben mit dem Partner 1&1 realisiert. Heute funktioniert das Portal. Aber es ist ein mühsames Geschäft.

Den Untergang klassischer TV-Anbieter mitsamt ihrer neuen Geschäftmodelle konnten weder digitale Festplatten-Rekorder noch Portale wie "Maxdome" einläuten. Warum Joost nun beides leisten soll, ist schwer nachzuvollziehen.

Darf Joost vermarkten oder nicht?

Auch Kinowelt-Manager Michael Kölmel träumte bereits vom "Zug des Internet ins Wohnzimmer". Bis 2005 würde man die meisten Haushalte in Deutschland mit digitalen TV-Angeboten erreichen, so lautete 2000 die unwidersprochene Marktprognose.

Der Hype um die Plattform Joost hat zwar lukrative Werbekunden auf den Plan gerufen. Nike, Opel, Coca-Cola, Unilever oder Procter & Gamble - sie alle wollen von der neuen Plattform profitieren und sind zur Startphase dabei.

Doch ob diese Geschäftsbeziehungen von Dauer sind, ist derzeit nicht absehbar. Das Geschäft von Joost ist schwierig: Wenn Joost die Senderechte seiner Inhalte zu teuer einkauft, lassen sie sich nicht refinanzieren, sagt ein TV-Manager.

Oder Joost überlässt die Vermarktung den Sendern und verlangt für den Vertriebsweg eine Provision. Aber: Kein gut geführter Sender würde die Vermarktung seiner Inhalte langfristig mit einem Plattformbetreiber teilen oder komplett abtreten.

Kein Verhandlungsführer bei Time Warner oder Viacom dürfte so kurzsichtig agieren und die Vermarktungsrechte am eigenen Content dauerhaft aus der Hand geben. Joost ist kein Kabelnetz-Betreiber, der den Content zu einem Massenpublikum bringt, den die Sender aus eigener Kraft nicht erreichen.

Auch im deutschen Markt bekommt Joost Gegenwind. Selbst das mächtige Poral YouTube tut sich hierzulande schwer. Der schleppende Abschluss von Content-Partnerschaften in Deutschland und fehlende Angebote speziell für den hiesigen Markt verhinderten nach Auskunft von YouTube-Managerin Sakina Arsiwala den schnellen Start in Deutschland.

Auch die zähen Verhandlungen mit der Verwertungsgesellschaft Gema verhagelten YouTube die für letzte Woche geplante Deutschland-Premiere.

Potenzielle Partner mauern - und starten mit eigenen Angeboten

Die potenziellen Content-Partner von Joost mauern. "Wir schauen uns die Entwicklung von Joost an", heißt es lapidar bei RTL. Das kolportierte Scheitern angeblicher Verhandlungen will der Sender aber nicht bestätigen. "Wir legen den Schwerpunkt auf unsere eigenen Plattformen und haben derzeit kein Bestreben, uns bei Joost zu engagieren", heißt es bei ProSiebenSat.1.

Beide Sendergruppen haben eigene Angebote wie Clipfish, RTLnow, Maxdome und MyVideo gestartet oder sich an ihnen beteiligt. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender sträuben sich gegen eine Zusammenarbeit (W&V 23/07) mit dem Portal.

Auch vertrieblich wird Joost sich schwer tun. Denn: Kein relevantes Portal hat Kapazitäten frei für eine Kooperation. T-Online, Alice, Arcor und die United-Internet-Portale Web.de, Gmx und 1&1 haben eigene Videotheken im Web und werden sich hüten, die Konkurrenz zu promoten, vermuten Insider.

Auch Yahoo hat unter "Yahoo TV" in den USA ein eigenes konkurrierendes Angebot zu Joost gestartet, AOL betreibt mit In2TV ebenfalls einen Joost Wettbewerber, MSN hat eigene TV-Pläne, und Google-Chef Eric Schmidt sagte letzte Woche vor Journalisten in Paris, dass Google sein TV-Engagement auf YouTube beschränken werde.

Joost bekommt Masse nur durch attraktive Inhalte. Und diese nur, wenn hinter Joost Massen an Nutzern stünden. Eine vertrackte Situation, die den "TV-Killer" selbst in Schwierigkeiten bringen könnte.

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