Internet-Fernsehen:Gucken und kochen

Lesezeit: 4 min

Der Internetdienst Zattoo bringt Fernsehen ins Netz - als "Nebenbeimedium". ARD und ZDF wollen auch dabei sein.

Simon Feldmer

Während der Fernseher läuft, kann man bekanntlich auch viele halbwegs sinnvolle Dinge tun. Kochen, Spülmaschine ausräumen oder bügeln zum Beispiel. Wenn es nach Dominik Schmid geht, sollen die Menschen in Zukunft ruhig noch mehr lästige Pflichten hinter sich bringen, während sie sich berieseln lassen. Sie sollen ihren täglichen Spam aus dem E-Mail-Ordner löschen, die Telefonrechnung per Online-Banking zahlen.

Ein Nebenbeimedium: das Internet-Fernsehangebot Zattoo (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Schmid, 48, Deutschland-Chef des neuen Internet-TV-Dienstes Zattoo, spricht viel über "Multitasking", wenn er über die Zukunft des Fernsehens philosophiert: "Unsere Nutzer schauen während der Arbeit oder sie nutzen den Dienst zuhause, während sie eigentlich etwas anderes machen."

So offen haben bisher wenige Fernsehmanager ihr Angebot zum Nebenbeimedium erklärt. Schmid ist Schweizer und arbeitete vorher in Zug für die Sportrechteagentur Infront, bei der auch Günther Netzer als Geschäftsführer tätig ist. Fernsehen und Internet wachsen zusammen. Eine Symbiose ist seit dem 13. September in Deutschland auf Sendung. Der Name Zattoo (sprich: satu) stammt aus dem Japanischen und heißt so viel wie: "Menschenmenge".

Das amerikanisch-schweizerischen Start-up bietet TV auf dem Computer ohne interaktiven Schnickschnack. Zu sehen gibt es in der deutschen Version bisher 21 Programme: Comedy Central, MTV, Viva, Tier TV, DMAX, internationale Sender wie CNN oder die englische Al Dschasira-Version. Das klassische Fernsehen wird eins zu eins auf den Computerbildschirm durchgeleitet, die Nutzung ist kostenlos. Finanzieren will sich Zattoo durch Werbung. Beim Umschalten dauert es ein paar Sekunden, bis sich das Bild des nächsten Senders aufbaut. Diese Werbezeit soll an Unternehmen verkauft werden.

Die Häfte schaut aktiv

Auf Sendung ist der Neustarter bisher auch in der Schweiz, Spanien, Dänemark und in einer abgespeckten Version in Großbritannien. In den nächsten Monaten sollen Belgien, Frankreich, Österreich, Polen und die USA ans Netz gehen. Bereits eine Million registrierte Nutzer zählt Zattoo. Etwa die Hälfte schaue aktiv, im Durchschnitt 180 Minuten in der Woche, berichtet Schmid.

Die Installation auf dem Computer ist einfach: Nicht mal fünf Minuten dauert es, bis das orange Zattoo-Logo - ein runder Fernseher mit zwei Antennen - auf dem Bildschirm leuchtet. Die Bilder ruckeln ein wenig, es dauert fünf bis zehn Sekunden bis man bei Tattoo-Tipps im Männersender DMAX oder bei Berichten aus der Zweiten Fußball-Bundesliga im DSF landet.

In Bierdeckelgröße läuft das Programm fast problemlos. Ein DSL-Anschluss reicht für den Empfang aus. Wenn man den Zattoo-Bildschirm vergrößert, leidet die Qualität allerdings erheblich. Das soll sich ändern: "Wir werden auch im großen Format bald DVD-Qualität bieten", behauptet Schmid. Zattoo schickt seinen Live-Videostream per peer-to-peer-Technologie (P2P) um die Welt. Einer Technik also, die bisher bei Musiktauschbörsen zum Einsatz kommt und auch von Zattoos Internet-TV-Konkurrenten Joost und Babelgum eingesetzt wird.

Dabei greifen die Zuschauer nicht auf einen zentralen Server zu, sondern schicken, vereinfacht gesagt, die Inhalte von Rechner zu Rechner weiter. Bei Joost, dem neuen Projekt des schwedischen Internetunternehmers Niklas Zennström, und beim irischen Babelgum kann der Zuschauer TV-Serien, Shows, Nachrichten selbst zusammenstellen, wann immer er sie sehen will.

