Sicherungsverwahrung:Bloßes Wegsperren geht nicht mehr

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Ende des Jahres könnten Dutzende gefährlicher Straftäter freikommen, so die Befürchtung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Was tut Bayern, um diese unter Kontrolle zu haben? Ein Überblick.

K. Auer u. D. Mittler

Ende des Jahres könnten Dutzende gefährlicher Straftäter freikommen, so lauteten die ersten Befürchtungen, als das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Tagen die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärte. Kommt es tatsächlich soweit? Ein Überblick über die momentane Lage.

Ende des Jahres könnten Dutzende gefährlicher Straftäter im Freistaat freikommen. (Foto: dapd)

Wie ist die rechtliche Situation?

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung Anfang Mai für verfassungswidrig erklärt. Schon bis zum Ende des Jahres müssen eventuell die Straftäter freigelassen werden, gegen die eine nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt wurde. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil brauchen Bund und Länder nun ein neues Gesamtkonzept, dafür geben ihnen die Richter zwei Jahre Zeit. Die Sicherungsverwahrung soll nach dem Willen der Richter auf Therapie und Behandlung ausgerichtet sein, das bloße Wegsperren sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Was bedeutet das für Bayern?

Bis zum Ende des Jahres müssen die bayerischen Gerichte 34 Fälle von nachträglich verlängerter oder nachträglich angeordneter Sicherungsverwahrung überprüfen.

Werden die Täter nicht mehr als hochgradig gefährlich eingestuft und ihnen dazu eine schwere psychische Störung attestiert, müssen sie freigelassen werden. Das wird zeitlich knapp, da es nur eine begrenzte Anzahl von geeigneten Gutachtern für die Überprüfung gibt.

Ein Therapiekonzept, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert, existiere bereits für Bayern, sagte Justizministerin Beate Merk.

Um den Sicherungsverwahrten künftig ein angemesseneres Dasein zu ermöglichen, ist in Straubing ein separates Gebäude für zwölf Millionen Euro geplant, in dem sie von 2013 an untergebracht werden sollen.

Welche Straftäter sind betroffen?

Bekanntestes Beispiel ist ein Mann, der als einer von vier Klägern gegen die Sicherungsverwahrung vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war. Er hatte als 19-Jähriger eine Joggerin in der Nähe von Kelheim erwürgt und missbraucht.

Seine Strafe hatte er 2009 abgesessen, doch vor seiner Freilassung ordnete das Landgericht Regensburg die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Er scheiterte nun mit seinem Antrag auf sofortige Freilassung, das Landgericht Regensburg ordnete eine "vorläufige Unterbringung" an.

Zu den 34 Betroffenen zählen überwiegend Straftäter, die wegen schwerer Körperverletzung, sexuellen Missbrauchs oder Vergewaltigung verurteilt wurden.

Kommen alle frei?

Nicht einmal im Justizministerium wagt man eine Einschätzung, wer tatsächlich freigelassen werden muss. Eingesperrt kann nur bleiben, von wem eine "hochgradige Gefahr für schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten" ausgeht und wer psychisch gestört ist.

Eine Variante, Straftäter mit nachträglich angeordneter Sicherungsverwahrung nicht freizulassen, ist die Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz (ThUG), das im Januar in Kraft getreten ist.

Damit sollen psychisch kranke Gewalttäter in geschlossene Einrichtungen gebracht werden, ohne gegen die Vorgaben des Menschenrechtsgerichtshofes zu verstoßen.

Die Opposition kritisiert, dass weder der Begriff der psychischen Störung geklärt sei noch es passende Therapien gebe. Außerdem ist das Verhältnis von Sicherungsverwahrung und Unterbringung rechtlich nicht geklärt.

Welche Sorge haben die Bezirke?

Bayerns Bezirke sind zwar bereit, bislang sicherungsverwahrte Straftäter "befristet" zu übernehmen - doch das nur mit Bauchgrimmen. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe: Am schwersten wiegt die Sorge, durch die Aufnahme der Hochkriminellen werde der mühsam aufgebaute Ruf der psychiatrischen Bezirkskliniken beschädigt.

Zudem wird befürchtet, ausgebuffte Knastprofis könnten die psychisch kranken Insassen in der Straubinger Hochsicherheitseinrichtung für sich instrumentalisieren oder sie gegen ihre Therapeuten aufhetzen.

Und drittens werde sich das benötigte hochqualifizierte Personal kaum für einen auf drei Jahre befristeten Job interessieren.

Wie wird die Bevölkerung vor frei- gelassenen Straftätern geschützt?

Wird ein Straftäter aus der Sicherungsverwahrung entlassen, steht er unter der sogenannten Führungsaufsicht. Innenminister Joachim Herrmann sieht die Polizei für solche Fälle gut gerüstet.

Rückfallgefährdete Sexualstraftäter würden mit dem Projekt Heads (Haftentlassenen Auskunftsdatei Sexualstraftäter) engmaschig betreut und beobachtet. Ein Netzwerk von Polizei, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht, Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls Jugendamt ermögliche individuelle Maßnahmen, um das Rückfallrisiko zu minimieren.

900 Personen werden zurzeit von Heads betreut. Justizministerin Merk will bis Anfang 2012 außerdem die elektronische Fußfessel einführen.

© SZ vom 17.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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