Computerspiele und Gewalt:Der große Klau

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Hass und Sucht als Folge von PC-Spielen? Hört man Experten und Politikern zu, scheint ein Zusammenhang von Gewalt und Games logisch. Doch amerikanische Forscher warnen vor Panikmache.

C. Brinck

"Brutal-TV und Gruppendruck macht Kinder zu Kriminellen", schreibt die österreichische Kronen-Zeitung. Nicht nur Radaublätter klingen so alarmistisch. Einst fragte die Illustrierte Max nach dem Erfurter Amoklauf 2002: "Trägt am Ende die Gesellschaft die Verantwortung, (...) die ihre Kinder in einer virtuellen Welt der Computerspiele zurücklässt?" Auch die Zeit suggerierte unlängst in einem Dossier Gewissheit über den Zusammenhang von Gewalttätigkeit und Videospiel. Und auch bei den finnischen Amokläufen an ansonsten friedlichen Schulen des Pisa-Siegers hätte so mancher sicherlich gern sofort den schwarzen Peter den Medien zugeschustert. Beide finnische Amokläufer haben vor ihrer Tat mit Schusswaffen auf Youtube geprotzt. Youtube hat diesmal schnell reagiert und schon nach einer Stunde die Seite gesperrt. Es war die Polizei, die die Gewaltbotschaft nicht zu interpretieren wusste. Psychopathen sind offenbar nicht immer leicht zu identifizieren.

Viedeospiele: Die Ursachen für Gewalt liegen nicht in den Medien, sondern in der Gesellschaft. Die wahren Probleme von Kindern werden oft nicht erkannt (Foto: Foto: ap)

Hass und Sucht als Folge von TV und Computerspielen? Hört man Experten und Politikern zu, ist ein Zusammenhang von Gewalt und Games klar etabliert. So wurde von Josef Kraus, dem Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes, schon früh verkündet, dass der Konsum gewalthaltiger Spiele nachhaltig prägen kann, denn "Gewalt wird als normal erlebt". Kinder, die gewalttätige Videospiele spielen, so kann man es wieder und wieder lesen, seien unkommunikativ, isoliert und schlecht in der Schule. Die beste Art, Kinder zu schützen sei, sie von Videospielen fernzuhalten.

"Eine soziale Aktivität"

Zwei Harvardforscher, das Ehepaar Lawrence Kutner und Cheryl K.Olson, kommen in einer neuen, großen Studie zu ganz anderen wissenschaftlichen Resultaten. Grand Theft Childhood ("Der große Kindheitsklau") heißt der Titel des Buches in Anlehnung an das populäre Spiel GTA, Grand Theft Auto ("Der große Autoklau"). Der Untertitel lautet: "Die überraschende Wahrheit über Videospiele und was Eltern tun können."

Das Buch der beiden Forscher des Center of Mental Health and the Media am Massachusetts General Hospital wirft einen besonnenen Blick auf Videospiele und Jugendgewalt. Wie der Untertitel andeutet, ist eines der Ziele, Eltern mit Rat zu versorgen - eine ganz eigene Antwort auf die Anti-Spiele-Hysterie. Kutner und Olson werteten schriftliche Befragungen von 1200 Kindern und Jugendlichen und 500 Eltern aus allen sozialen Schichten aus und führten Interviews. Eine große Mehrheit der befragten Jugendlichen spielten regelmäßig gewalttätige Spiele, die nicht für ihre Altersklasse gedacht waren. Bei den Jungen waren die GTA Titel (mittlerweile gibt es vier) die am häufigsten gespielten. Bei den Mädchen kamen die GTA Spiele gleich hinter den populären SIMS Spielen auf den zweiten Platz.

Zieht die regelmäßige Beschäftigung mit Gewaltspielen nun gewalttätiges und asoziales Verhalten nach sich? Unwahrscheinlich, sagen die Forscher. Zuweilen beobachteten sie Problem-Verhalten bei Kindern, die Spiele jenseits ihres Alters spielten, vermuten aber keinen kausalen Zusammenhang. Ihre Forschung förderte stattdessen zutage, dass Jungen, die mit Ladendiebstahl und Prügeleien auffallen, mit Videospielen eher selten hantieren. Durch das ganze Buch zieht sich wie ein roter Faden der soziale Aspekt von Spielen, insbesondere für Jungen. Die Spiele bringen sie mit anderen zusammen und sorgen sowohl für Gesprächsstoff wie für Freizeit. Nicht Digital-Autismus ist das Typische der Spielerei, sondern das gemeinsame Spielen, der Austausch über die Rollen und Funktionen, laut Olson "eine hochgradig soziale Aktivität".

