Das Internet (5):Der Spielplatz ist geschlossen

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Aber das Geschäft brummt: Warum die ökonomische Zukunft des Internet längst gesichert ist.

Robert Jacobi

(SZ vom 16.10.2002) - Wenn es das Internet nicht gäbe, dann ginge es den Trendforschern schlecht. Sie nutzen das weltweite Netz als Projektionsfläche für ihre Theorien zur Zukunft des menschlichen Lebens, stellen es ins Zentrum ihrer alltagsphilosophischen Überlegungen. Die Begriffe "Internet" und "Zukunft" verschmelzen im Jargon, der Konsument sucht nach dem Sinn der Wortkaskaden und schweigt respektvoll. Klar, es hat uns schon weiter gebracht, das Netz.

Und es wird uns begleiten, das Leben erleichtern. Doch wird es tatsächlich genug ökonomischen Mehrwert erzeugen, um die Wünsche seiner Hohepriester zu erfüllen, oder wird es zum billigen Vertriebsweg für billige Güter, ohne volkswirtschaftlichen Output zu mehren und die Produktivität zu erhöhen?

Könnten wir noch ohne leben? Arbeit, Freizeit, die Ökonomien von Kontinenten, ja der Weltfrieden hängen vom Internet ab. So heißt es zumindest. In einer Serie wollen wir das Paralleluniversum durchstreifen, erzählen, wie es wurde, was es ist, was es kann und - weil Utopien zum Cyberspace gehören wie 0 und 1 - , was aus ihm werden könnte. Heute geht es um den Einfluss des Internet auf die Wirtschaft.

Matthias Horx denkt wieder einmal voraus und entwickelt das Zukunftsmodell der smart economy, in der altes Wirtschaften mit neuem verschmilzt und so ein neues, produktives Ganzes bildet. Es ist jener Matthias Horx, den Christian Kracht in einem Roman mit dem irren "Wanderprediger in dem Film Poltergeist 2" vergleicht. Heute sieht Horx anders aus, extrem seriös sogar, und das passt zu seinem Lieblingsthema. Nicht nur die lange kindisch verzückten Webfreaks und ihre Theoretiker, nein, auch das Internet selbst ist dabei, erwachsen zu werden.

Vorbei die Zeiten, als College-Studenten in Stanford einen Onlineshop für Haustiere im Wohnzimmer aufzogen und bald zu den big spender ihrer Universität gehörten; als deutsche Nachahmer folgen wollten und über die Hürden der Gewerbeanmeldung stolperten. Sie ist vorbei, die pubertäre Phase des Netzes, als Analysten und Unternehmenschefs, Journalisten und Risikokapitalgeber eine Blase erzeugten, von der nur profitierte, wer rechtzeitig verschwand. Jetzt geht es um echtes Geld, nicht mehr um zu verbrennende Millionen.

Ein Medium überlebt nur, wenn es Gewinn generiert, das zeigt die Strukturkrise der Zeitungen. Die Frage besteht darin, ob das Internet sich fortpflanzt, einen Nachfolger gebiert, bevor es ins Rentenalter eintritt und selbst den Dotcom-Tod stirbt. Blicken wir mit Herrn Horx nach vorne, begleiten wir ihn auf dem Weg in den "digitalen Realismus". Die Börse hat sich vom Internet verabschiedet, die Symbiose der vermeintlich Mächtigen zum Nachteil des Kleinanlegers hat sich aufgelöst. Tiefer Sturz.

Die Existenzkrise ist da, wird sich laut Horx sogar in eine "Adaptionskrise" verwandeln: Die Nutzerzahlen stagnieren über die nächsten Jahre. Ab 2005 aber kommt das Internet Nummer zwei, das endlich ordentliche Bandbreiten bringt, nicht ständig abstürzt und nicht minutenweise abgerechnet wird. DSL macht das Netz zum Dauergast in unseren Hirnen. Geht dann alles von vorn los, nur konzentrierter und vernünftiger? Kaum.

