Radio-Hitparade:Ballermann auf Bayern 3

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Dummdeutsch unter der Gürtellinie: Kulturbeauftragte wie Medienminister Sinner beklagen das sinkende Musik-Niveau im öffentlich-rechtlichen Radio.

Florian Fuchs

Die Mainstream-Popmusik in Bayern ist auf Ballermann-Niveau angekommen. In den Single-Charts des Hitsenders Bayern3 stehen seit Monaten Lieder, bei denen nicht nur grammatikalische Regeln außer Kraft gesetzt sind, sondern auch sittliche Gepflogenheiten.

Mit Liedern wie dem "Kuschel Song" lässt das Niveau der bayerischen Hitparade nach Ansicht von Kulturbeauftragten zu wünschen übrig. (Foto: Repro: SZ)

Freunde der massentauglichen Popmusik und Politiker raufen sich die Haare. Staatskanzleichef Eberhard Sinner fordert: "Öffentliche Rundfunkanstalten müssen dieser Entwicklung entgegenwirken, damit solche Ohrwürmer keine Chance haben."

Seit Monaten sind in den "Schlagern der Woche" Lieder zu hören, deren Texte direkt vom Ballermann nach Bayern herübergeschwappt zu sein scheinen. Gerade lebt beispielsweise Jimi Blue, der 17-jährige Sohn von Uwe Ochsenknecht, mit "Hey Jimi" ohne Tabus seine Pubertät aus und Alex C. feat. Yass singen über "Doktorspiele". Kostprobe: "Wenn ich nach deinem Körper schiele, denk ich nur an Doktorspiele. Es wär' so schön, wenn's dir gefiele, meine geilen Doktorspiele."

CSU-Politiker Sinner, Mitglied des bayerischen Medienrats, kritisiert die Entwicklung scharf. Wenn die Radiosender täglich durch niveauvolle Lieder geschmacksbildend auf die Hörer einwirkten, könnten sich Blödelsongs erst gar nicht zu Ohrwürmern entwickeln - und stünden dann auch nicht in der Hitparade. Der Trend zur Verblödung, bedauert Sinner, sei auch bei Filmen und Computerspielen zu beobachten.

Seit Monaten beherrscht der "Kuschel-Song" der Fantasiefigur Schnuffel die bayerischen Charts. Im Video zum Lied sitzt ein Zeichentrick-Hase zwei Minuten und 58 Sekunden lang auf einer Wiese und liebkost seine Karotte. "Kuschel, kuschel, kuschel, du bist mein kleiner, süßer Schnuffel", heißt es im Refrain des Liedes, das ursprünglich als Klingelton für Handys komponiert wurde.

Das ganze Jahr Fasching

Ist der "Kuschel Song" mit der Zielgruppe Zahnspangenträger wenigstens noch jugendfrei, dürften selbst hartgesottenen Ballermann-Fans inzwischen Zweifel an der Qualität des Musik-Massengeschmacks kommen, wenn sie Mickie Krause in den Charts hören. Sein Song "Finger im Po, Mexiko" war über Wochen hinweg in der Hitparade vertreten. Krauses Repertoire umfasst darüber hinaus hitverdächtige Titel wie "Wirft der Arsch auch Falten" und "Geh doch zu Hause, du alte Scheiße".

Doch Krause ist nicht der einzige Barde, der Probleme mit der Grammatik hat - und auch nicht der einzige, dessen Hits schwer analfixiert sind. In "Das Rote Pferd" von Markus Becker und den Mallorca Cowboys lautet der Refrain: "Da hat das Rote Pferd sich einfach umgekehrt" - umgedreht reimt sich halt nicht auf Pferd. Und Alex C. feat. Yass singen zur praktisch gleichen Melodie wie der von "Doktorspiele" den Discohit "Du hast den schönsten Arsch der Welt".

Irgend jemand müsse den Leuten etwas Lustiges ins Essen getan haben, mutmaßt Ralf Summer, der für die Popkolumne des Bayern-2-Formats "Zündfunk" die Charts aufs Korn genommen hat. Summer macht Fasching und Après-Ski-Partys, die gerade in Bayern eine größere Rolle spielten als in anderen Bundesländern, für die missliche Lage der Musiklandschaft verantwortlich.

Doch offenbar ist das Ballermann-Feeling in Bayern saisonal unbegrenzt. Inzwischen bestimmten nicht mehr nur "13-Jährige mit knappem Taschengeld" durch ihr Kaufverhalten die Zusammensetzung der Charts, sagt Summer. Heute sei die Hitparade der Soundtrack für Flatrate-Partys Jugendlicher: "Bewusstlosigkeit ist sozusagen das Kaufargument."

Es sei ein Irrglaube zu denken, dass jedem Redakteur gefalle, was er spiele, sagt Bayern-3-Moderator Thomas Resch. "Freilich wundern wir uns auch manchmal, aber wir müssen uns dem Massengeschmack unterordnen."

Nach Ansicht von Michael Weidenhiller, dem Leiter des Referats für kulturelle Bildung im Kultusministerium, ist Besserung kaum absehbar: "Wir haben ein bis zwei Generationen verloren, was die Musik anbelangt." Bei den Jugendlichen müsse man wieder Qualitätsbewusstsein wecken: "Wenn die selbst auf der Klampfe zupfen, merken sie, dass das viel besser ist als die platten zwei Akkorde in den Ballermann-Songs."

Tom Büscher, Leiter der Produktionsfirma Fame Recordings, sieht die Entwicklung dagegen eher unaufgeregt. Entscheidend sei, ob die Musik die Menschen erreiche. Die Single-Charts hätten schon immer den trivialen Textbereich abgedeckt. "Das hat sich seit 30 Jahren nicht geändert."

© SZ vom 23.04.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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