Kommunalpolitik früher und heute:"Erst streiten, dann ein Bier trinken - das gibt's nicht mehr"

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Vater und Sohn Mathes, Alt-Bürgermeister und Bürgermeister von Kelheim, über törichte Wahlkampf-Plakate, die vor die Hunde gegangene Streitkultur und kommunale Merheiten jenseits der CSU.

Fritz Mathes und Fritz Mathes sind Vater und Sohn. Beide Freie Wähler. Der Senior war von 1964 bis '90 Bürgermeister von Kelheim, der Junior hat das Amt seit 2002 inne. Vater und Sohn als Bürgermeister - es dürfte sich um verlässliche Gewährsleute handeln, wenn es den Wandel der Kommunalpolitik zu erörtern gilt. Fragt man beim bayerischen Städte- und beim Gemeindetag nach Vätern und Kindern als Rathauschefs, fallen den Funktionären nur Mathes und Mathes ein. Eine rare Konstellation.

Fritz Mathes und Fritz Mathes sind Vater und Sohn. Beide Freie Wähler. Der Senior war von 1964 bis '90 Bürgermeister von Kelheim, der Junior hat das Amt seit 2002 inne. (Foto: Foto: Armin Weigel)

SZ: Gibt es ein Bürgermeister-Gen in Ihrer Familie?

Vater: Ich kann nur sagen, 1964, im Jahr, als ich zum ersten Mal gewählt wurde, kam der Fritz auf die Welt.

SZ: Ein Zeichen!

Sohn: Und mein Sohn Peter ist im März 2002 geboren - vier Tage danach habe ich die Stichwahl gewonnen.

Vater: Bei mir war's auch eine Stichwahl. 58 zu 42 Prozent gegen den amtierenden Bürgermeister, einen SPD-Mann.

Sohn: Haargenau die gleiche Konstellation wie bei mir. Nur mein Ergebnis war ein bisschen besser. Vater hat mir gratuliert, aber das bessere Ergebnis hat er mir nicht gegönnt.

SZ: Was hat Sie am Job Ihres Vaters gereizt?

Sohn: Erst mal gar nichts.

Vater: (unterbricht) Ich hätte es gern gesehen, wenn er Interesse gezeigt hätte, und ich habe ihn öfter gefragt. Aber er hat immer nein gesagt. Klar, es ist ein 24-Stunden-Job, sieben Tage die Woche. Das war es früher schon. Als ich aufhörte, war ich Mitglied in 36 Vereinen.

Sohn: Ich hätte mir niemals vorstellen können, selbst Bürgermeister zu werden. Man hat ja auch darunter gelitten,...

SZ: ...dass der Vater nie da war?

Sohn: Nein, dass ich der Bürgermeister-Sohn war. Er fällte Entscheidungen, die nicht allen gepasst haben, den Kanalbau zum Beispiel. Da sitzt du als Bub im Klassenzimmer, und eine Lehrerin sagt: Mathes, heute Nacht hab' ich schlecht geschlafen wegen der Kanal-Baustelle. An die Tafel! Vokabeltest.

SZ: Jetzt übertreiben Sie.

Sohn: Nein, ehrlich! Ich bin dann ins Internat gegangen, an den Chiemsee. Meine Facharbeit in Wirtschaft und Recht habe ich später über die ökologischen und ökonomischen Folgen des Rhein-Main-Donau-Kanals geschrieben.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Vater und Sohn Mathes die CSU-Nähe der Freien Wähler bei Landtagswahlen einschätzen.

SZ: Im Kelheimer Stadtgebiet hängen Wahlplakate...

Sohn: ...wenn es nach mir ginge, gäbe es kein einziges. Die Grünen haben im Stadtrat angeregt, dass wir uns ein Plakatverbot auferlegen. Leider waren die CSU und die SPD dagegen. Ich sage, warum sollen wir die Stadt verschandeln? Wir sind doch eine Touristenstadt.

SZ: Der FDP-Bewerber zeigt Kübel und Wischmopp auf seinem Plakat. Seine Botschaft heißt "Frühjahrsputz". Hat sich Wahlkampf früher auch auf diesem Niveau abgespielt?

Vater: Als ich 1976 zur Wahl stand, gab's gar keine Plakate. Ich glaube, einige haben die Wahl gar nicht mitbekommen. Ich habe dann 90 Prozent bekommen.

SZ: Holla!

