Fernseh- und Internetkonsum:Glotzende Weltmacht

Lesezeit: 2 min

US-Bürger haben vergangenes Jahr deutlich mehr ferngesehen als Deutsche - kein Grund, sich über den angeblich verblödeten Durchschnittsamerikaner lustig zu machen.

A. Kreye

Das Fernsehen ist gemäß dem europäischen Vorurteil ein so fester Bestandteil des amerikanischen Alltags wie Pistolen, Coca Cola und Hamburger. Es verwundert also nicht, wenn das Marktforschungsinstitut Nielsen nun vermeldet, dass der Durchschnittsamerikaner vergangenes Jahr mehr ferngesehen hat, als je zuvor. 151 Stunden im Monat, um genau zu sein.

Ein Fernsehzuschauer im Werbespot von Hulu: das Hirn als grüner Matsch (Foto: Foto: Hulu)

Das entspricht fünf Stunden, die jeder Amerikaner jeden Tag, egal ob jung oder alt, blind oder blöd, vor der Glotze verbringt. Und das sind immerhin fünf Monatsstunden mehr als noch im letzten Quartal des Jahres 2007.

Vergleicht man das mit den deutschen Zahlen, welche die Arbeitsgemeinschaft Fernsehen in diesen Tagen veröffentlichen wird, darf man sich als wahrer Kulturmensch fühlen, denn das Fernsehen gilt hierzulande ja allgemein als Unkultur. Gerade mal 207 Minuten sieht der erwachsene Deutsche pro Tag fern, das sind etwa 103 Stunden im Monat.

Ist er zwischen 14 und 29 Jahre alt, reduziert sich die Zeit sogar auf 136 Minuten. Der statistische Knick hat mit all den neuen Medien zu tun, die junge Menschen heute konsumieren, das Internet, die Handys und die Videospiele.

Keine kulturelle Aushöhlung

Was sich hinter den Zahlen verbirgt, ist jedoch keineswegs eine schleichende kulturelle Aushöhlung der amerikanischen Gesellschaft - auch wenn sich die Amerikaner schon selbst darüber lustig machen. In einem Werbespot für den Internetfernsehdienst Hulu spielt Alec Baldwin einen Alien, der mit ebendiesem Dienst die Hirne der Amerikaner zu grünem Matsch reduzieren will.

Die Firma Hulu kann sich über das Vorurteil vom geistlosen Medium Fernsehen aber gerade deswegen lustig machen, weil das Gegenteil der Fall ist. Amerikaner sehen nicht mehr fern, weil sie zunehmend verblöden, sondern weil das amerikanische Fernsehen in den letzten Jahren zunehmend intelligenter geworden ist.

Was die US-Sender schaffen - und die deutschen nur selten -, sind gemeinsame kulturelle Nenner, die gar nicht mal so klein sind. 1992 sang Bruce Springsteen zwar noch: "57 channels and nothing on" - 57 Sender und nichts kommt. Inzwischen verfügt der durchschnittliche Kabelkunde in den USA über mehrere hundert Sender. Und trotzdem hat es das Fernsehen als solches geschafft, die Krise der Aufsplitterung im Kabel und der Konkurrenz im Internet zu meistern.

Statt das Publikum als Ganzes zu betrachten, wie zu Zeiten des Antennenfernsehens, oder als eine Ansammlung von Nischenzielgruppen, wie im Kabel, hat das US-Fernsehen Inseln geschaffen, auf denen sich gerade gebildete Menschen finden können.

Intelligente Unterhaltung

Da gibt es Fernsehserien wie "Sopranos", die auf höchstem Niveau dem Kino den Rang ablaufen. Meinungsstarke Nachrichtensender bieten eine politische Heimat. Selbst die großen terrestrischen Sender haben sich auf intelligente Unterhaltung wie "24" verlegt. Dazu kommt der "Obama-Effekt", der die Bürger vor den Bildschirm holt.

In Deutschland hat sich dagegen selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen trotz seines Bildungsauftrags vom Bildungsbürgertum verabschiedet. Die großen kollektiven Fernsehereignisse sind Teenagern und ihren sozialdarwinistischen Talentshows wie DSDS oder Senioren und ihren altmodischen Revueshows wie "Wetten...dass ?" vorbehalten. Einzig der Sport kann die Fernsehnation noch einen.

© SZ vom 26.02.2009/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: