DLD Women:Im Wettbewerb der Superfrauen

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Neue Technologien, so die These der DLD Women-Konferenz, eröffnen Frauen nie da gewesene Möglichkeiten. Die Präsenzpflicht verschwindet, virtuelle Teams werden Alltag, nur Ergebnisse zählen. Doch damit wird lediglich ein altes Paradigma präsentiert: Frau, du bist nur gut, wenn du noch besser wirst.

Alexandra Borchardt

Auf den Schluss seiner Präsentation, so wirkt es, ist René Schuster besonders stolz. Der Deutschland-Chef des Telefonkonzerns Telefónica zeigt ein Foto seiner Kollegin Andrea Folgueiras, Chief Technology Officer. Dunkle Locken, sympathisches Lächeln, nur schwach erkennbar Augenringe. Fünf Kinder habe sie, berichtet Schuster, Zwillinge und Drillinge, nach den Geburten kaum ausgesetzt. "Kein Mann würde das schaffen", sagt er noch, bevor er die Bühne verlässt.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) spricht bei der Internet-Konferenz DLD Women über "Arbeitsplätze von morgen". (Foto: dpa)

Die Frauen im Saal haben verstanden: Ihr schafft das schon. Viele jubeln. Und das ist auch die Botschaft der Konferenz DLD Women, die das Medienhaus Burda als Ableger der großen Veranstaltung Digital Life Design zum dritten Mal in München veranstaltet: Ihr könnt alles schaffen, wenn ihr euch nur ordentlich anstrengt. Aber können Frauen das, oder genauer: Sollten sie das überhaupt wollen? Willkommen im Wettbewerb der Superfrauen.

Die neuen Technologien, so die These, eröffnen Frauen nie da gewesene Möglichkeiten, die Karriere und den Rest des Lebens unter einen Hut zu bringen. Die Präsenzpflicht verschwindet, virtuelle Teams werden Alltag, nur noch Ergebnisse zählen. Jeder kann sich jederzeit mit jedem verbinden und damit in einem weiterhin nur 24 Stunden dauernden Tag alles leisten: einen anspruchsvollen Job bewältigen, für Kinder und Partner da sein, Freundschaften pflegen und zwischendurch noch online nach schicken Klamotten und den Kochrezepten fürs große Abendessen fahnden.

Für Männer ein Albtraum

Während diese Vorstellung viele Frauen begeistert, klingt sie für viele Männer eher nach Albtraum (siehe: "kein Mann könnte das"). Sie wissen, wer erfolgreich ist, muss auch das können: Delegieren, weglassen, ignorieren, sich nicht in Multi-Tasking verirren. Und sehr häufig anderen vertrauen, dass sie die Arbeit schon erledigen werden, ob daheim oder im Büro. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, dass Frauen das perfektionieren, worin sie schon immer großartig waren: Sie werden die Arbeitsbienen der digitalen Welt.

Ursula von der Leyen, Bundesarbeitsministerin und Frontfrau der Quoten-Anhängerinnen, vermittelte eine Ahnung von diesem Trend, als sie auf der DLD-Konferenz vor "digitalen Sweatshops" warnte. "Lassen Sie sich nicht von anderen ins Schwitzen bringen", riet sie den Zuhörerinnen. Denn in ihrem Amt kennt sie die Entwicklungen der Arbeitswelt zu gut: Firmen lagern zunehmend Geschäfte an externe Anbieter aus, die nur eine Rechnung, aber keine Ansprüche stellen, wie das feste Mitarbeiter tun.

Sie verlangen kein Büro, keinen Computer plus IT-Service, keine bezahlten freie Tage. Ideale Jobs also für Frauen, die immer gerne noch ein bisschen mehr in ihren Tag quetschen, um das Projekt pünktlich abzuliefern - an die Chefs, und das sind dann die anderen. Einen Paradigmenwechsel versprechen die DLD-Organisatorinnen, und transportieren doch nur das alte Paradigma: Frau, du bist nur gut, wenn du noch besser wirst.

