Datenschutz im Internet:Striptease der Gewohnheitstiere

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Immer mehr Menschen entblößen sich im Netz. Was hilft dagegen? Eine bessere Bildung und ein neues Bewusstsein für private Daten, sagt der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar.

A. Stirn

SZ-Wissen: In den Achtzigerjahren sind die Deutschen gegen die Volkszählung auf die Straße gegangen, heute geben sie im Internet bereitwillig ihr Intimstes preis. Wie konnte es so weit kommen?

Macht auf die Gefahren der Selbstentblößung im Netz aufmerksam: der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. (Foto: Foto: AP)

Peter Schaar: Wir leben in einem völlig neuen technologischen Umfeld, in einer interaktiven Welt, in der Menschen über Stadt-, Länder- und sogar Kontinentalgrenzen hinweg kommunizieren können - ganz so, wie sie es früher mit dem Nachbarn taten. Vielen ist dabei nicht bewusst, dass dieses globale Dorf eben nicht nur ein Dorf ist, sondern auch eine globale Öffentlichkeit. Dinge, die Menschen eigentlich nur ihrem Nachbarn erzählen wollten, werden so auf einmal weltweit gestreut.

SZ-Wissen: Der Mensch ist und bleibt ein Gewohnheitstier, auch im Internet?

Schaar: Ja, unsere Kultur und unser Verhalten sind geprägt von Erfahrungsmustern, die nun auf eine globale Kommunikationskultur übertragen werden. Die technologische Entwicklung ist dabei so wahnsinnig schnell verlaufen, dass Normen und ethischen Maßstäbe nicht Schritt halten konnten. Das ist das zentrale Problem.

SZ-Wissen: Welche Rolle spielen Exhibitionismus und Narzissmus beim Daten-Striptease im Netz?

Schaar: Beides ist dem Menschen ja nicht fremd. Allerdings bieten die neuen Medien jetzt neue Foren, um solche Bedürfnisse auszuleben - mit unabsehbaren Folgen.

SZ-Wissen: An was für Folgen denken Sie?

Schaar: Neben der weltweiten Verfügbarkeit der Daten ist vor allem bedenklich, dass das Netz nichts vergisst. Was einmal drin steht, bleibt auch dort, selbst wenn es an der ursprünglichen Stelle gelöscht wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben es dann bereits irgendwelche Dritte aufgezeichnet, die es später womöglich wieder ins Netz stellen.

SZ-Wissen: Warum sollten sie das?

Schaar: Denken Sie nur an die Newsgroups, die in den späten Achtzigerjahren aufkamen. Damals hat auch niemand damit gerechnet, dass sich Jahrzehnte später jeder Eintrag mit "Google Groups" recherchieren lässt. Insofern finden sich da Einträge, die überhaupt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und ihren Autoren nun Nachteile bescheren können.

SZ-Wissen: Wie bedenklich sind vor diesem Hintergrund die neuen Personensuchmaschinen, die all diese Informationen bündeln wollen?

Schaar: Im Hinblick auf Persönlichkeitsrechte ist das eine neue Dimension: Diese Dienste können Informationen zusammenführen, die für sich genommen wenig sensibel oder spektakulär erscheinen, die im Zusammenhang aber ein umfassendes Profil des Betroffenen liefern.

SZ-Wissen: Was kann man gegen den Hang zur Selbstentblößung unternehmen?

(Foto: N/A)

Schaar: Gegen Neigungen lässt sich zunächst einmal gar nichts machen. Man kann nur hoffen und darauf hinarbeiten, bei jedem Einzelnen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, in welchem Umfeld er seine privaten Daten veröffentlicht. Da hilft einzig der Appell an den menschlichen Verstand und letztlich auch an diejenigen, die diese Kenntnisse und Normen vermitteln sollen.

SZ-Wissen: Die Lehrer?

Schaar: Natürlich. Informationstechnische Bildung muss heute deutlich mehr leisten, als bloß zu vermitteln, wie etwas funktioniert. Das ist leider noch nicht vollständig angekommen. Aber auch Eltern, Politik und Medien sind gefordert. Alle, die die Kultur einer Gesellschaft bilden und daran arbeiten, dass sie sich weiterentwickelt, müssen sich diesem Problem stellen.

SZ-Wissen: Reichen die derzeitigen Datenschutzgesetze?

Schaar: Man sollte den Glauben an Gesetze in diesem Feld nicht überstrapazieren. Richtig ist, dass die Betreiber der Angebote verpflichtet sind, einen Mindeststandard an Datenschutz einzuhalten. Das verhindert aber nicht, dass derjenige Nachteile erleidet, der blindlings - oder auch in vollem Bewusstsein - seine Informationen preisgibt.

SZ-Wissen: Muss der Staat solche Menschen nicht vor sich selbst schützen?

Schaar: Das kann er gar nicht, genauso wenig wie er Kindern leider nicht vorschreiben kann, vor dem Überqueren der Straße nach rechts und nach links zu schauen. Für solche Dinge muss man, mitunter auch nach leidvollen Erfahrungen, einfach ein Bewusstsein entwickeln. Überhaupt gibt es bei uns eine ganz gefährliche Tendenz, sich wieder stärker autoritär zu orientieren.

SZ-Wissen: Was meinen Sie damit?

Schaar: Jemand, der beispielsweise bestimmte Essgewohnheiten hat, raucht oder einen riskanten Sport ausübt, gilt schnell als unverantwortlich. So gewinnen all die Informationen, die man preisgibt, zusätzlich an Bedeutung - und werden leicht zum Druckmittel.

SZ-Wissen: Das heißt, die Gesellschaft trägt eine gewisse Mitschuld daran, dass Informationen aus dem Internet die eigene Person beschädigen können?

Schaar: Es stellt sich zumindest die grundsätzliche Frage nach der Toleranz und der Offenheit der Gesellschaft. Wir haben derzeit eine Neigung zu immer umfassenderer gegenseitiger Kontrolle, und das nicht nur im Rahmen der Terrorismusbekämpfung, sondern häufig ganz fürsorglich im Alltag.

SZ-Wissen: Ist Datenschutz für junge Menschen überhaupt noch ein Thema?

Schaar: Ja, ich bekomme zunehmend den Eindruck, dass jungen Menschen manches, was da läuft, nicht mehr so ganz geheuer ist. Sicherlich gibt es auch viele Ignoranten, aber die gibt es in jeder Generation. Der Unterschied zwischen den Generationen besteht darin, dass die Jungen sich viel selbstverständlicher dieser Mittel bedienen und damit natürlich auch stärker Gefahr laufen, von negativen Folgen betroffen zu werden.

SZ-Wissen: Selbst im Zeitalter der informationellen Freizügigkeit ist Datenschutz also noch nicht obsolet?

Schaar: Nein, er ist wichtiger denn je. Er muss das Recht jedes Einzelnen sicherstellen, selbst über die Preisgabe seiner Daten entscheiden zu können. Nur: Er muss das in einem neuen Umfeld tun und der Einzelne muss dabei stärker als früher mitwirken.

Peter Schaar, Jahrgang 1954, ist seit Dezember 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.

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