Vater: Stellen Sie sich vor: Als ich 1964 gegen den SPD-Kandidaten Eduard Staudt angetreten bin, ist ein alter Genosse, der selber bis 1936 Bürgermeister war, in meiner Wahlversammlung aufgetreten. Wissen Sie, was der gesagt hat? Der sagte: Ich habe dem Staudt geraten, er soll den Mathes hinlassen und sich mit seinem Hacklstecken mit mir auf die Alleebank setzen.

SZ: Vor der Hessen-Wahl hat sich Wolfgang Clement mit so einem Spruch ziemlich unbeliebt gemacht in der SPD.

Vater: Damals ging das. Wir haben uns in den Sitzungen über Sachthemen gestritten und danach haben wir ein Bier getrunken. So etwas gibt's heute nicht mehr. Das erzählen mir auch meine früheren Kollegen. Die Streitkultur hat sich sehr zum Negativen verändert. Es gibt immer mehr Selbstdarsteller, auch auf kommunaler Ebene.

Sohn: Vor kurzem wollte ich eine Stadtratssitzung ausfallen lassen, weil es definitiv nichts zu entscheiden gab. Dann haben tatsächlich ein paar Kollegen eine Sitzung beantragt und wir haben, am Rosenmontag!, zwei Stunden lang ernsthaft über eine Legionellen-Belastung im Schwimmbad diskutiert, die deutlich unterhalb des Grenzwertes lag. Es bestanden keinerlei gesundheitliche Bedenken. Die Zeitung hat danach über unsere Prunksitzung geschrieben, dass es eine unwürdige Veranstaltung war.

SZ: Sie sind beide Freie Wähler, Ihre Vorgänger waren bei der SPD. Gibt es keine CSU in Kelheim?

Vater: Das schon, aber durch die Industrie ist Kelheim traditionell eher eine Arbeiter- und SPD-Stadt. Und im Landkreis Kelheim haben wir einen Landrat von den Freien Wählern, dessen Vater auch schon Landrat war...

Sohn: ...und in 13 von 24 Gemeinden Bürgermeister von freien und unabhängigen Wählergruppen.

SZ: Hand aufs Herz - wenn man vor der Landtagswahl in Ihrer FW-Ortsgruppe eine Urne aufstellen würde, käme ein CSU-Übergewicht von mindestens 75 Prozent heraus, oder?

Sohn: Das ist nicht gesagt. Der Freie Wähler hier ist ein Wechselwähler.

SZ: Das sagen Sie, aber bei der letzten Landtagswahl kam die CSU in Kelheim auf mehr als 55 Prozent. Und die Kelheimer Freien Wähler hatten im Stadtrat nie eine absolute Mehrheit.

Sohn: Absolute Mehrheiten sind gefährlich. Gerade auf kommunaler Ebene ist es doch spannend und sinnvoll, wenn man sich als verantwortungsvolle Stadträte von Fall zu Fall zu einer Mehrheit, zu welcher auch immer, zusammenrauft. Mal hast du die CSU hinter dir, mal die SPD, mal keinen. Es kommt auf die Argumente an. Wobei ich manchmal schon das Gefühl habe, dass gegen mich entschieden wird, gerade wenn und weil es meine Idee ist.

Vater: Das war in meiner erste Periode nicht anders.

SZ: Haben sich die Probleme der Kommunen verändert?

Vater: Auf Kelheim gemünzt: ja. Ich hatte früher wesentlich höhere Einnahmen an Gewerbesteuern. Meine ganze Amtszeit war geprägt vom Kanalbau, 26 Jahre lang. Der Bau von Schulen und Schwimmbädern lief nebenher. Wir haben viel eingenommen und konnten uns Schulden leisten. Und der Staat hat uns schon immer viel zu wenig übrig gelassen, aber das fiel speziell bei uns nicht so ins Gewicht. Außerdem hat er damals seine Zuschüsse rechtzeitig bezahlt.

Sohn: Auf Zuschüsse kannst du heute lange warten, auch wenn sie zugesagt sind. Dabei wären wir drauf angewiesen. Wir sind die Sanierer-Generation. Hier muss das Schuldach renoviert werden, dort eine Brücke.

SZ: Holen Sie sich Rat beim Vater?

Vater: Die Leute lästern gern, dass ich den Fritz anlernen muss und ständig hinter ihm stehe. Aber das braucht er nicht. Ich bin zu diesem Interview erst zum zweiten Mal seit 1990 im Rathaus.

SZ: War das auch Ihr Amtszimmer?

Vater: Ja. Aber wo der Konferenztisch jetzt steht, da stand bei mir eine Couch. Damals war es gemütlicher.

© SZ vom 12.02.2008/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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