Datenwachstum der digitalisierten Welt:Explosion des Cyberspace

Die weltweit ausgetauschte Informationsmenge wächst seit Jahrzehnten exponentiell - erstmals ziehen Forscher eine Bilanz der digitalen Datenflut. Sie fällt beeindruckend aus.

Christopher Schrader

Wie viel Information lagert bei Ihnen zuhause? Welche Speicherkapazität haben Sie für Daten aller Art? Bücher können Sie dabei getrost außer acht lassen. Bedrucktes Papier enthält maximal 25 Megabyte pro dicht gefülltem Regalmeter.

Statistik Datenwachstum Grafik

Wie Datenmenge und Computerleistung gewachsen sind: Für die komplette Vergrößerung klicken Sie bitte auf die Lupe.

(Foto: Grafik: Süddeutsche Zeitung)

Ein Byte ist eine Informations-Einheit, zum Beispiel ein Buchstabe; der Regalmeter Bücher birgt also 25Millionen solcher Bytes. Das ist fast nichts im Vergleich zu dem, was in Computer-Festplatten, DVDs, Speicherchips von Kameras und Handys gespeichert ist. Das sind jeweils viele, viele Gigabyte, also Milliarden Bytes.

Für einen idealtypischen Bewohner dieser Erde sollten bei der Bestandsaufnahme 44 Gigabyte pro Person herauskommen. Beim durchschnittlichen Deutschen dürfte es weit mehr sein: Schließlich hat ja schon ein einfacher Computer eine Festplatte von 500 Gigabyte, die sich schnell mit Text, Musik, Fotos und vor allem Filmen füllt. Und manche Familien haben mehrere davon.

Die Durchschnittszahl von 44 Gigabyte stammt aus einer Studie, die zum ersten Mal umfassend die globale Menge an Information bilanziert, ihren Fluss und ihre Verarbeitung.

Vier Jahre haben Martin Hilbert von der University of Southern California in Los Angeles und Priscila López von der katalonischen Universitat Oberta mit Sitz in Santiago de Chile daran gearbeitet, haben Statistiken gewälzt und Zahlenkolonnen addiert.

Erstaunlich viele Nullen

60 verschiedene Informationsträger von der Langspielplatte bis zum Navigationsgerät stecken in der Analyse; die Autoren zeichnen die Entwicklung von den 1980er bis in die aktuelle Zeit nach (Science, online). López und Hilbert - sie Telekommunikationsingenieurin, er Wirtschaftsforscher - präsentieren Zahlen mit erstaunlich vielen Nullen.

So betrug zum Beispiel die Menge an weltweit gespeicherter Information im Jahr 2007, aus dem die jüngsten Daten stammen, 295.000.000.000.000.000.000 Byte, also 295 Trillionen Byte oder 295Exabyte. Auf CD-Roms gebrannt und aufgestapelt ergäbe sich ein Turm, der bis hinter den Mond reicht.

In Bücher gedruckt, ließe sich mit all der Information die Fläche Chinas 13 Bände hoch pflastern. Die globale Kommunikation machte in jenem Jahr gut das sechsfache aus, 1960 Exabyte. Das ist so viel, als würde jeder Mensch auf der Erde jeden Tag 174 Zeitungen bekommen und sechs davon seinem Nachbarn komplett vorlesen.

Jenseits der Vorstellungskraft

Die Rechenleistung schließlich, mit der all diese Information umgewälzt wird, beziffern die beiden Autoren in einer weiteren technischen Einheit, den Ips: Instructions per Second, also Befehle, die Computer pro Sekunde abarbeiten. Ihr Ergebnis beträgt dann 6,4Exa-Ips.

Hilberts Vergleich: "Wenn 50 japanische Meister der Abakus-Rechenmaschine auch nur eine Sekunde der Computerleistung abarbeiten wollte, würden sie so viele Jahre brauchen, wie das Universum alt ist." Die Angabe betrifft übrigens nur Computer für allgemeine Aufgaben - spezialisierte Grafikchips bieten 29-mal so viel Leistung wie die Hauptprozessoren aller Rechner der Welt zusammen.

Verblüffend sind auch die Wachstumsraten, die die beiden Buchhalter des Informationszeitalters ermittelt haben. Ihre Zahlenkolonnen enthalten Ergebnisse für die Jahre 1986, 1993, 2000 und 2007, und alle zeigen exponentielles Wachstum. Die kleinste Steigerung erzielen die Medien: TV-Sender, Radio und Zeitungen übermitteln Jahr für Jahr sechs Prozent mehr Information.

Ungebremstes Wachstum der digitalen Information

Martin Hilbert findet das eher langweilig: "Sechs Prozent, das ist ungefähr das globale Wirtschaftswachstum. Mit dieser Rate verändert sich halt die Welt." Die Telekommunikation, also Telefon und Internet, ist dagegen um 28 Prozent pro Jahr gewachsen, gut viermal so schnell wie die Weltwirtschaft.

Auch die Menge der gespeicherten Information hat pro Jahr durchschnittlich um 23 Prozent zugelegt. Die Autoren haben dabei nicht die schiere Größe der Dateien addiert, sondern jede auf ihren puren Informationsgehalt reduziert. Mit der Zeit sind auch die Techniken zum Komprimieren der Daten immer besser geworden, so lässt sich zum Beispiel ein Videofilm von drei Gigabyte inzwischen ohne merkliche Qualitätsverluste auf 50 Megabyte reduzieren.

Wie sich die digitale Revolution beschleunigt

In die Bilanz von Hilbert und López sind nur diese 50 Megabyte als Informationsgehalt eingegangen. Das bedeutet auch: Eine volle Festplatte des Jahres 2007 enthält in der Bilanz mehr Information als die gleiche Hardware sieben Jahre zuvor.

Bei den gespeicherten Daten zeigt sich auch, wie schnell die Welt von analogen auf digitale Daten umgestiegen ist: Im Jahr 2000 war noch drei Viertel aller Information analog gespeichert, 2007 nurmehr ein Zehntel. In absoluten Zahlen betrachtet ist der analoge Anteil auf die Hälfte geschrumpft, digitale Daten haben auf das 20-fache zugelegt.

Das stärkste Wachstum im erfassten Zeitraum hat aber die Rechenleistung gezeigt, die im Mittel um 58 Prozent pro Jahr wuchs. Die Rechenleistung ist damit neun Mal so schnell gestiegen wie die Weltwirtschaft.

Zur Jahrtausendwende hat sich die Kapazität in manchen Jahren fast verdoppelt, im Durchschnitt geschah es alle 18 Monate - damit hat sich Moores Gesetz auch in diesem Punkt erfüllt. Der Mitbegründer von Intel hatte 1965 das exponentielle Wachstum der Computertechnik und eine Verdopplung in diesem Rhythmus vorhergesagt.

Ein genauer Blick in die Zahlen dürfte bei vielen Menschen nostalgische Gefühle wecken, die den Wandel der Technik der vergangenen Jahrzehnte miterlebt haben. Vor 25 Jahren machten zum Beispiel Taschenrechner mit 41 Prozent den größten Einzelposten der Computerleistung aus, heute sind es Heim- und Bürocomputer (siehe Grafik).

Ein Handy mit der Weltrechenkraft von 1986

Allein in Handys und Smartphones mit ihrem Sechs-Prozent-Anteil steckt heute 1000-mal so viel Rechenleistung wie es 1986 auf der ganzen Welt gab. Supercomputer, die oft gerühmten Rechengiganten, machen nur 0,3 Prozent der aktuellen Kapazität aus.

Auch die Telekommunikation hat sich total verändert, von 80 Prozent analoger Telefonie im Jahr 1986 zu 97 Prozent Internet 2007. So etwas altmodisches wie Briefe in der Post haben ihren Drittel-Prozent-Anteil vor 25 Jahren längst verloren und werden jetzt in Tausendstel Promille gemessen.

Auch ihr absolutes Volumen schrumpt seit 1993. Dagegen wird die Medienlandschaft noch immer vom analog übermittelten Fernsehen beherrscht, dessen Anteil über die Studiendauer nur von 92 auf 74 Prozent gesunken ist.

López und Hilbert haben dabei aber nur die Sendungen gezählt, die tatsächlich irgendwo über Mattscheiben flimmern; nicht eingeschaltete Programme der Dutzenden Spartenkanäle spielten keine Rolle. "Information ist etwas, was bei einem Menschen ankommt", sagt Hilbert. "Wir konnten allerdings nicht erkennen, ob die Leute auch hinschauen."

Sind Sie bereit?

Spektakuläre Veränderungen bieten auch die Speichertechniken. Enthielten 1986 noch VHS-Videokassetten die absolute Mehrheit aller Infomation, nehmen heute diverse Festplatten einen ähnlichen Anteil auf. LPs, Tonkassetten und analoge Fotos stellten vor 25 Jahren jeweils ein Siebtel bis ein Achtel aller Informationen dar, heute sind sie unbedeutend.

Verschiedene Scheiben und digital-bespielte Bänder haben ihren Platz eingenommen. In absoluten Zahlen betrachtet haben sich die ausgedruckten Fotos aber fast verdreifacht. Und von Videos auf VHS-Kassetten gibt es heute elfmal so viel wie 1986, aber die Menge sinkt seit dem Jahr 2000 rasant.

Andere Experten, etwa die Marktforscher der Firma IDC, bilanzieren den Inhalt des "digitalen Universums" mit ähnlichen Werten wie die Forscher in Science. Und sie erwarten eine weitere gewaltige Steigerung: Von 2007 bis 2011 soll die Datenmenge auf 1800 Exabyte wachsen, also auf das 6,4-fache. "Sind Sie bereit?", fragen die Experten.

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