Auswertung des Einkaufsverhaltens:Wie der Ladenkunde gläsern wird

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Das Lieblings-Ladenregal der Kunden per Mobilfunksignal herausfinden, den Ladendieb an seinem Bewegungsprofil erkennen: Der Einzelhandel entdeckt die digitalen Möglichkeiten, das Verhalten der Kunden zu analysieren.

Helmut Martin-Jung

Damals, In den Anfangszeiten des World Wide Webs war ein Cartoon des Magazins The New Yorker populär. Er zeigte zwei Kläffer vor einem PC: "Im Internet", stand darunter, "weiß niemand, dass du ein Hund bist."

Unkontrolliertes Einkaufen war gestern: Supermarkt-Betreiber wollen inzwischen mit technischen Hilfsmitteln herausfinden, wie sich ihre Kunden verhalten. (Foto: dpa)

Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute stöbert man im Angebot eines Online-Schuhladens, und am nächsten Tag werden einem Anzeigen für exakt jene Schuhe präsentiert, die man sich angeguckt hatte - auf ganz anderen Webseiten. Da wird klar: Jeder Klick, den ein Nutzer irgendwann und irgendwo macht, wird überwacht und ausgewertet. Von solchen Möglichkeiten konnten die Besitzer herkömmlicher Geschäfte bis vor wenigen Jahren nur träumen, doch auch das ändert sich.

Mit immer ausgeklügelteren Systemen erfahren nun auch Ladenbetreiber, vor welchem Regal die Kunden besonders gerne verweilen und wo sie bloß schnell vorbeihuschen. "Das ist ein Riesenthema für den Einzelhandel", sagt Roland Billeter, Europachef der weltweit agierenden Firma ADT. Ende 2010 präsentierte ADT, Tochter des US-Mischkonzerns Tyco, eine Software, die in der Lage ist, aus dem Gewusel der Kunden in einem Geschäft eine Übersicht nach Art eines Wärmebilds zu erzeugen.

Welches Regal hat es dem Kunden angetan?

Ob die Aktionsware günstig platziert wurde, welches Regal es den Kunden besonders angetan hatte - Fragen wie diese lassen sich damit in Echtzeit beantworten. Dabei müssen in den Geschäften meist keine aufwendigen Systeme installiert werden.

Die Software kommt auch mit den Bildern zurecht, die sie aus der vorhandenen Videoüberwachungsanlagen bekommt. Und der Inhaber muss nicht einmal in seinem Laden sein. Es reicht ein internetfähiges Smartphone, um die vom System zusammengestellten Daten auch mobil abzurufen.

Handys sind der Schlüssel für eine Technik, die der britische Anbieter Path Intelligence perfektioniert hat. Das FootPath-System, gedacht für größere Supermärkte oder Shopping Center, empfängt die Signale, die Mobiltelefone auf die regelmäßig ausgesendeten Anfragen von Mobilfunksendeanlagen zurückschicken, und erstellt daraus Bewegungsbilder, die auf wenige Meter genau sind.

Wohin gehen Kunden hauptsächlich, wenn sie ein bestimmtes Geschäft verlassen? Fragen wie diese soll FootPath beantworten. Dabei, beteuert die Firma, werde die Anonymität der Kunden gewahrt: "Das System", heißt es in einem offiziellen Papier von Path Intelligence, "registriert nur, dass ein Mobiltelefon präsent ist."

Dem prominenten US-Senator Charles Schumer geht das britische System dennoch zu weit: "Es kann nicht Sache der Kunden sein, ihr Handy auszuschalten, wenn sie eine Shopping Mall betreten, damit sie nicht virtuell verfolgt werden", sagte er, als bekannt wurde, dass zwei amerikanische Malls das System am Black Friday, dem Tag nach Thanksgiving Ende November, eingesetzt hatten.

"Handys der Kunden sollten nicht von Dritten als Mittel eingesetzt werden, um deren Spuren aufzuzeichnen", forderte der Senator. Die britische Firma hält dagegen, dass man nur das tue, was sich in der Online-Welt schon längst eingebürgert habe. Daten auf der Ebene eines Individuums würden niemals weitergegeben, alle Kunden würden zudem gebeten, darauf hinzuweisen, dass ihr System in Betrieb sei.

Die meisten Überwachungssysteme dienen nicht bloß dazu, Kundenströme zu erfassen, sondern sollen auch Ladendiebstahl verhindern. "In weltweit vertretenen Ladenketten kommt schon etwas zusammen, wenn in jedem Geschäft täglich für ein paar hundert Euro Ware wegkommt", sagt Roland Billeter von ADT. Weil ein gutes Überwachungssystem bis zu 90 Prozent davon verhindern könne, machten sich dessen Kosten schnell bezahlt.

Ein Dieb bewegt sich anders

Neben den bekannten Systemen, die mit gut sichtbaren Ansteckern arbeiten, die an der Kasse entfernt werden, gibt es auch nicht unmittelbar sichtbare Schutzvorrichtungen. Software von ADT ist beispielsweise in der Lage, verdächtige Bewegungsmuster potentieller Ladendiebe zu erkennen. "Ein Dieb bewegt sich anders als jemand, der nichts stehlen will", sagt Billeter.

Das Videoüberwachungssystem weise den Operator auf solche Auffälligkeiten hin, die dieser dann weiterverfolgen kann. Zwei der vier größten Ketten seien gerade dabei, auf Bekleidungslabel umzusteigen, die einen kleinen Chip enthalten, sagt Billeter. Für die Firmen bringt die Technik mit Radio Frequency Identification (RFID) viele Vorteile. Die Inventur lässt sich für ein durchschnittliches Ladengeschäft in einer halben Stunde erledigen, Container und Kartons müssen nicht eigens geöffnet werden, um zu sehen, was darin ist.

Gegen die schlauen Labels, die eine Ziffernkombination zurückfunken, wenn sie ein elektromagnetisches Signal von einem Lesegerät erhalten, gibt es aber auch Datenschutzbedenken. So protestierte erst vor kurzem die Datenschutz-Initiative Foedbud in Bielefeld vor einem Geschäft der Gerry-Weber-Kette, die bereits auf RFID-Labels setzt. Das Problem lässt sich allerdings lösen: Man braucht das Label nur an einer bereits dafür vorgesehenen Linie abzutrennen.

© SZ vom 30.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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