Facebook:Allein unter Freunden

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Sie nannten sich Freunde: Das jugendliche Onlinenetzwerk Facebook mausert sich zum Massenmedium für Sozialkontakte.

Georg Diez

Als ich den virtuellen Raum betrat, waren sie alle schon da. Erst freute ich mich, sie zu sehen; dann war ich überrascht, dass sie auf mich gewartet hatten; dann fragte ich mich, woher sie überhaupt wussten, dass ich da war. Was wollten sie von mir, was wollte ich von ihnen? Eine Maschine hatte uns zusammengeführt; jetzt mussten wir Menschen übernehmen.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg: "Man kann hier beobachten, wie sich die sozialen Normen dem anpassen, was technologisch möglich ist." (Foto: Foto: AP)

Sie nannten sich Freunde, die Menschen, die auf mich warteten. Früher hätte man vielleicht Bekannte dazu gesagt, aber Facebook gibt einem keine Wahl. Man existiert als Freund oder gar nicht. So ist das im Internet - Dinge sind hier ähnlich, aber nicht gleich wie in der wirklichen Welt. Der Unterschied ist nicht mehr zwischen real und nicht real - sondern zwischen real und surreal. Wenn die neunziger Jahre durch MTV und die Sendung "The Real World" definiert wurden, dann sind die Nullerjahre durch Facebooks leicht surreale Welt bestimmt.

Ich war überrascht. Ich hatte die digitale Welt von Facebook sehr spät entdeckt. Aber warum waren auch all die anderen hier so spät dran? Eigentlich, so heißt es doch immer, ist Twitter das Medium unserer Zeit, kurze Nachrichten, die vom Handy verschickt und von jedem empfangen werden können, der sich mit einem vernetzt hat. Die Notlandung auf dem Hudson wurde so gemeldet, der Terror von Mumbai. Twitter ist schnell und etwas spröde. Twitter ist für 20-Jährige.

Virtueller Salon für die globale Boheme

Facebook dagegen ist nicht mehr so schnell und auch nicht mehr so schmutzig, wie es am Anfang war - um das Jahr 2006 herum, als betrunkene Collegestudenten auf dieser Webseite gern von Parties, Saufen und Sex erzählten und Fotos ins Internet stellten, für die sie mal enterbt und mal gefeuert werden konnten. Das Facebook von heute hat die größten Zuwachsraten bei den über 35-jährigen und funktioniert eher wie ein virtueller Salon, in dem sich erwachsene Menschen gegenseitig Freunde nennen. Eine Art globale Boheme, die den digitalen Rückzug ins Private probt.

Mark Zuckerberg, der das Netzwerk gegründet hat, sieht das sehr viel nüchterner. "Man kann hier beobachten", sagt er, "wie sich die sozialen Normen dem anpassen, was technologisch möglich ist." Zuckerberg ist 24 Jahre alt. 2004 gründete er Facebook, da war er noch Student in Harvard; 2007 verkaufte er einen kleinen Anteil an Facebook für 240 Millionen Dollar an Microsoft, da war seine Firma 15 Milliarden Dollar wert.

Heute benutzen etwa 160 Millionen Menschen Facebook - als "soziales Netzwerk", wie das immer etwas ausweichend heißt, weil man noch keinen neuen Begriff gefunden hat. Sie suchen dort Freunde, sie sagen, wie es ihnen geht und was sie gerade gesehen, gelesen oder gedacht haben, sie stellen Fotos auf ihre Seite oder Videos, sie suchen jemanden, der Schlittschuhe in Größe 38 hat und in Berlin-Mitte lebt, oder jemanden, der zur Kunstmesse nach Miami fährt. Sie suchen aber vor allem nach Leuten, die so sind wie sie. Facebook hilft dabei, denn es funktioniert wie die automatischen Buchempfehlung auf Amazon: Menschen, die diese Menschen mögen, könnten auch diese Menschen mögen.

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Yigg, StudiVZ, Ehrensenf: Amerikaner meinen, die Deutschen seien Weltmeister im Kopieren von Webseiten. Wir haben uns Original und Fälschung genau angesehen.

Überwachung wie in einer Kleinstadt

Denn das ist das entscheidende Ordnungsprinzip von Facebook. Freund um Freund sammelt man und kuratiert sich so seine Persönlichkeit, schmückt sich mit Menschen, hat leichter Kontakt zu eigentlich Fremden, findet Verbindungen, die über das Persönliche hinausgehen. Manche sagen, dass das Internet auch an diesem Punkt die Verstellung oder gar die Lüge begünstigt.