Nur kein Missverständnis: Frauen können Karrieren und fünf Kinder haben, wenn sie sehr, sehr gut sind und wenig Schlaf brauchen; von der Leyen hat sogar sieben. Aber sie müssen sich dann von der Vorstellung verabschieden, noch alle Freunde ihrer Kinder zu kennen, zu kontrollieren, ob alle warm genug angezogen sind und den passenden Kuchen zum Schulfest dabei haben. Anders als Männer müssen sie sich auf die Kritik anderer Frauen gefasst machen. Und wie Männer müssen sie auf viele Familienfreuden verzichten und Aufgaben delegieren können: an das Kindermädchen, die Großeltern, und ja, den Ehemann.

Die Partnerwahl gehöre zu den wichtigsten Entscheidungen für die Karriere einer Frau, sagte die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg in einer viel beachteten Ansprache vor Studentinnen am Barnard-College. Anders ausgedrückt: Wenn der perfekte Lebensplan auch noch den Großverdiener-Erfolgsmann beinhaltet, braucht sich keine Frau zu wundern, dass er zu wenig Zeit für die Kinder hat.

Natürlich können die neuen Medien hilfreich sein: Tage im Heimbüro, Videokonferenzen statt Dienstreisen, all das kann Eltern den Alltag erleichtern. Und Arbeit in Teams über Ländergrenzen hinweg wird das Verständnis für andere Kulturen stärken. Für Frauen und Männer gilt aber, wer die neuen Möglichkeiten für noch mehr Mikromanagement nutzt, wird statt auf der Karrierespur im Burnout landen.

Denn in der Flut der Anforderungen ist nichts mehr gefragt als Souveränität: Grenzen ziehen, nicht erreichbar sein, sich mal zurücklehnen und groß denken, statt noch den letzten Kommentar im sozialen Netzwerk oder dem berufsrelevanten Blog zu studieren. Dazu gehört auch, statt nur Gleichgesinnten im Internet zu begegnen, Menschen in der realen Welt zuzuhören. Sie könnten ganz andere Sorgen haben.

Maß aller Dinge

Denn tatsächlich ist die alles wollende Superfrau aus dem Industrieland nicht das Maß aller Dinge, wenn es um die Chancen durch digitale Medien geht. Vor allem in armen Ländern können Internet und Mobilgerät ein Segen sein. Dann nämlich, wenn sie Mädchen Zugang zu Wissen in Ländern bieten, in denen weiblicher Nachwuchs bislang nicht willkommen ist. Das deutlich zu machen, ist ein Verdienst der DLD-Konferenz.

Denn eine Ausbildung und eine gute berufliche Perspektive machen die Geburt von Töchtern attraktiv. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben wegen der gezielten Tötung weiblicher Feten und Säuglinge weltweit heute 150 Millionen Frauen weniger, als tatsächlich aufgewachsen wären; daran erinnerte Iris Bohnet, Dekanin der Harvard Kennedy School. Allein die Ausbreitung von Call Centern in Indien mit ihren vielen Jobs und damit Chancen für Frauen habe dort den Genderzid deutlich zurückgehen lassen, sagte Bohnet.

Beeindruckend in diesem Zusammenhang war der Auftritt von Shai Reshef. Er ist Gründer und Präsident der University of the People, der ersten (fast) gebührenfreien Online-Universität der Welt. 1500 Studenten aus 132 Ländern werden dort derzeit von 2900 ehrenamtlich dafür tätigen Professoren unterrichtet; sie können online einen Abschluss in Business Administration oder Computer Science erwerben, Qualifikationen mit guten Berufsaussichten. Leider seien nur 20 Prozent der Studenten Frauen, bei jenen aus dem Teil Afrikas südlich der Sahara sei nur jede zehnte weiblich, sagte Reshef und fragte etwas ratlos in den Saal: "Wer kann helfen?"

Da mag so manch eine Zuhörerin ins Grübeln gekommen sein, die zuvor noch über Teilzeit-Chefinnendasein, Lebensqualität oder die gläserne Decke nachgedacht hatte. Denn für die allermeisten Frauen weltweit geht es zunächst einmal um Arbeit. Daraus dann noch menschenwürdige Arbeit zu machen, das wäre schon ein großer Schritt.

© SZ vom 13.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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