Anpassung der Uhrzeit an die Erdrotation:Eine Sekunde, die Computer aus dem Takt bringt

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Eine Sekunde zusätzlich: Anfang Juli wird eine Schaltsekunde eingeschoben. (Foto: dpa)
  • Am 1. Juli 2015 wird eine Schaltsekunde eingeschoben, die Anzeige 01:59:59 Uhr deutscher Sommerzeit wird es zweimal geben.
  • Ein solcher Schritt wird in regelmäßigen Abständen unternommen, um die Uhrzeit der Erdrotation anzugleichen.
  • Das könnte, wie schon bei früheren Anpassungen, zu Ausfällen von Computern und Servern führen, da viele Systeme auf solche "Zeitsprünge" nicht vorbereitet sind.

Von Christopher Schrader

Die Erde geht mal wieder nach, darum muss die gesamte Menschheit ihre Uhren justieren. Die Sternwarte Paris hat vor wenigen Tagen im Auftrag des Internationalen Erdrotationsdiensts verkündet, dass in der Nacht auf den 1. Juli 2015 eine Schaltsekunde eingeschoben wird. Die Anzeige 01:59:59 Uhr deutscher Sommerzeit wird es darum zweimal geben. Und weil womöglich einige Internetdienste über diese Hürde stolpern, wie zuletzt bei einer Schaltsekunde im Jahr 2012, beginnt erneut die Diskussion, ob diese chronologischen Korrekturen überhaupt nötig seien. Im kommenden November soll das eine Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion in Genf entscheiden.

Schon jetzt formieren sich diplomatische Lager. Die Debatte ist eine Folge moderner Technologie. Erst seit wenigen Jahrzehnten sind Atomuhren so genau, dass eine Abweichung der Erdrotation überhaupt auffällt. Die präzisen Zeitmesser zeigen, dass die Erde sich etwas zu langsam dreht, um auf Dauer mit der 24-Stunden-Einteilung des Tages mitzuhalten. "Wenn Sie sich einen großen Zeiger vorstellen, der aus der Erde ragt, und ein Ziffernblatt im Himmel, fällt die Abweichung tatsächlich auf", sagt Wolfgang Dick vom Zentralbüro des Erdrotationsdiensts in Frankfurt am Main.

1972 gab es einen Zehn-Sekunden-Sprung

Seine Kollegen in Paris verfolgten die Abweichung und ordneten eine Schaltsekunde an, bevor die Differenz eine Sekunde erreicht. Die im kommenden Juli wird die 26. sein, seit derlei Korrekturen im Jahr 1972 - damals gleich mit einem Zehn-Sekunden-Sprung - eingeführt wurden. Seinerzeit gab es kein Internet, dessen Server auf die genaue Uhrzeit angewiesen sind. Bei der Schaltsekunde 2012 jedoch verschluckten sich die Computer von Diensten wie Reddit, Linkedin, Yelp und Mozilla und lagen zum Teil stundenlang lahm.

Die größten Folgen hatte ein Ausfall bei der Firma Amadeus, die Reisedaten verarbeitet. In Australien mussten die Fluglinien Qantas und Virgin Airlines Passagiere per Hand einchecken, stundenlange Verspätungen waren die Folge. All diese Fehler wurden später auf falsch programmierte Routinen im Betriebssystem Linux zurückgeführt. "Fast immer, wenn es eine Schaltsekunde gibt, finden wir irgendwas", sagte der Linux-Vordenker Linus Torvalds damals der Zeitschrift Wired. "Das ist wirklich ärgerlich."

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Der Internetkonzern Google hingegen hatte damals schon eine kreative Lösung gefunden: Die zusätzliche Sekunde wurde in kleinen Portionen auf die letzte Stunde vor der Umstellung verteilt, so dass die Server keinen Fehler wahrnahmen. Die zusätzliche Zeit "zu verschmieren", prahlten die Programmierer, sei "eine der coolsten Prozeduren", mit dem Problem umzugehen.

"Das ist ein emotional hoch aufgeladenes Thema"

Das sehen nicht alle so. Im Jahr 2013 kritisierte Judah Levine von der amerikanischen Normungsbehörde, die einen 75 000-mal pro Sekunde abgerufenen Zeitsignalservice betreibt, in der Übergangsphase stimmten die Längen der Sekunden nicht mehr. Und wenn nicht alle Computer das gleiche Verfahren anwendeten, gebe es gefährlich abweichende Uhrzeiten. Die Amerikaner plädieren darum dafür, die Schaltsekunden wieder abzuschaffen. Die Russen wiederum möchten sie beibehalten, nachdem sie anfängliche Probleme in ihrem Satelliten-Navigationsdienst Glonass offenbar gelöst haben.

Auch die Briten halten an der Korrektur fest, weil sie die Bedeutung des Observatoriums in Greenwich zementiert. Von dessen Meridian aus werden alle Zeitzonen und Uhrzeiten berechnet. Die Deutschen wiederum stimmen ihre Position gerade unter den beteiligten Behörden ab. "Wir wollen keine technischen Probleme durch Schaltsekunden erzeugen", sagt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur in Bonn, die das Land bei der Internationalen Fernmeldeunion vertritt. "Im Moment erwarten wir aber auch keine technischen Probleme."

"Das ist ein emotional hoch aufgeladenes Thema", sagt Wolfgang Dick. "Die Frage ist doch, ob die Menschheit nach Jahrtausenden damit aufhört, nach der Sonnenzeit zu leben."

© SZ vom 09.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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