Polizeichef Alois Mannichl:Auf der Suche nach dem Alltag

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Der Passauer Polizeichef Mannichl kehrt in den Dienst zurück. Polizisten kommen mit Angriffen zwar oft besser zurecht als andere Opfer - doch oft bricht die Seele erst Monate später auf.

Annette Ramelsberger

Es sind vor allem die Großen, die Starken, die, die sich für unverletzlich halten. Immer vorne dran, auch mit Hexenschuss noch im Dienst. Leute, die so tun, als schüttelten sie selbst schlimme Erlebnisse mal eben ab. Es sind Leute, um die sich - wenn sie Glück haben - irgendwann einmal Andrea Möllering kümmert.

Zurück im Dienst: der Passauer Polizeichef Alois Mannichl. (Foto: Foto: dpa)

Die Oberärztin in der Trauma-Ambulanz der Rheinischen Kliniken in Essen behandelt auch Menschen, die niemand dort vermuten würde, einen Polizisten zum Beispiel, der immer in vorderster Reihe stand. "Groß, stark und wasserdicht", sagt er von sich selbst.

Und doch ist er eines Tages einfach zusammengebrochen. 22 Jahre, nachdem ihn in einer Frühlingsnacht ein Einbrecher in den Hals geschossen hatte. 22 Jahre, in denen er versuchte, dies zu verdrängen. In denen er schwieg, um nicht für einen Schwächling gehalten zu werden. Dann schaffte es seine Seele nicht mehr.

"Es ist wie bei Diabetes", sagt Andrea Möllering gern über diese Seelenkrankheit. "Frisch ausgebrochen ist die Krankheit gut einstellbar. Wenn sie aber schon 20 Jahre unerkannt dauert, sind die Folgeschäden oft nicht mehr zu beheben."Es gibt Menschen, die danach krankhaft unruhig werden, alles kontrollieren wollen oder sich ganz in sich zurückziehen.

Das, worunter Andrea Möllerings Patienten leiden, heißt "Posttraumatische Belastungsstörung" und trifft Menschen, die Schreckliches erlebt haben - sehr oft auch Polizisten. In den vergangenen Jahrzehnten sind knapp 2000 Polizisten im Dienst getötet worden, jedes Jahr werden rund 700 Beamte so schwer verletzt, dass sie mindestens eine Woche krankgeschrieben sind, berichtet die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Auch der Passauer Polizeichef Alois Mannichl war nach dem Messerstich-Attentat auf ihn bis jetzt krankgeschrieben. Am heutigen Mittwoch tritt er seinen Dienst wieder an. Nachbarn berichten, er wirke angeschlagen und habe das Geschehen noch nicht wirklich verkraftet. Er will nun im Dienst wieder den Alltag und die Ruhe finden. Doch oft bricht die Seele erst Monate, manchmal erst Jahre später auf.

"Es ist so tückisch", sagt Bernhard Schodrowski von der Polizei in Berlin. "Natürlich braucht ein Kollege, der so etwas erlebt hat, erst mal Ruhe. Aber wenn sich jemand zurückzieht, kann der auch schnell in eine innere Isolation geraten. Wir dürfen die Kollegen auf keinen Fall allein lassen."

In Berlin werden Beamte nach solchen Ereignissen über viele Tage betreut. Der psychische Druck gerade auf Polizeibeamte ist groß. Oft drohen Straftäter vor Gericht, sie würden sich an den Beamten rächen. Oft rufen sie ihnen zu, sie wüssten, wo sie wohnen, wo ihre Kinder zur Schule gehen. "So etwas darf man nicht allein mit sich abmachen", sagt Schodrowski. "Da muss man Kollegen und Vorgesetzte informieren. Aber oft sind das auch nur Maulhelden."

Ausgerechnet Polizisten aber kommen mit Angriffen auch besser zurecht als andere Opfer - wenn der Angriff auf sie in ihrer Eigenschaft als Polizist erfolgt ist. Denn dann haben sie nicht wie viele andere Verbrechensopfer das Gefühl, dass sie als Individuum gemeint waren. Und sie stehen dann für etwas, werden gelobt, bemitleidet, geehrt. "Das gibt auch ein psychisches Korsett", sagt der Münchner Notfallseelsorger Andreas Müller-Cyran, der sich seit Jahren um Menschen in Lebenskrisen kümmert. "Wenn niemand dein Leiden zur Kenntnis nimmt, kann das viel schneller eine krankmachende Wirkung entfalten, als wenn darin Sinn liegt."

© SZ vom 07.01.2009/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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