Roboterrecht in Würzburg:Das war nicht ich, das war mein Hirnschrittmacher

Lesezeit: 4 min

Roboter übernehmen immer mehr Aufgaben in unserem Alltag. Doch wer ist eigentlich schuld, wenn eine Maschine einen Fehler macht? Der Würzburger Jurist Eric Hilgendorf spricht über verliebte Kühlschränke, eigenständige Hirnschrittmacher und Prozesse gegen Roboter.

Anna Fischhaber

Der Strafrechtsprofessor und Rechtsphilosoph Eric Hilgendorf leitet seit knapp zwei Jahren gemeinsam mit dem Robotik-Experten Klaus Schilling die deutschlandweit einzige Forschungsstelle für Roboterrecht an der Universität Würzburg. Ab 7. Mai organisiert er den ersten großen internationalen Kongress zu diesem Thema am Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld. Juristen, Ethiker, Techniker und Philosophen werden dort über die Verantwortung von und für Maschinen diskutieren, die uns immer ähnlicher werden.

Leitet seit knapp zwei Jahren die deutschlandweit einzige Forschungsstelle für Roboterrecht an der Universität Würzburg: Jurist Eric Hilgendorf. (Foto: oH)

Süddeutsche.de: Herr Hilgendorf, wann wird dem ersten Roboter der Prozess gemacht?

Eric Hilgendorf: Ein strafrechtliches Urteil halte ich derzeit noch für reine Science-Fiction, aber dass wir Maschinen zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen, dass wir Ersatz für einen Schaden fordern, den ein Roboter angerichtet hat, das werden wir sicher noch erleben.

Süddeutsche.de: An was für einen Schaden denken Sie?

Hilgendorf: Pflegeroboter sind in Japan schon im Einsatz und werden wohl auch in Deutschland innerhalb der nächsten fünf Jahre Alte und Demente betreuen. Eine Maschine steht neben dem Bett und gibt Zeichen, wenn der Patient um Hilfe ruft oder wenn er seine Tabletten nehmen muss, und der Patient kann sich mit dieser Maschine zumindest rudimentär unterhalten. Nun wäre es ja möglich, dass die eine schwere Atemstörung als Schnarchen deutet und dem Arzt kein Signal gibt und der Patient erleidet etwa einen Schlaganfall. Wen macht man jetzt für den entstandenen finanziellen Schaden verantwortlich? Den Hersteller, den Programmierer, den Arzt, den Betroffenen selbst? Oder man überlegt, wie man die Maschine zur Verantwortung ziehen kann.

Süddeutsche.de: Wie könnte so eine Verantwortung aussehen?

Hilgendorf: Die Maschine hat natürlich kein finanzielles Vermögen, aber wir haben überlegt, ob man das Ausliefern autonomer Maschinen nicht von vorneherein an eine Versicherungspflicht binden könnte. Die Wirtschaft müsste natürlich bereit sein, entsprechende Versicherungen anzubieten. Eine Art neue Haftpflichtversicherung.

Süddeutsche.de: Aber wie sieht es mit der Schuldfrage aus? Der Philosoph Andreas Matthias plädierte bereits 2008 für ein Roboterstrafrecht. Seine Argumentation: Irgendwann sind Roboter selbst für sich verantwortlich - wie ein Jugendlicher, der sein Elternhaus verlassen hat.

Hilgendorf: In den USA gibt es schon lange eine transhumanistische Bewegung, die davon ausgeht, dass wir mit den Robotern eine neue Spezies in die Welt setzen, die uns eine Zeitlang unterstützt und hilft, die dann aber wie Jugendliche eigene Wege geht. Das ist spannend, aber reine Utopie. Es geht bei uns nicht um Blechkameraden, die Bewusstsein entwickeln und Probleme bereiten wie bei "Terminator". Es geht eher um autonome Maschinen, für deren Fehler wir erst einmal allenfalls eine Versicherungspflicht brauchen, keine neuen Gesetze und erst Recht kein neues Strafrecht.

Süddeutsche.de: Das klingt so einfach, wieso ist dann überhaupt eine Forschungsstelle für Roboterrecht nötig?

Hilgendorf: Weil es sehr viele neue Problemfelder gibt. Wenn etwa die Anweisungen einer Einparkhilfe dazu führen, dass ein Unfall passiert - wer haftet dann? Noch trifft hier der Fahrer die letzte Entscheidung. Bei Sicherheitsmaßnahmen wie Tempolimits wird das bald nicht mehr so sein. Das System wird es dem Fahrer unmöglich machen, mit 250 km/h durch den Ort zu rasen, wird ihm die letzte Entscheidungskompetenz abnehmen. Und wenn dann etwas passiert, wird der Fahrer sagen: Dafür konnte ich nichts.

Süddeutsche: In welchen Bereichen kommen noch Probleme auf uns zu?

Hilgendorf: Auf dem Kongress werden wir uns auch mit der Telemedizin beschäftigen - also wenn Roboter ferngesteuert operieren. In Deutschland gab es schon einmal einen "Robodoc", dann wurde sein Einsatz vom Bundesgerichtshof gestoppt. Er hatte ein paar Fehler gemacht, hatte Hüftknochen falsch operiert. Allerdings machen Ärzte mehr Fehler, das haben Gutachter damals bestätigt. Doch Menschen verzeiht man Fehler, Robotern nicht. Jetzt gibt es ein Nachfolgemodell, bei dem immer ein Mensch dabei ist. Der Chirurg bedient eine Art Joystick und die Maschine führt das Skalpell - so fein wie es ein Arzt niemals könnte. Nur: Was passiert, wenn die Maschine danebenschneidet? Welche Rechtsordnung greift, wenn die Maschine aus dem Ausland bedient wird? Und dann werden ja nicht nur Maschinen immer menschenähnlicher, die Medizin heute erlaubt es auch, Menschen immer stärker zu maschinisieren.

Süddeutsche.de: Was meinen Sie damit?

Hilgendorf: Armprothesen, Beinprothesen, aber zunehmend existieren auch Chips, die unter die Haut gepflanzt werden. Etwa zu Bezahlzwecken. Auf Mallorca soll es das schon geben. Man kann im Bikini von Bar zu Bar laufen und braucht sein Portemonnaie nicht mehr mitzunehmen. Auch bei Prominentenkindern wird so etwas angedacht - so kann man sie immer orten, etwa wenn sie entführt werden. Das ist die schöne neue Welt der Maschinisierung des Menschen. In diesen Zusammenhang gehören auch Hirnschrittmacher, die seit einigen Jahren bei Parkinsonpatienten oder Depressionen eingesetzt werden. Dabei kommt es gelegentlich zu unerwünschten Nebeneffekten.

Süddeutsche.de: Welche sind das?

Hilgendorf: Manche Patienten neigen, wenn sie den Hirnschrittmacher anstellen, zu einem sehr exaltierten Verhalten. Etwa zum Glücksspiel. Oder sie sind extrem aufgedreht. Auch ein übermäßiger Sexualtrieb ist möglich. Es gibt einen Fall, in dem ein Mann mit Hirnschrittmacher seine Frau permanent betrogen hat und sie sich trennen wollte. Und wenn er den Apparat wieder abstellt, verfällt er in Lethargie.

Süddeutsche.de: Es wäre ja auch möglich, dass so ein Patient mit Hirnschrittmacher eine Frau belästigt. Wer trägt dann die Verantwortung?

Hilgendorf: Bislang ist das wohl nicht vorgekommen, aber der Patient könnte dann natürlich argumentieren: Das war nicht ich, das war mein Hirnschrittmacher. Vielleicht könnte er auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren wie bei Drogen oder Alkohol. Dass irgendwann der Hirnschrittmacher verantwortlich gemacht wird, halte ich für absurd. Im Mittelalter wäre es vielleicht anders gewesen. Da hat man Tiere strafrechtlich belangt, da hätte man ein Holzbein, das dauernd bricht, vielleicht nicht nur symbolisch bestraft. Aber nach dem Rechtsverständnis, das wir seit der Aufklärung haben, ist so etwas unsinnig. Für Tiere und erst recht für Maschinen.

Süddeutsche.de: Und wie sieht es aus mit Menschenrechten? Wäre es denkbar, dass Roboter irgendwann auch diese benötigen?

Hilgendorf: Ich wurde mal von einer Journalistin gefragt, was passiert, wenn sich zwei autonome Kühlschränke verlieben. Dürfen die dann heiraten? So eine Frage halte ich für ein wenig unseriös. Aber wenn es irgendwann einmal Roboter gibt, die uns Menschen sehr stark ähneln, sind Menschenrechte zumindest nicht ganz abwegig. Bislang sind unsere Maschinen aber wesentlich weniger entwickelt als Menschenaffen und selbst bei denen lehnt die Gesellschaft solche Rechte ab. Deshalb fordern wir bislang keine Grund- und Menschenrechte für autonome Maschinen. Auch nicht für verliebte Kühlschränke.

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