Automatische Kennzeichenerfassung:Spione auf der Straße

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In einigen Bundesländern überwacht die Polizei flächendeckend den Verkehr. Am Dienstag verhandelt Karlsruhe diese Praxis. Kritiker sprechen von einer "elektronischen Totalkontrolle".

Helmut Kerscher

Es tut nicht weh. Es geht sekundenschnell, bleibt meistens unbemerkt und fast immer folgenlos - das automatische Erfassen von Kfz-Kennzeichen durch die Polizei. "Fast folgenlos" heißt zum Beispiel, dass in Bayern in einem Monat 0,03 Promille der gescannten Kennzeichen durch einen Datenabgleich als verdächtig identifiziert, die übrigen sofort gelöscht wurden.

Eine Polizistin richtet in Hamburg während einer Verkehrskontrolle ein Kennzeichen-Lesegerät aus. (Foto: Foto: dpa)

"Fast" heißt aber bei fünf Millionen erfassten Kennzeichen auch, dass die Kontrolle für 150 Halter oder Fahrer pro Monat eben doch gravierende Folgen hat. Sei es nur, wie häufig, wegen einer fehlenden Haftpflichtversicherung oder gar wegen eines gestohlenen Autos.

Ist es eigentlich erlaubt, den Straßenverkehr flächendeckend zu überwachen, ohne dass es einen Anlass oder einen Verdacht gibt? Das fragen drei Autofahrer das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das an diesem Dienstag bei einem "Tag der offenen Tür" in einer öffentlichen Verhandlung nach Antworten sucht.

Die Bürger greifen mit ihren Verfassungsbeschwerden zwar nur Gesetze der Bundesländer Hessen und Schleswig-Holstein an. Betroffen sind aber auch sechs weitere Länder, die unterschiedlich ausgestaltete Rechtsgrundlagen für die automatische Kennzeichenerfassung geschaffen haben: Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Weitere wollen folgen.

Höchst interessiert werden auch Bundespolitiker den Prozess beobachten. So hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon vor drei Jahren erfolglos verlangt, der Bundespolizei die automatische Erfassung von Kfz-Kennzeichen zu erlauben.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte erst kürzlich in Karlsruhe gesagt, das Verbot der Weitergabe von Kfz-Kennzeichendaten, die mittels Autobahn-Maut-Technik erfasst wurden, sei ein Fehler gewesen, den es zu korrigieren gälte. Das habe sich nach dem Mord an einem Parkplatzwächter an einer Autobahn im Jahr 2005 gezeigt, der mit Hilfe der Toll-Collect-Daten vermutlich aufgeklärt wäre.

Zudem schauen Bundespolitiker nicht nur wegen der nahezu unbegrenzten Möglichkeiten einer totalen Kennzeichen-Kontrolle im fließenden Verkehr nach Karlsruhe. Sie fragen sich auch, ob nicht - wenn und soweit diese Überwachung zulässig sein sollte - der Bund zuständig wäre, weil es sich bei der Suche nach Verdächtigen im Kern um Strafverfolgung handle, die in der Zuständigkeit des Bundes liege. Die Länder sind nur für die polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig, also beispielsweise für die Verhütung von Verkehrsunfällen.

Der Erste Senat wird unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier und unter der Federführung des zuständigen Richters Wolfgang Hoffmann-Riem einige sehr kritische Fragen stellen. Immerhin entschied dasselbe Gericht im Frühjahr 2006 im Prozess um die Rasterfahndung, die Verfassung lasse "grundrechtseingreifende Ermittlungen ins Blaue hinein nicht zu".

Darauf und auf die Gefahren einer "elektronischen Totalkontrolle" werden Datenschützer wie Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig Holstein verweisen. Er hält die im Frühjahr 2007 von der Landesregierung in Schleswig-Holstein beschlossene Regelung für verfassungswidrig. Weichert warnt vor der Gefahr falscher Verdächtigungen aus technischen Gründen und vor weiteren Nutzungen. So könnten künftig auch Temposünder automatisch erfasst werden.

© SZ vom 20.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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