Blog in Kuba:Vom zweifelhaften Glück, nicht gelesen zu werden

Lesezeit: 5 min

Yoani Sánchez' Gespür für Meinungsfreiheit: Über die Probleme, auf Kuba ein Internettagebuch zu führen.

Franziska Seng

Der Büroartikelladen liegt an einer stark frequentierten Straßenecke Havannas. Zwischen der Calle Obispo und dem Parque Central verkehren ausländische Gäste auf dem Weg in das teilrenovierte Zentrum der Stadt, ruinöse Autos dröhnen an den Ampeln um die Wette. Es ist ein guter Ort, um sich zu Kutschenfahrten oder illegalen Zigarrenkäufen überreden zu lassen oder die Mischung aus Tropenholzaromen und ungefiltertem Dieselgestank zu inhalieren. In dem Geschäft, das Yoani Sánchez mit einem Blätterkonvolut betritt, ist es ruhiger.

Yoani Sánchez: Die 33-jährige Bloggerin berichtet in ihrem Internettagebuch "Generación Y" vom Alltag in ihrem Land. (Foto: Foto: afp)

Die 33-jährige Bloggerin, die in ihrem Internettagebuch "Generación Y" vom Alltag in einem Land berichtet, das seit Jahrzehnten die Revolution probt, hätte heute eigentlich Grund zum Feiern. Sie hält 256 Seiten in den Händen, sämtliche Einträge seit dem Start ihres mittlerweile mehrfach preisgekrönten Blogs im April 2007. Freunde haben ihr beim Ausdrucken geholfen, und nun sieht sie zum ersten Mal, wie ihr Blog überhaupt aussieht. Denn auf Kuba ist er gesperrt, niemand, auch nicht sie selbst, kann ihn im Internet aufrufen.

Unorthodoxe Einsichten

Doch als sie dem Angestellten ihre Drucksache überreicht, damit er sie mit einer Spiralbindung fixiert, und beobachtet, wie er umständlich einen dünnen Packen nach dem anderen greift, um ihn zu lochen, lächelt sie lakonisch. "Es dauert eben etwas länger hier", erklärt sie. Sie lächelt immer noch, als sie die Arbeit des Angestellten weiter verfolgt und feststellt: "Zum Glück ist er nicht daran interessiert, es zu lesen."

Als kubanischer Blogger muss man auf unorthodoxe Einsichten gefasst sein. Etwa, dass man für ein Internettagebuch keinen eigenen Internetanschluss, dafür aber unbedingt Freunde im Ausland braucht. Oder, dass es manchmal ein Glück sein kann, nicht gelesen zu werden - wenn der Angestellte wüsste, dass er den Ausdruck einer verbotenen Homepage in Händen hält, könnte sich ihr Warten auf unbestimmte Zeit verlängern.

Kein Internetanschluss für Privatpersonen

Yoani Sánchez kennt auch das Glück, gelesen zu werden. Spätestens seit sie das Time Magazine 2008 zu den hundert einflussreichsten Menschen der Welt gezählt hat, herrscht auf ihrem Blog, in dem sie kein Wort über Politik verliert, ein reger Meinungsaustausch. Auf manche Einträge, in denen sie etwa die patriotischen Verpflichtungen ihres Sohnes oder den unverbrüchlichen Opportunismus ihres Nachbarn beschreibt, erhält sie über viertausend Leserbriefe.

Der Bedarf an unabhängigen Ansichten aus dem Inselstaat ist groß. Freie Meinungsäußerung wird unterdrückt, die kubanische Blogger-Szene ist übersichtlich. Was auch daran liegt, dass Privatpersonen offiziell keinen Internetanschluss besitzen dürfen und die Zugänge in den wenigen Cybercafés zu langsam, oft auch zu teuer sind. "Es gibt im ganzen Land zwölf unabhängige Blogger", so Yoani, "Ich kenne sie alle." Sie möchte, dass viel mehr Kubaner ihre persönliche Sicht schildern, und als ihr fertiges Manuskript über die Theke geschoben wird, ist sie diesem Ziel einen Schritt näher. Am nächsten Tag wird sie es mit nach Santiago de Cuba nehmen, um den Leuten dort Lust auf einen eigenen Blog zu machen. Zugleich zeigt die Geste, wie schlecht es um die Infrastruktur ihres Ziels bestellt ist: Damit die Einwohner der zweitgrößten Stadt des Landes Yoanis Internettagebuch lesen können, muss sie es ausdrucken und mitbringen.

Gegen Frustration und Apathie

Bepackt mit einem riesigen Rucksack, der die zarte Person noch kleiner wirken lässt, bewegt sie sich rasch vorwärts, erzählt von ihren Arbeitsbedingungen, Projekten und Beweggründen, ihre Geschichten, nicht selten von literarischer Qualität, überhaupt im Internet zu veröffentlichen. So hätte sie mit dem Blog angefangen, um gegen Frustration und Apathie anzukämpfen; zu viel angestaute Wut. Geschichten muss man in Havanna nicht suchen, man findet sie auch unfreiwillig. Seit längerem wird sie vom Regime überwacht. Trotzdem, schreibt sie in einem Eintrag, will sie sich ihr Lächeln nicht verbieten lassen, "denn schallendes Gelächter ist wie Granit für die Zähne der Machthaber".

