Inhalte im Netz:Kulturelle Antimaterie

Lesezeit: 2 min

Das Internet ist kein Geschäftsmodell für Inhalte. Von Anfang an waren sie einem rapiden Prozess der Entwertung ausgesetzt.

Andrian Kreye

Es war schon immer unmöglich, den Wert von Kulturgütern zu bemessen. Wer soll schon bestimmen, was ein Bild, ein Text, eine Idee wert ist? Die hysterischen Kursschwankungen des Kunstmarktes sind da nur ein Beispiel dafür, wie willkürlich Kultur und Gesellschaft das Ideelle bewerten. Das Internet aber ist zunächst einmal ein Medium, das auf einem Geschäftsmodell gegründet wurde, in dem die Inhalte von Anfang an einem rapiden Prozess der Entwertung ausgesetzt waren. Weil aber auch ideelle Werte eine ökonomische Grundlage brauchen, führt die rasante Entwicklung der neuen Medien dazu, dass traditionelle Kulturformen verschwinden. So wie nun die Enzyklopädien.

Das ist zunächst einmal ein evolutionärer Vorgang, der sich wertneutral vollzieht. Die Argumente gegen einen vermeintlichen Kulturpessimismus der traditionellen Institutionen gegen das Internet sind immer die gleichen. Ähnlich wie das Auto schon das Pferdefuhrwerk obsolet gemacht hat, habe die Fotografie die Malerei, das Radio die Livemusik und das Kino das Theater in Nischen verdrängt. Diese Vergleiche hinken, weil die bisherigen Paradigmenwechsel in der Kultur entweder dazu führten, dass elitäre Kunstformen einem Massenpublikum zugänglich gemacht wurden, oder dass die technischen Möglichkeiten einer Kunstsparte erweitert wurden. Das Prinzip der Vergütung an sich wurde bisher nicht angetastet.

Klone von Texten, Bildern und Tönen

Auch das Argument, das Internet sei letztlich nur ein neuer Vertriebsweg, der eine globale Demokratisierung von Wissen und Kultur ermögliche, wird gerne eingebracht. Das aber stimmt auch nur bedingt. Denn die Kultur im Internet wurde erst durch die Digitalisierung von Texten, Bildern, Tönen und Filmen möglich. Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen der analogen Kopie mit den immanenten Qualitätsverlusten und der digitalen Vervielfältigung, die ein Klonen ebenjener Texte, Bilder, Töne und Filme zulässt.

Beide Argumente stimmen nicht weil das Modell der Onlinemedien nach einem parasitären Prinzip funktioniert. Das lässt sich ganz einfach an den Urformen des kommerziellen Internet erkennen. 1991 ging mit America Online der erste Internetdienst ans Netz, der für eine relativ geringe Monatsgebühr erstmals einen Internetzugang über eine benutzerfreundliche Software verkaufte. Weil American Online aber daran gelegen war, dass ihre Kunden sich im damals noch geschlossenen System ihres Anbieters bewegen, wurden die Inhalten gratis dazugeliefert - Nachrichten, Informationen und Unterhaltung.

An diesem Modell hat sich nur insofern etwas geändert, dass sich die Inhalte im Internet vervielfacht haben und nun zumeist von den traditionellen Kulturproduzenten oder im so genannten Web 2.0 von den Konsumenten selbst gratis angeboten werden. Da aber zeigt sich die parasitäre Wirkung des Internet ganz deutlich. Denn was bisher über das Netz transportiert wurde, waren nur Klone traditionelle Inhalte und Formen. Die vielgelobten Blogs und Sammelportale wiederum tun in den meisten Fällen nichts anderes, als traditionelle Inhalte durch eine Zweitverwertung noch weiter zu entwerten.

Was da als Demokratisierung und Befreiung gefeiert wird, ist letztendlich die Entwertung einer Kulturproduktion, die einer Industrie zu Gute kommt, die Kulturgüter als "Content" versteht, sowie Autoren und Kreative als "Content Provider", als Inhaltslieferanten betrachtet. Es sind vor allem die Telekomriesen, die am Internet verdienen, weil sie den Zugang zu einer Verwertungskette verkaufen, in der selbst die Werbung nur ein zweiter oder dritter Schritt ist.

Wenn nun eine Institution wie die Brockhaus Enzyklopädie vor dem neuen Geschäftsmodell kapituliert und sich im Netz dem freien Markt aussetzt, dann ist dies ein letztes Rückzugsgefecht eines universellen Kulturbegriffes. Noch fruchtete keiner der verzweifelten Versuche der Kulturwirtschaft, neue Verdienstmöglichkeiten im Netz zu suchen.

Ganz konkret tritt Brockhaus nun ab Freitag gegen die Zusammenarbeit zwischen Spiegel Online, Bertelsmann und Wikipedia an, die als Spiegel Wissen seit Dienstag im Netz abrufbar ist. Weil Brockhaus weiterhin mit seiner teuren Expertenredaktion arbeiten wird, Spiegel Wissen aber einen Teil seiner Inhalte umsonst über Wikipedia erstellt, ist Brockhaus von vorneherein im Nachteil. Die Qualität ist da kein Argument. Das haben Youtube, die MP3-Musikdatei und die Blogs schon vorgeführt.

© SZ vom 14.02.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: