Kommunalpolitiker:Die Sorgenonkel für alles

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Mehr als 30.000 Bürger engagieren sich bayernweit ehrenamtlich in Stadt- und Gemeinderäten. Sie müssen viel Zeit opfern - und jede Menge Arbeit und Ärger in Kauf nehmen.

Rolf Thym, Mike Szymanski und Christian Sebald

Es ist kurz nach elf an diesem Samstag, und Harald Platz möchte jetzt gerne über Flächennutzungspläne reden. Am Eingang der Fußgängerzone in Kempten hat sich der CSU-Stadtrat wie ein Hindernis in den Strom flanierender Menschen gestellt. Platz trägt ein Namensschild an der Lederjacke und macht Straßenwahlkampf.

Kommunale Parlamente funktionieren nur dank der ehrenamtlichen Arbeit vieler engagierter Gemeinde- und Stadträte. (Foto: Foto: dpa)

Der 64-Jährige ist einer von 44 Stadträten, die der Politik in der 65.000-Einwohner-Stadt im Allgäu ein Gesicht geben. "Wissen Sie denn schon, wen Sie wählen werden?", ruft er den Leuten nach. Die meisten aber winken müde ab. Kaum ein Job ist heute so undankbar, wie ehrenamtlich Politik in Kommunalparlamenten zu machen.

Dabei prägen in den bayerischen Kommunen ungefähr 32.500 Gemeinde- und Stadträte das öffentliche Leben. Sie sind für fast alles zuständig - für Abfallgebühren, die Ausstattung von Kindergärten und Schulen, die Einrichtung eines Seniorenzentrums, den Wohnungsbau, die Ansiedlung von Gewerbe oder eine neue Umgehungsstraße. Die Gemeindeordnung spricht vom "allseitigen Wirkungskreis".

In Balderschwang im Oberallgäu, Bayerns kleinster Kommune mit 247 Einwohnern, wie auch in der Millionenstadt München gilt: Welche Sorgen auch immer der Bürger hat, der Stadt- oder Gemeinderat muss sich darum kümmern. Für die ehrenamtlichen Mandatsträger bedeutet das eine Fülle an Aufgaben und Verantwortung.

Schulleiter begrüßen, Vereinsfürsten umgarnen

Harald Platz füllt seine Arbeit im Kemptener Stadtrat sogar aus wie ein Halbtagsjob - den Wahlkampf in eigener Sache noch gar nicht eingerechnet. Der Ex-Manager, der früher als Vorstand des Allgäuer Brauhauses Bier verkaufte, ist Mitglied im Haupt- und im Finanzausschuss, er kümmert sich um die Liegenschaften der Kommune und er kontrolliert im Rechnungsprüfungsausschuss die Bücher der Stadt.

Außerdem berät er die Sparkasse. Würde Platz nicht Bilanzen lesen wie andere Leute Romane, hätte er wohl keine Zeit mehr für sich selbst. Denn den Stadtrat Platz wollen auch Schulleiter begrüßen, wenn der Grundstein für die neue Turnhalle gelegt wird.

Künstler erwarten bei Vernissagen ein geschliffenes Grußwort, und auch die Vereinsfürsten der Stadt wollen umgarnt werden. Schlägt Platz Einladungen aus, heißt es schnell, "die Politik" zeige kein Interesse. "Ich hatte nicht gedacht, dass die Arbeit so aufwendig ist", sagt Stadtrat Platz.

Für sein Mandat bekommt er allenfalls 500 Euro Aufwandsentschädigung im Monat. "Man muss einfach bereit sein, sehr viel Zeit zu opfern." Da nützt es wenig, dass der Gemeindetag den Kommunen eine strikte Aufgabenteilung empfiehlt.

"Der Gemeinderat, und das gilt auch für jedes einzelne Mitglied, sollte strategisch arbeiten, er sollte sich Gedanken machen, wohin sich eine Kommune entwickeln soll", sagt Jürgen Busse, Direktor des Gemeindetags und selbst Mitglied des Stadtrates im oberbayerischen Starnberg. "Der Bürgermeister und die Verwaltung sollten sich auf die laufenden Geschäfte und die Umsetzung der Gemeinderatsbeschlüsse beschränken."

Undurchsichtige Details

Vor allem in den kleinen Gemeinden - 70 Prozent der Kommunen im Freistaat zählen weniger als 5000 Einwohner - ist diese Trennung schwierig. Das weiß auch Busse: "Dort sind die Kommunalpolitiker die Sorgenonkel für alles." Bei ihnen klingelt das Telefon, wenn eine Straßenlaterne nicht funktioniert.

Dabei geht es in der Lokalpolitik wahrlich um viel mehr als um kaputte Glühbirnen. Der 45-jährige Polizist Klaus-Jürgen Florian macht für die Freien Wähler im Gemeinderat von Nittendorf Politik. Mit 9300 Einwohnern ist die Marktgemeinde im Kreis Regensburg recht überschaubar.

Im politischen Tagesgeschäft sind jedoch manche Details, mit denen sich Florian befassen muss, sehr undurchsichtig. Als er vor sechs Jahren in den Marktgemeinderat einzog und in den Rechnungsprüfungsausschuss delegiert wurde, paukte er zwar die feinen Unterschiede zwischen überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben ebenso wie die zwischen Übertragungsresten und Einnahmeresten.

Aber der Polizist gibt freimütig zu, dass er noch immer Probleme damit hat, die über den Haushalt verteilten Einzelposten etwa für den Bau eines Kindergartens genau nachzuvollziehen. Nicht anders verhält es sich mit dem Abschreibungswesen für das öffentliche Kanalnetz. Florian sagt, dieses Regelwerk sei für ihn bis heute "ein großes Rätsel".

Seminare helfen weiter

Auf dem Land ist es schon aus personellen Gründen kaum möglich, sich auf ein Thema zu spezialisieren. Auch deshalb gibt es allerlei Hilfen für Kommunalpolitiker. Die Hanns-Seidel-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung und auch die anderen Parteistiftungen bieten Fortbildungen an. Besonders beliebt sind die Schulungen des Bayerischen Selbstverwaltungskollegs im oberbayerischen Fürstenfeldbruck. Es wird von den kommunalen Spitzenverbänden getragen.

Hunderte Gemeinderäte studieren dort Jahr für Jahr nicht nur Finanzfragen, sondern auch die anderen Facetten der Kommunalpolitik: Baurecht, Erschließungsrecht, Gebührensatzungen, Personalrecht und Öffentlichkeitsarbeit - bis hin zu den neuesten Erkenntnissen über die demographische Entwicklung und ihre Folgen für die Kommunen. ´

"Viele Kommunalpolitiker sind ja mehr oder weniger zufällig zu ihrer politischen Laufbahn gekommen", erklärt Eleonore Cröniger, Geschäftsführerin des Kollegs und Stadträtin in Germering bei München. Vor allem in kleineren Gemeinden gehen die Parteien und Wählervereinigungen die aus ihrer Sicht geeigneten Anwärter recht unverblümt an.

So dürfte es wohl kaum einen Sportvereins-Vorsitzenden oder einen Feuerwehrkommandanten geben, der nicht irgendwann gedrängt wird, auf eine Liste zu gehen. Crönigers Kolleg trimmt sie später zu Kommunalmanagern und erklärt ihnen sogar das EU-Recht. "Ich habe noch keinen Teilnehmer erlebt, der nicht dankbar für die Seminare war", sagt die Geschäftsführerin.

Susanne Fischer, 36, Juristin und SPD-Stadträtin in Augsburg, nennt nicht ohne Grund Kommunalpolitik ein regelrechtes "Dickicht aus Gesetzen und Verordnungen". Sie ist Jugend- und Familienpolitikerin. Man könnte sagen, ihre Aufgaben reichen vom "BayKiBiG" bis zur "BImSchV" - vom Bayerischen Kindergartengesetz bis zu den Lärmschutzrichtlinien des Bundes.

Am Puls der Stadt

Auch ihre Wähler erwarten, dass sie sich überall auskennt. Vergangenes Jahr etwa gab es in einem Wohngebiet Klagen, weil Kinder auf den Spielplätzen bis in den Abend Krach machten. "Das klassische Verordnungsding", sagt Fischer. Der Streit gipfelte darin, dass ein 16-Jähriger eine Strafe zahlen sollte, weil er Tischtennis spielte auf einem Spielplatz, der nur für Kinder bis 14 Jahren zugelassen war. "Das versteht kein Mensch", sagt Fischer. "Aber es bleibt an uns Stadträten hängen."

Also wälzte die Juristin Gesetzestexte, sprach mit Beamten im Ordnungsamt und im Sozialreferat, bis eine Lösung gefunden war: Künftig sollen Moderatoren solche Streits schlichten. Warum Fischer dies und anderes auf sich nimmt und am 2. März wieder kandidiert? Im Stadtrat wird Politik konkret.

"Es ist faszinierend, so nah am Puls der Stadt zu sein", sagt sie. Andererseits: Wer so jung ist wie sie und in der Politik noch was werden will, muss sich erstmal hier behaupten.

© SZ vom 23.2.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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