Mecklenburg-Vorpommern:Philosoph der Schulpolitik

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Neuminister Brodkorb aus Mecklenburg-Vorpommern: Mitbegründer von 'Storch Heinar', einer Marken-Persiflage auf das in der rechten Szene beliebte Modelabel 'Thor Steinar' (Foto: ddp)

Der junge Minister Mathias Brodkorb ist in Schwerin seit einem Jahr im Amt. Die Fachwelt bescheinigt ihm einen starken Start - doch jetzt geht es um Geld und um Lehrerstellen. Die Erwartungen sind hoch.

Jens Schneider

Wenn ein junger Mann sich freimütig als Philosoph bezeichnet, birgt das Risiken. Es gibt Leute, die fühlen sich schnell zum Spotten eingeladen: Ach, der Brodkorb, so hört man gelegentlich im Landtag zu Schwerin, der ist ja Philosoph. Dazu gibt es: Augenrollen, eine ironische Stimmlage. Als ob mehr gar nicht gesagt werden müsste.

Mathias Brodkorb, 35, ist Magister der Philosophie, und der junge SPD-Politiker verbirgt das überhaupt nicht. Er beteiligt sich mit großem Ernst an großen Debatten. Er hat ein Buch zum "Historikerstreit" herausgegegeben, 25 Jahre nach der Kontroverse zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas. Brodkorb machte Schlagzeilen mit dem Vorschlag, Hitlers "Mein Kampf" zur Veröffentlichung freizugeben. Er wird in Gesprächen schnell grundsätzlich. Wo viele Politiker überhaupt keine zweite Ebene hinter der Tagespolitik kennen, entdeckt er so eine zweite Ebene leicht - und verheimlicht nicht, wie wichtig ihm das ist. Manchmal wirkt er wie einer, der besonders schlau sein will. Wer ihn schätzt, findet das schlimmstenfalls putzig und zudem verständlich für einen klugen Kopf. Die anderen sind weniger großzügig.

Trotz des jungen Alters überraschte es niemanden, als Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) den Rostocker vor einem Jahr als Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur in sein Kabinett holte. Im Gegenteil, die Berufung galt als fällig. In Mecklenburg-Vorpommerns Politik, der es genauso an Nachwuchs fehlt wie der Wirtschaft, ist Brodkorb eine der wenigen auffälligen Figuren. Und er profilierte sich im Landtag mit Ideen für die Hochschulen und Schulen.

Überregional bekannt wurde er schon früher - durch seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus. Die Spottfigur "Storch Heinar" hat Brodkorb, der als Jugendlicher in der PDS mit der Politik anfing und 1997 zur SPD wechselte, mit Freunden erfunden - eine Parodie auf die bei Neonazis beliebte Modemarke "Thor Steinar". Zugleich entwickelte er sich zum profunden Kenner der Szene, der die nötige Ruhe bewahrte, um den Aufstieg von Kameradschaften und NPD einzuordnen.

Jetzt führt er seit einem Jahr eine Art Superministerium, dessen Aufgaben anderswo auch schon auf zwei oder drei Kabinettsposten verteilt wurden. In seinem Bereich entstehen 50,2 Prozent aller Personalausgaben des Landes und liegen kleine und große politische Brandherde in verschiedenen Ressorts. So muss Brodkorb ein Zukunftsmodell für die chronisch unterfinanzierten Theater und Orchester finden. Das wird nicht gehen, ohne dass Stellen gestrichen werden. Und er sich unbeliebt macht.

"Die Aufgabe ist sehr intensiv, der Komplexitätsgrad nimmt auch immer weiter zu." So formuliert es Brodkorb, wenn er nach dem ersten Jahr gefragt wird. Das mag an den vielen Glutnestern liegen - und daran, dass er es eben gern grundsätzlich hat, und gründlich: So nahm er sich viel Zeit für die Lehrer, die sich in Mecklenburg-Vorpommern bis dahin nicht gerade von der Politik verwöhnt fühlten. Brodkorb bot Sprechstunden an, gleich zur ersten Runde in Rostock meldeten sich 50 Pädagogen, 400 Gespräche führte er im ersten Jahr. "Das war ein ganz großes Nachhilfeprogramm für mich", sagt er.

Sein Entgegenkommen sei, berichtet Annett Lindner, Vorsitzende der Gewerkschaft GEW, "richtig gut angekommen. Die Kollegen fühlten sich endlich mal wahrgenommen." Auch die Bildungsexpertin der Linken und einstige Schulleiterin Simone Oldenburg bescheinigt ihm einen starken Start. Brodkorb habe sich für die Realität interessiert, wo dem Vorgänger von der CDU Schulen vorgeführt worden seien wie Potemkinsche Dörfer, herausgeputzt zum Minister-Besuch.

Nach einem Jahr ist aber Ungeduld zu verspüren. "Nun ist genug geredet worden", sagt GEW-Chefin Lindner. "Die Kollegen erwarten endlich Butter bei die Fische." Ihre Belastung sei zu hoch, die Bezahlung dagegen schlecht. Es geht um das Ziel der Inklusion, also um Ansätze, wie Kinder mit und ohne Lernschwierigkeiten in der Schule gemeinsam lernen können. Und es geht um einen Mangel, der die Schulen existenziell bedroht: Es fehlen schon jetzt Lehrer, und weil in den nächsten Jahren viele ältere ausscheiden werden, muss Brodkorb sich sorgen, wie er vor allem in ländlichen Regionen den Unterricht garantieren kann.

Der Lehrermangel ist ein Nebenprodukt des dramatischen Bevölkerungsschwunds im Nordosten. Weil es seit dem Ende der DDR immer weniger Kinder gab, sparten die Regierungen zunächst jahrelang bei den Lehrern. Man stellte kaum ein und tat wenig dafür, den Beruf attraktiv zu machen. Junge Lehrer wanderten oft ab. Jetzt hat sich die Schülerzahl stabilisiert, während immer mehr ältere Lehrer sich der Rente nähern.

Brodkorb berief eine große Arbeitsgruppe zur "Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs" ein, die vieles diskutierte: die Entlastung für Ältere, die Senkung der Pflichtstundenzahl, bis hin zur Frage der Verbeamtung auch in diesem Land, die viele Lehrer wünschen. Der Minister spricht von einem "Gesamtpaket", das vorbereitet werde. Die große Lösung soll der kommende Doppelhaushalt bringen, wohl mit einem zusätzlichen zweistelligen Millionen-Betrag. Doch den muss Brodkorb im Parlament auch bei der Finanzministerin durchsetzen, wenn das Paket mal fertig ist. Erst mal herrscht ein akuter Lieferstau.

So kritisiert Grünen-Fraktionschef Jürgen Suhr, dass Brodkorb zwar einen weiten Sprung versucht habe, "dann ist er aber deutlich kürzer gelandet, als er es wollte". Suhr vermisst bei Brodkorb gelegentlich die nötige Demut. "Im Landtag erschließt sich nicht immer sofort", sagt der Grüne, "dass er Positionen ernst nimmt, die nicht seine sind." Von Enttäuschung nach starkem Anfang spricht auch Simone Oldenburg von der Linkspartei. "Was ihm fehlt, ist die Verbindung von der Theorie in die Praxis."

Brodkorb sagt dazu, dass sich ohne Vorbereitung keine tiefgreifenden Veränderungen machen ließen. Es sei ja nicht so, dass er nur herumdiskutiere: "Wenn man machen will, was den Lehrern wichtig ist, dann muss man wissen, was ihnen auf den Nägeln brennt." Und wieder wird er grundsätzlich, spricht von der generell dringend nötigen Anerkennung für die Lehrer. "Bildung", sagt er, "ist letztlich ein Zusammenspiel von Seelen." Was gebraucht werde, sei die Pflege der Einzelseelen, eine "seelische Beziehungsarbeit", im Umgang gerade auch mit den Lehrern. Brodkorb ist einfach gerne Philosoph.

© SZ vom 26.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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