Yoani ist es wichtig, nicht als Dissidentin bezeichnet zu werden. Sie will keine Opposition, keinen Umsturz bewirken. Vielleicht kann man ihre Arbeit als infrastrukturelle Maßnahme bezeichnen, etwa wenn sie, wie vor kurzem, mit anderen Blogger den Hostingservice vocescubanas.com gründet, womit Internetnutzern auf Kuba die Eröffnung eines Blogs erleichtert werden soll. Am 28. Januar ging die Seite online, zugleich ein wichtiger Feiertag auf Kuba: der Geburtstag des Dichters, Freiheitskämpfers und Nationalhelden José Marti. Die Straße, die Sánchez nun auf dem Weg ins Hotel Sevilla überquert, war an jenem Tag Schauplatz eines großen Aufmarschs. Havannas Schüler rücken an, sie singen zu scheppernder Revolutionsmusik aus dem Lautsprecher und tragen Plakate, wobei die Sohlen ihrer teuren Markenturnschuhe den Stechschritt merklich dämpfen. Yoani hofft, dass die neue Seite nicht gleich wieder gesperrt wird und einige Jugendliche einen Blog eröffnen.

Internetterminals als Luxus

Immerhin, so könnte sie argumentieren, hat man als kubanischer Blogger einen repräsentativen Arbeitsplatz mit internationalem Flair, wie etwa das Hotel Sevilla mit seiner frisch und grell gestrichen Fassade in maurischem Stil. Al Capone hatte einmal eine ganze Etage für sich gemietet, Graham Greene verewigte es im Roman "Unser Mann in Havanna". Der größte Luxus für sie und andere Blogger sind die Internetterminals, über die Nobelhotels wie das Sevilla, das Inglaterra oder das Melia Cohiba verfügen und die ursprünglich nur für Touristen gedacht waren.

Nachdem Yoani unter den Blicken von Sicherheitsleuten im Innenhof Platz genommen hat, erklärt sie: "Die Angestellten kennen mich und wissen, was ich tue, aber die großen Hotels sind keine rein staatlichen Unternehmen. Es ist schwierig für den Staat, einzugreifen." Außerdem hätte sie ja nichts zu verbergen: "Ich organisiere keine politische Opposition, ich habe keine Waffen unter meinem Bett." Und so besucht sie regelmäßig die besten Adressen der Stadt um die Texte, die auf ihrem Notebook am Küchentisch, entstehen, an den Freund zu mailen, der den Blog vom Ausland aus verwaltet.

Absurder Alltag

Forderungen wie "Demokratie", kritische Adressen an das kubanische Staatsoberhaupt und den pensionierten Bruder, den sie am liebsten "großer Hypnotiseur" nennt, wird man in ihrem Blog vergeblich suchen. Trotzdem ist der subjektive Blick dieser Frau, deren Gesichtszüge sanft und freundlich wirken, sobald sie die dunkle, kantige, ebenfalls viel zu große Sonnenbrille abnimmt, gefährlicher für das Regime als markige Pamphlete. Denn er registriert den absurden Alltag, in dem man nach fünfzig Jahren der permanenten Revolution angekommen ist, die Zumutung der gepinselten Parolen und Paraden, die sie als "revolutionären Kitsch" bezeichnet, die Lebensmittelknappheit in einem fruchtbaren Land, die verfallenden Wohnungen. "Wird der Wunsch, ein Haus zu besitzen, dessen Dach nicht einfach vom Wind fortgerissen wird, je aufhören eine kleinbürgerliche Schwäche zu sein?", fragt sie Anfang Januar. Kurz zuvor hatte das Staatsoberhaupt zum fünfzigsten Jubiläum der Revolution die Bürger auf weitere Jahre der Entbehrung eingeschworen.

Nicht alle ihrer Landsleute wollen so kritisch sein. "Kuba", resümiert sie zu den Klängen der Buena-Vista-Social-Club-Coverband, "ist eigentlich ein Land alter Menschen. Wer lange in diesem System gelebt hat, stellt verständlicherweise sein Leben ungern in Frage. Wer jung ist, will einfach nur weg." Das, was sie sich am dringlichsten wünsche, sei Meinungsfreiheit. "Würde es nicht mehr bestraft werden, öffentlich seine Meinung zu sagen, dann holten viele Bürger die guten Ideen und Projekte, die in ihren Köpfen und Schubladen schlummern, hervor." Momentan muss man sich immer noch hüten, zu viel Eigeninitiative zu zeigen. "Vier oder fünf Exemplare davon", sie deutet auf das Manuskript, "wären schon feindliche Propaganda."

Enttäuschung über ausgebliebene Reformen

Für die ferne Zukunft möchte sich Yoani durchaus als Optimistin bezeichnen. Doch die nächsten Jahre bereiten auch ihr Sorgen. Die Situation des Landes sei vergleichbar mit einem alten, kaputten Haus in Centro Havanna: "Es ist offensichtlich, dass alles bald einstürzen wird. Die Frage ist nur, wann genau?"

Immerhin, die Leute beginnen langsam zu reden, äußern Unzufriedenheit. Seitdem der "große Hypnotiseur" seine Omnipräsenz aufgeben musste, sein Nachfolger die Massen nur unzureichend beschwichtigen kann, wollen viele nicht mehr schweigen. Die Enttäuschung über die ausgebliebenen und die wirkungslosen Reformen ist einfach zu groß. Verbindet ihr Land nicht auch Hoffnungen mit Barack Obama? "Ja, natürlich freuen wir uns", wobei sie leicht das Gesicht verzieht. "Aber es wäre doch besser, wenn wir nicht immer nur hofften und warteten auf das, was uns von Außen zustößt. Sondern etwas aus eigener Kraft schafften." Sie packt ihr Manuskript unter den Arm und rauscht an den Türstehern vorbei, die ihr etwas ratlos hinterher sehen.

© SZ vom 13.2.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: