Antwortmaschine Wolframalpha:Der technische Makel

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Die neue Webseite Wolframalpha soll präzise Antworten auf menschliche Fragen liefern. Bei einem ausführlichen Test offenbart die Seite einige Stärken und viele Schwächen.

Johannes Boie

Ein Mensch fragt - eine Maschine antwortet. Im Prinzip war es das, wonach die Ankündigungen des britischen Mathematikers Stephen Wolfram klangen. Und dem Autor der revolutionären Software Mathematica ist in der Tat einiges zuzutrauen. Ausgebildet in Eton und Oxford, schrieb er erste wissenschaftliche Abhandlungen mit 15 Jahren. Sein neuester Streich, die Webseite Wolframalpha, werde auf der erfolgreichen Mathematica-Software basieren, kündigte Wolfram an, und auf vielen, sorgfältig ausgewählten Quellen. Außerdem - und das trug erheblich zum Hype um die Software bei - solle Wolframalpha menschliche Fragen verstehen können.

Stephen Wolfram brachte die Internet-Suche Wolframalpha an den Start. Die IT-Welt wartete gespannt. Ein Googlekiller ist die Seite sicher nicht. (Foto: Foto: dpa)

Schnell wurde im Netz von einem potentiellen Google-Konkurrenten geraunt. Das Gerücht vom Googlekiller ging freilich an dem vorbei, was Wolframalpha wirklich ist - und auch an dem, was Wolframalpha sein will. Die Seite ist jetzt eine knappe Woche unter wolframalpha.com online für jedermann erreichbar - aber der Traum von der schlauen Antwortmaschine ist ein frommer Wunsch geblieben. Stattdessen bekommt der Benutzer eine schnell und einfach zu bedienende Datenmaske, hinter der sich einerseits eine gigantische Datenmenge verbirgt und andererseits eine sehr anspruchsvolle Rechenmaschine, nämlich die, die auch in Mathematica für Ergebnisse sorgt. Anders als herkömmliche Suchmaschinen, bietet Wolframalpha keine Links als Antworten an. Wolframalpha möchte eine wissenschaftlich nutzbare Antwortmaschine in englischer Sprache sein, die konkrete Antworten auf die Fragen des Nutzers liefert.

Das gelingt mal besser, mal schlechter, je nachdem, wie und ob Wolframalpha die Frage des Nutzers im Eingabefeld versteht. Wolframalpha versteht - anders als angekündigt - mitnichten Umgangssprache. Stattdessen scheint die Seite, Google nicht unähnlich, auf Stichworte im Eingabefeld zu horchen, an denen sie sich orientieren kann. Die zweite Hürde ist der Datensatz von Wolframalpha, der zwar beeindruckend groß ist, aber noch lange nicht umfangreich genug, um auf jede Frage eine Antwort parat zu haben.

Einen kurzen Streifzug voller Fragen zum populärsten Teil amerikanischer Popgeschichte kann Wolframalpha nur unbefriedigend beantworten: Die Eingabe "paint it black" kontert die Datenbank mit dem Erscheinungsdatum des Liedes ("43 years ago - May 1966"), der höchsten je erreichten Chartposition ("1") und den Namen der Songwriter ("Mick Jagger, Keith Richards"). Bis die Daten als Graphik aufbereitet sind, muss der Anwender bis zu 30 Sekunden warten. Das ist im Internet eine kleine Ewigkeit. Sobald es um etwas weniger bekannte Stichwörter aus dem Pop-Universum geht, muss Wolframalpha passen.

Ähnlich verhält es sich mit geschichtlichen Abfragen: Karl der Große ist Wolframalpha noch ein Begriff, wenn auch in für einen Kaiser ungebührlicher Kürze. Vollständiger Name, Geburtsjahr und Todestag des Herrschers sind verzeichnet und auf einem Zeitstrahl visualisiert. Was aber ist mit Karls Vater, Pippin dem Jüngeren, auch genannt: der Kurze? Wolframalpha muss passen. Das ist für eine Suchmaschine mit wissenschaftlichem Anspruch ein großer Makel.

Wesentlich stärker zeigt sich die Software bei geographischen Abfragen. Exemplarisch nach dem ebenso kleinen wie unbedeutenden Ort Gechingen im Nordschwarzwald gefragt, bringt Wolframalpha eine Einordnung ("Baden-Württemberg, Deutschland"), die korrekte Einwohnerzahl des schwäbischen Fleckens ("4111") und eine Deutschlandkarte mit Markierung des Ortes, die sich jederzeit mit einem Satellitenbild von Google ergänzen lässt. Außerdem zeigt Wolframalpha Wetterverlauf, Höhenlage und - etwas beliebig - die "nächstgelegenen größeren Städte" ("Stuttgart, München") samt Distanzen an. Die Abfrage ist graphisch ansprechend dargestellt, präzise und inhaltlich korrekt.

