Freiheitsrechte im Internet:Warten auf "i-9/11"

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Neuer Stoff für Verschwörungstheoretiker: Gibt es im Internet einen Anschlag mit den Folgen des 11. September, haben die USA längst einen "Patriot Act" in der Schublade.

Andrian Kreye

Die Unterhaltung war kurz und beiläufig. Doch was der Rechtswissenschaftler und Vordenker der Urheberrechtsdebatte, Lawrence Lessig, und der ehemalige Staatssekretär für Terrorabwehr, Richard Clarke, in wenigen Sätzen verhandelten, ist der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien gemacht sind: Für den Fall eines Ereignisses, das im Internet ähnliche Auswirkungen hätte wie die Anschläge des 11. September 2001, habe das amerikanische Justizministerium längst ein Gesetzespaket vorbereitet, das die Rechte und Freiheiten im Netz ähnlich einschränken könnte, wie der "Patriot Act" in den realen USA.

Bei einer Podiumsdiskussion in Kalifornien erzählte Lessig: "Ich war bei einem Abendessen und Richard Clarke saß an meinem Tisch. Da habe ich zu ihm gesagt: "Gibt es etwas Ähnliches wie den Patriot Act, einen i-Patriot Act, der irgendwo herumliegt und nur auf ein einschneidendes Ereignis wartet, damit Sie eine Ausrede dafür haben, die Struktur des Internet grundlegend zu verändern?" Und er sagte: "Natürlich gibt es so etwas."

Nun sind Vergleiche mit den Anschlägen des 11. September besonders drastisch, wenn man sie im Zusammenhang mit Richard Clarke zieht. Es war nämlich Clarke, der die Regierung Bush vergeblich davor warnte, dass al-Qaida Anschläge auf die USA plane. 2003 trat er von seinen Ämtern zurück und profiliert sich seither als scharfer Kritiker des Kriegs gegen den Terror.

Doch Lessig hat keinen Zweifel daran, dass ein solcher i-9/11 eintreten wird. "Das bedeutet nicht, dass das etwas mit al-Qaida zu tun haben wird", schränkte er ein. "Doch es wird ein Ereignis sein, in dem sich die Anfälligkeit und mangelnde Sicherheit des Internets manifestieren wird, das die Regierung nutzen wird, um zu handeln." Zum Beispiel ein weltweiter Zusammenbruch des Internets durch Sabotage.

Bedeutend und bösartig

Lessigs kurzer Diskussionsbeitrag erregt nun viel Aufsehen. Nachweisbar sind seine Behauptungen zwar nicht, nachvollziehbar sehr wohl. Unter Rechtsexperten gelten die Monate nach dem 11.September als Musterfall, denn der Patriot Act wurde nur einen Monat nach dem 11. September ratifiziert. Wolfgang Kaleck vom European Center for Constitutional and Human Rights beobachtete den enorm raschen Erlass strenger Sicherheitsgesetze nicht nur in den USA. "Man hat in den USA und Europa versucht, die Öffnung dieses politischen Fensters zu nutzen und so einiges durchzubringen, was man sowieso vorhatte", sagt er. "Die Verschärfungen der inneren Sicherheit waren natürlich schon vor dem 11. September eine Tendenz. Aber bei dieser Gelegenheit hat man viel mehr durchgesetzt als in ruhigen Zeiten. Das hat eine ganz neue Qualität bekommen."

Außerdem ist das Internet keineswegs so dezentral, wie es die euphorischen Anfangsjahre glauben machten, obwohl es ja ursprünglich einen Atomkrieg überstehen sollte. Die sogenannten Backbones des Internets bündeln die Datenströme in Kernbereichen. Wie anfällig solche Backbones für Zensur und sogar schlechtes Wetter sind, konnte man in den letzten Tagen erleben. Da wurde deutlich, dass China sein Internet längst so strukturiert hat, dass ein universeller Zugriff auf Seiten nicht möglich ist. Und in Süddeutschland war man nach Unwettern stundenlang vom Netz abgeschnitten.

Die Begehrlichkeiten auch demokratischer Regierungen, die Freiheiten des Internet zu kontrollieren, sind bekannt. Versuche, das Netz im Rahmen der Kämpfe gegen Terror, Kinderpornos und Raubkopien zu regulieren, scheiterten bisher. Ob und was für Gesetze für den Ernstfall schon vorbereitet sind, wird sich allerdings erst zeigen, wenn ein Cyber-GAU auch eintritt.

© SZ vom 08.08.2008/gut/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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