Manche der gängigen Theorien über die glorreiche Zukunft des Netzes haben Sinn, doch weil das Netz von der Hysterie des Booms genesen ist, wird es so bald keine Trendforscher brauchen. Es wird einfach da sein. Kein Trend mehr, sondern nur ein zusätzlicher Marketingkanal für die gar nicht alte Old Economy, die wieder die vordersten Startplätze belegt.Das Internet als Medium wird als Grundlage für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln nie ausreichen. Abgesehen von wenigen Marktführern wie Amazon oder Ebay, deren Geschäftsmodelle vor allem Zeit sparen und die sich deshalb weiter entwickeln, wenn das logistische Problem der "letzten Meile" des Produkts auf dem Weg zum Konsumenten gelöst wird.

Begrenzt überleben werden auch Plattformen, die dem Austausch von Gütern zwischen Unternehmen dienen und heute unter dem Stichwort business- to-business diskutiert werden. Die wachsende Bedeutung von Vertrauen als Geschäftskategorie führt aber dazu, dass der persönliche Austausch, der längst nicht überholte Handschlag zwischen Geschäftsleuten wieder entscheidend wird. Man geht gerne mit dem Vertreter Kaffee trinken und lässt sich zum Geschäftsessen einladen. Die Zeit der anonymen Cyberwelten ist vorbei. Zumindest wenn es nicht darum geht, schamhaft Inhalte aus dem Netz herunterzuladen, die niemand sehen soll. Kein Wirtschaftszweig profitierte mehr als die Pornoindustrie.

"Wer glaubt, das Internet sei tot täuscht sich gewaltig", schrieb kürzlich einer seiner Protagonisten, Bernd Kolb, der als Chef der Berliner Agentur ID-Media für eine große Zigarettenmarke vor acht Jahren die erste Werbewebsite ins Netz stellte. Nein, nicht tot, nur älter. Das Internet, so Kolb, dürfe "nicht länger monolithisch neben den anderen Instrumenten der Marketing-Klaviatur stehen, sondern muss in seinem In- und Output in ganzheitliche Strategien der Interessenten- und Kundenbeziehungsentwicklung eingebunden werden."

Das ist nicht schön formuliert, aber richtig: Das Internet wird den Nimbus des produktivitätsfördernden Alleskönners verlieren, sich aber als Marketingkanal etablieren, dessen Potenzial längst nicht ausgeschöpft ist. Simple Produktkataloge ins Netz zu stellen, hat keinen Effekt, denn diese unterfordern den Nutzer. Der technische und ökonomische Vorteil des Internet besteht darin, dass es nicht nur wie bei herkömmlichen Anzeigen Interesse erzeugt, sondern umfassende Informationen per Click bereitstellt, dass die Kunden direkt einkaufen können, Beschwerden oder Anregungen senden können. Die komplette Kommerzialisierung des Netzes naht, aber langsam, denn "eSpeed" ist out.

Die Rückkehr der Starken

Nicht die überlebenden Dotcoms, sondern Opel, Otto und Schlecker werden die nächste Entwicklungsstufe des Mediums prägen. Der Spielplatz wird geschlossen, die Sache ist ernst. Das Internet kann den Absatz traditioneller Produkte vorzüglich fördern - nur ist es kein Produkt an sich.

Neben den Beziehungen von Unternehmen zueinander und der Unternehmen zu ihren Kunden hat das Internet enormes Wachstumspotenzial in einem Bereich, der nur indirekt auf den volkswirtschaftlichen Output durchschlägt: Die Kommunikation innerhalb der globalen Konzerne ist ohne das Netz nicht denkbar. Deshalb wird die technische Infrastruktur fortentwickelt, obwohl die Endabnehmer sie nicht bezahlen: Zahlungskräftige Investoren sammeln Geld, um Internetknoten auszubauen - es gibt keinen effizienteren Weg für Mitarbeiter, sich weltweit auszutauschen.

In genau diesem Moment entsteht die ökonomische Zukunft des Internet. Es wird nichts mit den Depression. Umbrüche, das ist wirtschaftshistorisch belegt, dienen nicht nur der Gesundung nach dem Hype, sondern vor allem der konsequenten Rückkehr zur Qualität. Selbst wer heute eine Internetfirma aufmacht, hat Chancen, dafür Geld zu bekommen - dann nämlich, wenn ein großer Konzern glaubt, dass er diese Geschäftsidee später brauchen kann. Fehler sollen die anderen machen. Wenn die Idee nicht funktioniert, so das Kalkül, hat es zumindest den eigenen Konzern nicht viel gekostet. Das ist die Rückkehr der Starken. Smart Economy.

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