Digitale Medien für Kinder:Knoblauch um den Monitor

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Im Internet bewegen sich Kinder oft in undurchschaubaren Gefilden. Deswegen aber digitale Medien als Ganzes zu verteufeln, wie jüngst in einem Zeitungsdossier, schießt über das Ziel hinaus.

Bernd Graff

Wenn man auf ein ernstes Problem aufmerksam machen möchte, muss man es so tun, dass man selber ernst genommen wird. Doch ob das den Kollegen der Wochenzeitung Die Zeit gelungen ist? Sie wollten in einem mehrseitigen Dossier mit dem Titel "Verloren in der virtuellen Welt" die Gefahren des Internet für Kinder und der Handy-Verwahrlosung von Schülern thematisieren - und verloren sich selber in unterkomplexer Hysterisierung.

"Wie im Fieber": Eltern sollten mit ihren Kindern darüber sprechen, in welchen Internetforen sie sich bewegen. (Foto: Foto: AP)

Eine Zeit-Delegation hatte sich in eine Gesamtschule in Neumünster begeben und dort Horrorstories von Schülern gesammelt, die man in Foren und Chat-rooms verunglimpft hat. Eine Sozialpädagogin im schulischen Mobbingbüro kommt zu Wort.

Man hat mit dem Direktor der Lehranstalt gesprochen. Sie erörtern das nun an der Schule ausgesprochene Verbot von Elektronik-Geräten und berichten von "Deformationen", nicht nur der Schülerpsyche, sondern auch ihrer Sprache: Literarische "Meisterwerke müssen jetzt Meisterwerke der Umgangssprache sein", lautet ein Satz oder: "Schleichend war sie über das Lehrerkollegium gekommen, die Erkenntnis, dass etwas nicht mehr stimmt mit den Kindern." Denn die agieren "wie im Fieber", "wie Besessene". Ein Kindertherapeut warnt entsprechend vor "psychischer Verelendung von Minderheiten, die seit Jahren exzessiv zunehme" und findet die interessante Pointe gegen Handy-Flatrates und Dauerquasseln: "Es bedeutet, dass die sozialen Beziehungen zu anderen nichts mehr wert sind."

Gegen dieses Netz-Sodom und Kommunikations-Gomorrha, die unsere ahnungslosen Kinder verrohen ("Fieber", "Besessene"), wird eine bäuerliche Großfamilie auf einem abgelegenen Gehöft aufgeboten und in ihrem ebenso heroischen wie siegreichen Kampf gegen das Virtuelle, das Elektronische überhaupt, beschrieben. "Um den großen Tisch versammeln sich immer acht bis zehn Leute. Man bleibt lange sitzen und spricht miteinander, dann gehen alle ins Bett." Wenn die Erwachsenen dann trotz allem mal einen Film anschauen, dann "fragen wir uns hinterher: War es das wert, einen ganzen Abend verpasst zu haben, und kommen meistens zu dem Ergebnis: Nein."

Ein Rundumschlag also gegen elektronische Kommunikations-Medien, alte wie neue, und damit gegen alles, was mutmaßlich authentischen Gemeinschaftserfahrungen zuwider laufen könnte: "Fernsehen frisst die Familie auf", muss dann auch mal wieder gesagt werden. Doch der von dem Dossier mit viel lauer Luft aufgepumpte Gegenentwurf zur kruden Kommunikationswelt, die Bukolik des fortgesetzten Kuschelns auf elektronikbefreiter Scholle, dort, wo die Kühe noch "Mädels" heißen, ist Kitsch, wenn nicht Propaganda.

Diese melodramatische Zuspitzung ist umso ärgerlicher, als ja tatsächlich ernst zu nehmende Probleme von dem Dossier berührt werden. Denn es ist ja nicht so, dass unsere Jüngsten immer genau wissen, was ihr reger Datenverkehr tatsächlich bedeutet - und welche Konsequenzen es langfristig haben wird, sich im Netz als der, der man ist oder sein möchte, zu profilieren. Doch genauso wenig, wie es das Internet gibt, verkaufen unsere Kinder immer einem Teufel ihre Seele, wenn sie Email schreiben oder SMS empfangen.

Jede exzessive, unbeaufsichtigte Nutzung von Freizeit-Angeboten verkehrt Sinnvolles in sein Gegenteil. Darum kann man auch hier aus den möglichen Gefahren ungeschützten Datenverkehrs nicht die Forderung nach Kommunikationsverboten ableiten. Viel wichtiger ist es, dass Eltern wissen, in welchen Foren sich ihre Kinder bewegen und was sie dort über sich selber preisgeben.

Die Besonderheiten der vernetzten Kommunikation und die Konsequenzen unbedachter Selbstdarstellung und Darstellung Anderer in digitalen Medien kann man durchaus mit Pubertierenden besprechen, ohne gleich Internet und alle sozialen Netzwerke im Web zu verbieten. Doch diese notwendige Erziehung zum mündigen Umgang mit dem Netz setzt mündige Erzieher voraus, die wissen, womit sie es online zu tun haben und was Kinder und Jugendliche dort erwartet.

Es wäre darum wesentlich sinnvoller gewesen, im Dossier das Problem der "digitalen Spaltung" zu behandeln. Hier nicht verstanden als der sich öffnende Graben zwischen Nationen, die vernetzt sind, und solchen, die es nicht sind, sondern verstanden als Kluft zwischen den Generationen. Und als Spaltung zwischen medienerfahrenen und medienunerfahrenen Menschen gleich welchen Alters. Denn es bleibt ja einerseits wünschenswert, dass Jugendliche Medienkompetenz erwerben. Kompetenz, die übrigens dazu führt, dass die Jugendlichen, die gelernt haben, Verantwortung für ihre Daten zu übernehmen, nicht mehr jedem Rattenfänger-Angebot im Netz hinterherlaufen.

Wie aber sollen soziale und ja! auch schullaufbahnrelevante Kenntnisse über die digitalen Medien erworben werden, wenn nicht in unmittelbarer Auseinandersetzung, im unmittelbaren Lernen. Das aber wird garantiert nicht stattfinden können, wenn Eltern am liebsten Knoblauch um Monitore drapieren würden, um die bösen Web-Vampire für alle Zeit zu bannen. Abgesehen davon: Eine generelle Technikphobie hat noch nie Technik verhindert.

Eine ehrliche Betrachtung der Mediennutzung in der Familie sowie die Erörterung der Bedeutung der digitalen Medien für Kinder und Jugendliche muss daher als Voraussetzung für den notwendigen Kompetenzerwerb mit Internettechnologie begriffen werden.

© SZ vom 27.06.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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