Wolframalpha lässt den Nutzer im Unklaren, was die der Antwort zugrunde liegenden Quellen betrifft. Einwohnerzahlen von Städten oder Ländern werden zum Beispiel mit der Primär-Quelle "Wolframalpha Daten" begründet, was auch immer darunter zu verstehen ist. Darüber hinaus gibt die Software 19 weitere, meist öffentliche zugängliche Quellen an; zum Beispiel Daten des amerikanischen Bundesbüros zur Volkszählung. Genauere Angaben gibt es nicht. Für geisteswissenschaftliche Arbeiten auf wissenschaftlichem Niveau ist die Webseite daher nicht geeignet. Außerdem wirft der ungenaue Umgang mit Quellen die Frage auf, warum man sich die Mühe macht, ein Expertengremium zur Datenverarbeitung anzuheuern, während die Öffnung des Projektes zu einer Open-Source-Bewegung Tausende begeisterte Mitarbeiter generieren könnte.

Unschlagbar ist Wolframalpha beim Umgang mit Formeln, bei Rechenaufgaben, Kurven, Noten und chemischen Verbindungen. Auf dem naturwissenschaftlichen Feld dürfte die Neuentwicklung sämtliche verfügbaren Online-Tools abgehängt haben. Der Mathematica-Unterbau macht sich hier positiv bemerkbar. Andererseits gibt es bereits zahlreiche Programme, die in diesem Feld offline ausgezeichnete Arbeit abliefern.

Wolframalpha ist keine barrierefreie Webseite, sie ist nicht unabhängig von technischen und physischen Möglichkeiten der Nutzer verwendbar. Das ist für eine neu entwickelte Seite nicht akzeptabel. Antworten präsentiert Wolframalpha als Bilddatei auf dem Bildschirm. Das mag man bei den wirklich schönen und sinnvollen Graphiken, die die Seite gelegentlich erstellt, noch gut finden. Aber bei Antworten, die in Form einer Tabelle oder als Text ausgeliefert werden, sind Bilddateien unnötige technische Hürden. Um Suchergebnisse zu kopieren, ist bei Wolframalpha dementsprechend ein weiterer Mausklick notwendig, um die Antwort als kopierfähigen Text auf dem Schirm erscheinen zu lassen. Wo andere Webseiten, die man zu Wolframalphas Konkurrenten zählen könnte, trotz Funktionsvielfalt durch simple Bedienung beeindrucken, kommt Stephen Wolframs Entwicklung trotz des begrüßenswert minimalistischen und logischen Layouts unnötig schwerfällig daher.

Abzuwarten bleibt, ob die Grundidee des professionell betreuten Datensatzes von Wolframalpha eine Zukunft im Netz haben wird. Tendenziell funktionieren erfolgreiche Projekte derzeit nicht nur in technischer, sondern auch in struktureller Hinsicht anders. Der von Menschen aufbereitete Datensatz erinnert als Konzept bisweilen an die Webkataloge, auf die Yahoo und andere wankende Giganten einst ihren Erfolg aufbauten. Damals glaubte man noch, das Netz in Listen - einem Telefonbuch nicht unähnlich - greifbar machen zu können. Der mäandernden, flexiblen Struktur, in der sich die Datenströme des Netzes bewegen, wurde man damit nie gerecht. Auch Wolframalpha verschenkt die Chancen, den Nutzer selbst weitersuchen zu lassen, und wie gewöhnliche Suchmaschinen, Anfragen mit den hilfreicheren Links zu beantworten.

Bislang dürften auf der Webseite neben Naturwissenschaftlern vor allem Nerds auf ihre Kosten kommen. Immerhin haben die Programmierer darauf geachtet, eine in der nerdigen Netzkultur dauerhaft präsente Episode aus Douglas Adams Science-Fiction-Erzählung "Per Anhalter durch die Galaxis" einzuarbeiten. In dem Text antwortet ein Computer auf die Frage nach "dem Leben, dem Universum und allem" schlicht mit "42". Diese Antwort kennt auch Wolframalpha, die Programmierer sind wohl Fans des Buches. Übrigens ist die Antwort des Computers in Adams' Erzählung so schwer verständlich, weil niemand weiß, wie die Frage genau lautete. In diesem Punkt kann Wolframalpha recht häufig mit dem großen Vorbild aus der Literatur mithalten. Dann lautet die Antwort: "Wolframalpha isn't sure what to do with your input."

© SZ vom 23.05.2009/job - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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