Jugendkriminalität sinkt stetig

Die Schnellschlüsse der Pop-Psychologie, die nach jeder Schulschießerei und nach jeder Katstrophe, wie jetzt in Finnland, den geraden Strich von Videospiel- konsum zur Gewaltentladung ziehen, werden durch die 1,5 Millionen Dollar teure Studie relativiert. Zwar waren die Columbine-Killer Dauer-Doom-Spieler, aber sie spielten allein und nicht mit Freunden. Doom war weder Ursache noch Auslöser ihres Gewaltausbruchs, das waren ihre psychische Erkrankung. Der eine war schwer depressiv, der andere ein Soziopath, wie das FBI profilierte. Eine andere Untersuchung von 37 Fällen schulischer Gewalt in den USA kommt zu dem Schluss, dass es kein Muster gibt. Nur ein Täter von vieren hatte sich für Gewaltfilme, nur einer von acht sich für gewalttätige Videospiele interessiert.

Kutner und Olson nehmen exzessives Interesse an Gewaltvideos nicht leicht, sehen es aber eher als symptomatisch für schwerwiegendere Probleme. In solchen Fällen, notieren sie, ist das Spielverhalten das geringste Symptom in Bezug auf tief sitzende psychische und soziale Probleme. Nicht nur die zwei US- Forscher warnen davor, die Computerspiele zu dämonisieren und damit größere Probleme zu verschleiern. So wies der deutsche Medienforscher Michael Kunczik vor Jahren darauf hin, dass die Hauptursachen für Gewalt nicht in den Medien, sondern in gesellschaftlichen Ursachen lägen.

Gewaltsame Jugendkriminalität geht seit Jahren zurück, der Verkauf von Videospielen nimmt aber unaufhörlich zu. Allein der Verkauf des jüngsten GTA IV erlöste am ersten Wochenende 500 Millionen Dollar, dagegen verblasst sogar der aktuelle Batman-Erfolg. Neun Millionen verkaufte GTA-Spiele werden geschätzt. Die Jugendgewalt müsste da unermesslich steigen, tut es aber nicht.

"Reduziert die Gewalt in der Familie!

Kutner und Olson geben sich große Mühe, über die verschiedenen Spiele aufzuklären, vor allem über solche mit pornographischen, rassistischen oder anderen Titeln, die nicht frei von Eigeninteressen oder Produkt-Promotion sind und auf den Bildschirmen neugieriger Kinder landen können. Freilich sehen die Forscher hier eine große Chance für den Anfang eines ernsthaften Gesprächs zwischen Eltern und Jugendlichen. Auch entwerfen Kutner und Olson ein nuanciertes Bild von der Wirkung der Gewalt von Videospielen. Sie stellen einen Menge Fragen und äußern manche Sorge, aber schlussendlich steht für sie fest, dass es weit größere Probleme im Leben der Kinder gibt. So bleibt ihre Empfehlung an die Eltern: Interessiert euch für die Spiel-Aktivitäten eurer Kinder. Kümmert euch um die tatsächlichen Probleme im Leben der Kinder. Sorgt für ein hohes Maß an Medien-Kenntnis und legt euer Hauptaugenmerk auf die echten Gefahren, denen Kinder ausgesetzt sind.

Die Botschaft von Grand Theft Childhood ist also eine Mahnung zur Vorsicht und ein Plädoyer gegen die Game-Panik. ,,Instabile Familien stehen da an erster Stelle, die Massenmedien stehen eher ganz unten‘‘, zitieren die Forscher Laurence Steinberg, den bekanntesten Spezialisten für Adoleszenz. Steinberg nennt vier Punkte zur Gewaltvermeidung: "Reduziert die Gewalt in der Familie! Kennt die Freunde der Kinder und erfahrt, wie sie miteinander umgehen! Benutzt nie körperliche Gewalt gegenüber den Kindern! Bringt dem Kind bei, Luft zu holen bevor es reagiert.

© SZ vom 25.09.2008/gut - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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