Tatsächlich ist es aber genauso möglich, dass die Offenheit und die Transparenz befördert wird, dass Vertrauen belohnt wird, weil die soziale Kontrolle des Facebook die Lüge entlarven hilft. Amerikanische Soziologen vergleichen die sehr effiziente Überwachung schon mit der Dynamik einer Kleinstadt, nur dass die in diesem Fall von Tel Aviv bis Kabul reichen kann.

"Awareness" heißt der Fachbegriff für dieses Phänomen - eine gegenseitige Aufmerksamkeit also, die sich auch als "ambient awareness" beschreiben lässt, wenn es um das ständige Grundrauschen geht, das durch all die alltäglichen kleinen Mitteilungen erzeugt wird, die davon handeln, dass jemand krank ist oder der Morgen grau oder die Liebe weg. Für sich genommen mögen das mehr oder weniger triviale Botschaften sein, in der Summe entsteht so etwas wie ein Gefühl dafür, wie es den Menschen geht, mit denen man hier mehr oder weniger zufällig in Kontakt ist. Man weiß etwas, ohne etwas zu wissen. Facebook ist ein intuitives Medium und kein rationales.

Verdoppelung der Beziehungen

Die Konsequenz daraus ist eine gewisse Latenz, was soziale Beziehungen angeht, also ein Als-Ob der Freundschaften - aber auch eine Nähe zu Menschen, von denen man nun viel genauer weiß, wann sie Migräne haben, als man das wohl will: Eigentlich Fremde erscheinen einem so auf Dauer fast bekannter als Freunde oder Geschwister, die nicht auf Facebook sind. Es verschiebt sich dadurch etwas im Gefüge der Beziehungen, so wie auch der Begriff des Freundes und von Freundschaft an sich aufgeweicht und verändert wird. Der Anthropologe Robin Dunbar hat herausgefunden, dass Affen maximal 55 soziale Beziehungen kognitiv verarbeiten können, für Menschen hat er die Zahl von Freunden oder Bekannten auf 150 festgesetzt. Auf Facebook kann sich das leicht verdoppeln. "Weiche Verbindungen", das sagt der Soziologe dazu.

Dass das mehr ist als nur ein wissenschaftliches Schlagwort, das sieht man nicht nur daran, dass diese "weichen Verbindungen" etwa die Fähigkeit der Menschen verbessern, bestimmte Probleme zu lösen. Netzwerke werden für Partner- oder Jobsuche benutzt, aber mittlerweile auch von Organspendeorganisationen. Und natürlich ist Barack Obama, der erste Präsident der Internet-Generation, ein besonderes Beispiel dafür, wie sich weiche Verbindungen in konkrete Macht verwandeln lassen. Obama eröffnet auf Facebook, dass er gern Basketball spielt und den "Paten" mag und auch Johann Sebastian Bach. Zu seiner Amtseinführung taten sich der Nachrichtensender CNN und Facebook zusammen und mehr als eineinhalb Millionen Menschen diskutierten zeitgleich über die Schönheit des Moments und die Chancen ihres Helden.

Flexible Identitäten

Solche Gruppen und Netzwerke sind für unsere Zeit oft wichtiger, als Herkunft oder Familie. Fühlt sich jemand als Türke oder als Hiphopper? Fühlt sich jemand als Schwarzer oder als Skateboarder? "Post-weiß" nennt das die Zeitschrift The Atlantic; und der Soziologe Dalton Conley spricht schon von einer "Netzwerk-Nation". Facebook oder MySpace helfen seiner Meinung nach dabei, bleibende soziale Zugehörigkeit zu schaffen. "Flexible Identität", so nennt er das. Barack Obama und Mark Zuckerberg, die beiden Harvard-Männer, wären demnach Gefährten des gesellschaftlichen Wandels.

Jede neue Technologie verändert das Verhalten der Menschen untereinander und die Gesellschaft als Ganzes, da ist Facebook nicht anders als das Auto oder der Kühlschrank. Das wirft viele Fragen auf, für die es nicht zuletzt deswegen so wenige Antworten gibt, weil der Wissenschaft noch die Herangehensweisen fehlen. Es gibt noch keine digitale Soziologie, keine Psychologie des Netzlebens, das surreale Leben ist jedoch ganz anders, als bisher.

Für mich aber stellen sich erst einmal ganz andere Fragen: Soll ich mein Profilfoto ändern? Warum ist es im narzisstischen Bildermedium Internet überhaupt so schwierig, das richtige Foto zu finden? Warum haben all meine Freunde Sonnenbrillen auf oder stehen im Halbdunkel? Sind 38 Freunde zu wenig? Vor allem aber: Was soll ich mit ihnen reden?

© SZ vom 27.01.2009/tess - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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