Bei Zattoo kann man nur von Sender zu Sender umschalten. Die Maus wird zur Fernbedienung. Mehr Interaktion ist bei Zattoo nicht, und irgendwie ist genau das der Reiz: Zattoo ist denkbar schnell zu durchschauen. Ob einen das kleine TV-Fenster mit MTV-Clips, News oder Spielfilmen während der Arbeit oder beim E-Mail schreiben daheim nicht doch schnell nervt, muss sich weisen.

Die Zattoo-Gründer Sugih Jamin, Informatik-Professor an der University of Michigan, und Beat Knecht, Schweizer mit McKinsey-Erfahrung, setzen jedenfalls große Stücke auf ihre Erfindung. Sie sehen in ihrem mobilen Free-TV nicht weniger als die Zukunft. 16 Millionen Dollar haben die beiden 40-Jährigen nach eigenen Angaben von privaten Investoren als Anschubfinanzierung eingesammelt.

Doch mit Dollar-Millionen allein wird Zattoo nicht wachsen. Für den Durchbruch muss das Programmangebot in den jeweiligen Ländern stimmen. In der Schweiz - dem ersten Land, in dem Zattoo auf Sendung ging - sind derzeit 56 Kanäle im Programm. In Deutschland ist das Angebot auf die Zugkraft der großen TV-Sender angewiesen.

Und so ist Internet-Manager Schmid damit beschäftigt, deutsche Senderchefs von den neuen Möglichkeiten zu überzeugen: "Die Idee ist nicht, das traditionelle Fernsehen zu ersetzen. Wir sehen Zattoo als komplementären Weg, die Reichweite der Sender zu steigern." 50 Kanäle sollen es bald in Deutschland sein. Bei den großen Privatsender-Ketten RTL und ProSiebenSat 1 stößt der Neuling auf Skepsis. RTL ist nicht interessiert. Eine ProSieben Sat 1-Sprecherin sagt: "Wir beobachten das erstmal."

Strategische Überlegungen

Schwierig gestalten sich die Verhandlungen mit den großen TV-Sendern auch deshalb, weil sich RTL und ProSieben Sat 1 mit Zattoo bisher offenbar nicht auf ein für beide Seiten akzeptables Abrechnungsmodell verständigen konnten. Spartensender müssen für ihre Einspeisung bei Zattoo zum Teil zahlen, die privaten Vollprogramme sollen Geld bekommen. Im Vordergrund stehen dabei strategische Überlegungen der Sender die neuen Möglichkeiten des Internet-Streamings betreffend sowie offene Lizenzfragen mit Hollywood-Studios.

Weiter fortgeschritten in ihren Verhandlungen sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten. "Wir sind geraume Zeit im Gespräch", sagt ZDF-Sprecher Walter Kehr. Ein Abschluss steht allerdings noch aus. Juristisch verorten die Öffentlich-Rechtlichen den neuen Internet-Dienst jedenfalls schon einmal als zusätzlichen Verbreitungsweg im Breitbandkabel.

Mit diesem spitzfindigen Dreh würden sie gerne die wachsende Kritik an dem mit Gebührengeldern finanzierten Ausbau ihrer Online-Aktivitäten umschiffen. Auf jeden Fall knüpfen ARD und ZDF ihre Einspeisung bei Zattoo an Bedingungen. So müsse unter anderem garantiert sein, dass keine Zusatzkosten entstünden und das Programm in Echtzeit durchgeleitet werde, so Kehr. Auf Werbung beim Umschalten zu ARD und ZDF will Zattoo verzichten. Darauf haben sich die Verhandlungspartner bereits verständigt.

Auch ARD-Manager sind zuversichtlich, sich mit Zattoo zu einigen und so den jungen Zielgruppen einen großen Schritt im Internet entgegenzugehen. "Wenn es zu einem Abschluss kommt, beträfe das unser gesamtes digitales Bouquet, also das Erste, die Dritten Programme sowie die Digitalsender", sagt ARD-Digital-Sprecherin Brigitte Busch. Sicher ist jedenfalls, dass es vorerst zu einem Testvertrag käme, der nur für einen bestimmten Zeitraum gälte.

Und so kann man wohl davon ausgehen, dass es bald möglich ist, in einem kleinen Fenster am Rand des Computerbildschirms ARD und ZDF zu schauen, während man den täglichen Spam aus dem E-Mail-Ordner kippt. Vielleicht ist das ja wirklich die Zukunft des Fernsehens.

© SZ vom 28.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: