Krieg am Computer:Bagdad in der Oberpfalz

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In einem Stützpunkt trainiert die US-Armee Soldaten in der virtuellen Kriegsführung - mit sehr realen Folgen.

Max Hägler, Grafenwöhr

Aus der Ferne hallt ein Schuss. Staub spritzt auf. Kein Mensch ist zu sehen, hier, irgendwo in Bagdad. "Stay close to the wall", ruft der GI seinem Kameraden zu . An der Wand soll er bleiben, dort wo wenigstens noch ein wenig Deckung ist. Wieder ein Schuss.

In einer Art digitaler Militär-Hochschule trainieren die Soldaten auf dem amerikanischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr an über 800 Computern ihre Einsätze in Afghanistan oder Irak. Das soll Zeit, Geld und vor allem Leben sparen. (Foto: Foto: dpa)

Der GI zittert, fällt auf den Boden. Getroffen? Das Gewehr im Anschlag robbt er über den Boden. Unruhig wackeln Kimme und Korn. Wo ist der Heckenschütze? Dort, an der Hausecke vielleicht? Er drückt ab, die Schüsse peitschen am anderen Ende der Straße an die Wand. Plötzlich - wieder ein Knall.

Sein Körper sackt zusammen. Game Over. Die Mission ist nicht gelungen. Ernst schauen die beiden Soldaten in ihren Kampfanzügen auf den Computer - dorthin, wo gerade einer von ihnen gestorben ist. Doch die beiden sind wohlauf. Sie haben den Krieg nur gespielt. Und starten, per Klick, in eine neue Runde.

Die Straßen von Bagdad, mittten in der Oberpfalz

Denn so echt die Straßen Bagdads aussehen und so realistisch der Kampf ums Überleben ist - es ist nur ein Training. An Computern, mitten in der Oberpfalz.

"Joint Multinational Simulation Center", JMSC, nennt sich die Einheit, die am US-Stützpunkt Grafenwöhr seit einigen Wochen Soldaten aller Dienstgrade virtuell ausbildet - und damit den Weg zur digitalen Kriegsführung ebnet, wie Colonel Stephen Scott Seitz formuliert, der schnittige Befehlshaber der Simulationstruppe.

Kampfhubschrauber hat er geflogen, war in Korea eingesetzt und im zweiten Golfkrieg. Jetzt sitzt er in seinem kleinen holzgetäfelten Büro in einer Barackensiedlung, einige Minuten entfernt vom Haupttor des Truppenübungsplatzes.

An der Wand glänzen seine Diplome und Auszeichnungen - und dort läuft auch ein Video, das die bisherigen Übungsmöglichkeiten präsentiert.

Echte Hubschrauber, echte Panzer

"Graf", wie Grafenwöhr bei den US-Soldaten heißt, ist schon bislang einer der wichtigsten Trainingsposten außerhalb der Vereinigten Staaten. Hier fliegen echte Hubschrauber, rollen echte Panzer, wird echte Munition verschossen.

Laut, heiß und dreckig sehen die Bilder aus. Die versammelte Offiziersrunde schweigt, die meisten Augen glänzen.

"Das Training draußen ist natürlich auch aufregend und wichtig", meint Seitz, "aber das ergänzt sich zunehmend mit den Möglichkeiten des Computers." Bis zum Ende des Kalten Krieges rückten bei Manövern Jahr für Jahr Tausende alliierte Soldaten an, um westliche Überlegenheit zu demonstrieren.

Die Gegner haben sich geändert und auch die Technik. Statt gigantischer Aufmärsche trainieren die 7. US-Armee und ihre befreundeten Staaten an Computern in Grafenwöhr und sind über abgesicherte Satellitenverbindungen mit Stützpunkten in der ganzen Welt verbunden.

Fünf ganz unterschiedliche Kampfeinsätze können in Grafenwöhr an hunderten Arbeitsplätzen parallel simuliert werden. Die sogenannten Egoshooter, bei denen der Soldat selbst durch virtuelle Straßen läuft oder Panzer fährt, sind ein Element. "Virtual Battlespace 2" heißt die Software, die vor allem unerfahrene GIs unter Aufsicht spielen.

US-Stützpunkt Grafenwöhr: (Foto: Foto:)

Gewöhnung an den Nervenkitzel

Es ist eine Abwandlung des gleichnamigen, frei erhältlichen Spiels, das die tschechische Softwareschmiede Bohemia Interactive entwickelt hat. Was von Pädagogen zumeist unverzüglich einkassiert wird, ist für die US-Armee ein entscheidendes Ausbildungselement.

Selbst die Waffen in "dem Übungsspiel sind identisch mit dem echten Waffenarsenal der Armee". Auch die Szenarien wurden den echten Aufgaben angepasst. "Ich war 1991 im Irak, bei der Operation Desert Storm", sagt Lieutenant Colonel Wayne Stillwell, Seitz' Stellvertreter. "So sieht es dort tatsächlich aus."

Um die Gewöhnung an den Nervenkitzel geht es in dem Spiel und vor allem um das Erkennen von Gefahren, wie etwa Sprengfallen, und um die Abstimmung mit den Kameraden in solchen Situationen.

An der digitalen Universität

Schon seit Jahren arbeitet die US-Armee mit derartiger Software, aber nie war sie so realistisch. Denn in Grafenwöhr werden nicht nur GIs geschult.

In der neu errichteten "Digital University", einem 3000 Quadratmeter großen Gebäude, absolvieren Offiziere ihre Trainingseinheiten - und ihre Entscheidungen in den "Battle Command Systems" beeinflussen die Spielsituation der Mannschaftsgrade.

Drinnen in der University steht ein alter, hölzerner Stryker-Panzer, und es sind, wie in einem Fernsehstudio, verschiedene Säle aufgebaut. Aus Spanplatten ist einer davon zusammengenagelt, an der Wand hängen Uhren mit dem derzeit üblichen Takt des Krieges: Washington, Local, Bagdad und in der genormten Nato-Zeit namens Zulu. Auf dem Boden stehen braune Blechkisten und drei riesige Aktenschredder. Dazu Dutzende Monitore.

"So sieht die Einsatzführung im Krieg aus", sagt Stillwell. "Die Computersysteme hier sind echt, nur ihre eingespeisten Daten sind simuliert."Satellitenbilder sind zu sehen, die Offiziere können Aufklärungsinfos abrufen und den Nachschub planen.

Der Computer zeichnet die Landschaft nach und zeigt die Stellung der Artillerie. Per Mausklick können die Kampfhubschrauber auf dem Truppenübungsplatz dazugeschaltet werden und auch die einfachen Soldaten. Ihre Egoshooter sind dann Teil der Simulationen, die manchmal Tage andauern. "Die Szenarien basieren auf echten Vorfällen und Orten", sagt Stillwell.

Direkte Verbindung von Graf nach Afghanistan

So abstrakt der Kampf an den Rechnern wirkt, oft haben die Übungen in Grafenwöhr einen handfesten menschlichen Nutzen: Das Simulationszentrum ist mitunter die einzige Gelegenheit, bei der sich alliierte Truppen vor einem echten Einsatz kennenlernen.

So wie die Offiziere der afghanischen Nato-Mission ISAF, die hier Ende des vergangen Jahres ausgebildet wurden. Zwei Wochen lang übten Soldaten aus 22 Ländern gemeinsam ihren Einsatz, jetzt sind sie verteilt über das ganze Land, sehen sich oft nur über die Computer.

"Im Prinzip könnten wir aus Graf eine Verbindung nach Afghanistan aufbauen, die dortigen Briefings verfolgen oder gar eingreifen", sagt Stillwell. Die Darstellung auf den Bildschirmen wäre dieselbe, nur das Szenario dahinter wäre Wirklichkeit.

Computer mit Feldbett

Um dieser möglichst nahezukommen, sind neben dem Kommandozentrum, wie in einer echten Zentrale, Pritschen aufgebaut. Hier können die für die Übung wichtigsten Soldaten schlafen und auch der Jurist, der stets greifbar sein muss.

Genutzt werden diese Simulationsmöglichkeiten aber meist nur von den eigenen Truppen, feixen die GIs in Grafenwöhr. Einheiten befreundeter Staaten oder der Nato trollten sich meist zum Büroschluss in Richtung Offizierskasino. Und verlassen damit eine perfekt simulierte Welt, in der es sogar eigene TV-Stationen gibt.

In Grafenwöhr wird "GNN" produziert, Global News Network, in Anlehnung an den echten Nachrichtensender CNN."Die Reaktionen in der Bevölkerung und in den Medien sind heutzutage enorm wichtig - genauso wie der Umgang mit den Medien", sagt Stillwell. "Auch das müssen wir üben."

Und so tut hier im GNN-Studio Grafenwöhr ein Moderator namens Pavel Cherednik Dienst, spricht Kommentare und macht aus Archivmaterial vermeintlich echte Nachrichten, die wiederum Teil der gigantischen Kriegssimulation werden. "Aber das Ganze ist viel mehr als ein Spiel", sagt Stillwell. "Die Computer sparen Zeit, Geld und Leben - und helfen uns gewinnen."

© SZ vom 27.01.2009/cop - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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