E-Book:Das Ding

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Elektronisch lesen: Der neue Kindle von Amazon weckt viel Hoffnung, doch wieviel Sinnlichkeit steckt im E-Book?

Gerti Schön

Elektronische Lesegeräte, die man in der Hand halten kann, wurden in den vergangenen Jahren immer weiter verbessert. Vor elf Jahren wurde das E-Book vorgestellt, nun ist der neuste Reader auf dem Markt: ein großformatiger Bildschirm auf eine steife, dünne Plattform gezogen - als würde man ein Clipboard in der Hand halten.

Das Amazon Kindle soll sich zu einer modernen und günstigen Vertriebsplattform auch für Zeitungen entwickeln. (Foto: Foto: dpa)

Die Verleger amerikanischer Zeitungen, die in der aktuellen Werbemarktkrise nach jedem Strohhalm greifen, hoffen nun, ein starkes Mittel entdeckt zu haben, um sich und ihre bedrohte Branche zu retten.

Vergangene Woche stellte der Online-Händler Amazon seinen Kindle DX vor - DX steht für deluxe. Er soll sich zu einer modernen und günstigen Vertriebsplattform auch für Zeitungen entwickeln, mit seiner Hilfe sollen neue Leser gewonnen werden, vor allem aber soll er signalisieren, dass digitaler Inhalt, im Gegensatz zur noch verbreiteten Praxis, nicht ewig kostenlos verfügbar sein kann.

Auch New-York-Times-Verleger Arthur Sulzberger Junior war bei der Präsentation des Kindle euphorisch, Sulzberger nannte das weiße Ding "wundervoll".

Das Produkt ist für das Zeitungs- und Magazinbusiness deshalb interessant, weil es mit seinen Maßen von 18 mal 26 Zentimetern im Format näher an heutige Printprodukte heranreicht. Die bisherigen Modelle des E-Readers, ein gleichnamiges Produkt von Sony und der Original-Kindle, sind nicht einmal halb so groß. Sie waren von Anfang an nur auf das Buchformat zugeschnitten.

Selbst Philip Meyer, ein anerkannter Vertreter des investigativen Journalismus und Autor des Buches Das Verschwinden der Zeitung, ist bereit, dem Neuling eine Chance zu geben. "Die Print-Industrie ist in so einem trüben Zustand, dass jedes Mittel einen Versuch wert ist", sagt er.

Der Kindle DX soll 489 Dollar kosten und im Sommer auf den Markt kommen. Schon jetzt kann man mit dem Original-Kindle 34 Zeitungen und 24 Magazine zwischen zwei und 35 Dollar monatlich abonnieren, das reicht von Fortune und Time, der New York Times und der Washington Post bis hin zu europäischen Blättern wie Le Monde und dem Handelsblatt.

Ein Abonnement für die New York Times kostet bei Amazon.com monatlich 14 Dollar. Das sind zwar deutlich weniger als für das Printprodukt bezahlt werden muss (42 Dollar), aber mehr als die kostenlose Webseite bietet. Dazu kommt, dass Zeitungen durch den Vertrieb mit dem E-Book bis zu 50 Prozent der bisherigen Kosten für Papier, Produktion und Zulieferung sparen können.

Beinahe zeitgleich mit dem Kindle DX kommt ein Konkurrenzprodukt des in Kalifornien ansässigen Unternehmens Plastic Logic heraus, das auch eine Filiale in Dresden hat. Dieser E-Reader ist mit einem Format von 21,5 mal 28 Zentimetern noch größer. Plastic Logic arbeitet mit allen großen internationalen Verlagshäusern zusammen, um die gedruckten Medien zu vertreiben. Auch Rupert Murdochs News Corporation, der Zeitschriftenkonzern Hearst sowie Apple, auf dessen iPhone und iPod Touch man schon jetzt E-Books lesen kann, wollen digitale Lesegeräte herausbringen.

Ein Nachteil des E-Books ist, dass Content, also Inhalt, bisher ausschließlich in schwarz-weiß zu sehen ist, was vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet (Design) als Manko gewertet wird. "Das Attraktive jeder einzelnen Story liegt nun einmal in ihrem visuellen Umfeld", sagt Layout-Experte Mario Garcia. Das müsse auch beim E-Book stimmen. Garcia glaubt, dass die neue Generation der Reader zu 40Prozent wie eine Printpublikation aussehen werde und zu 60 Prozent wie die Webseite einer Zeitung.

"Man liest es wie ein Buch"

Die Digital Publishing Alliance (DPA) an der bekannten, sehr akzeptierten Missouri School of Journalism in Columbia erforscht seit Jahren die Entwicklung und Akzeptanz digitaler Medien. Ihre Untersuchungen haben ergeben, dass Mediennutzer ein E-Book am ehesten mit einer Zeitung, einem gedruckten Erzeugnis vergleichen: weil man sie wie ein Papierprodukt näher oder weiter von den Augen entfernt halten kann während ein Computer in dieser Hinsicht statisch und unflexibel ist. "Man liest es wie ein Buch" sagt DPA-Direktor Roger Fidler. "Man lehnt sich damit zurück und nimmt sich mehr Zeit, sich mit den Inhalten zu befassen."

Zum gewohnten Lesegefühl trägt der fortlaufend strukturierte Inhalt bei, der wie bei einer Printzeitung kurz überflogen werden kann, bevor man sich entscheidet, was man lesen will, statt wie im Internet von Link zu Link zu hasten. Fidler glaubt daher nicht, dass das E-Book, wie bei Onlinemedien gängig, hauptsächlich aus kürzeren Artikeln bestehen wird. Die langsamere Dynamik beim Lesen bietet Werbekunden einen Vorteil: Die Nutzer konzentrieren sich eher auf jede einzelne Seite und konsumieren Texte und Anzeigen offenbar weniger flüchtig als vor dem Fernseher oder im Internet.

Die Vertreter der Zeitungsbranche sehen dem E-Reader also weitgehend erwartungsfroh entgegen, die Gefühle der Buchhändler scheinen wesentlich ambivalenter zu sein. Zwar haben sich Literaturstars wie Toni Morrison in der Vergangenheit enthusiastisch über die digitalen Reader geäußert. Doch die Skepsis über die sinnlichen und emotionalen Abstriche, die man bei dem elektronischen Buch machen muss, überwiegt bei vielen Autoren.

Vor allem den Geruch des Papiers und die taktilen Eigenschaften bei der Handhabung wollen viele nicht missen. Die britische Schriftstellerin Anne Fadiman, Autorin des Romans Ex Libris, meint: Ein E-Book zu halten sei so, "als würde man mit einem gut gemachten Roboter ins Bett gehen statt mit einem warmen weichen Menschen, den man liebt".

Auch Journalist Philip Meyer weist auf den kommunikativen und interaktiven Aspekt des Zeitungslesens in Printmedien hin: "Ich kann den Kindle nicht mit meiner Frau teilen, aber die einzelnen Bücher einer Zeitung schon. Außerdem kann ich damit keine Mücken erschlagen."

© SZ vom 14.05.2009/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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