Kommunalpolitik:Die Bürgerfirma

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Vom Kanal bis zum Kindergarten - die Aufgaben der Kommunen werden immer anspruchsvoller. Gleichzeitig droht in vielen Bereichen die Privatisierung.

Manfred Hummel

München - Das Freibad des Marktes Metten im niederbayerischen Landkreis Deggendorf war einmal eine Attraktion: beheiztes, 50 Meter langes Sportbecken, Nichtschwimmerbecken, Plantschbecken und eine große Liegewiese. "Das war vor 34 Jahren", seufzt Bürgermeister Erhard Radlmaier (CSU). Im Lauf der Zeit wurde das schöne Freibad aber für die 4400 Einwohner zählende Gemeinde zum Klotz am Bein: Die Heizung fiel aus, es regnete ins Technikgebäude, Duschen, Toiletten und Umkleiden waren marode.

Für die Kinder muss Platz im Kindergarten sein - eine von zahllosen Aufgaben für die Kommunen. (Foto: Foto: AP)

Trotzdem wollte Radlmaier das Bad unbedingt erhalten. "Es bringt eine hohe Lebensqualität für die ganze Umgebung", sagt er. Der Badespaß ist eine freiwillige Leistung der Gemeinde und keine Pflichtaufgabe, wie etwa die Kanal- und Wasserversorgung. Radlmaier hat das Freibad renoviert - mit 200 000 Euro. Ein typisches Beispiel dafür, wie sich eine kleine Gemeinde mit wenig Einnahmen abrackert, um eine öffentliche Einrichtung zu erhalten.

Ähnlich ergeht es vielen der 2031 Gemeinden und 25 kreisfreien Städte in Bayern. Sie haben in den 70er und 80er Jahren Bäder, Hallen und Kläranlagen gebaut, die jetzt oftmals reif für grundlegende Sanierungen sind. Während Radlmeier mit 200 000 Euro vergleichsweise günstig wegkam, stehen andere Städte und Gemeinden nach Jahren des Sparens vor gewaltigen Aufgaben.

Obwohl Steuereinnahmen stark schwanken, erwarten Bürger von den Kommunen konstant hohe Leistungen: Sauberes Wasser soll aus den Hähnen sprudeln, das Licht darf nicht ausgehen, der Müll soll möglichst günstig beseitigt werden, für die Kinder muss Platz in Kindergärten, Krippen und Schulen sein, erschwinglicher Wohnraum soll zur Verfügung stehen, der Bus möglichst oft und preiswert fahren, das Krankenhaus nahe am Ort liegen und eine Bestattung bezahlbar bleiben. Alle diese Aufgaben lassen sich in dem Begriff Daseinsvorsorge bündeln. Seit Jahren versucht die Wirtschaft, diese Bastion zu schleifen, denn mit kommunalen Betrieben lassen sich Millionen verdienen. "Wettbewerb ist effektiver als das Monopol", glaubt Bertram Brossardt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft.

Handelsware Wasser

Damit liegt der Lobbyist auf der Linie der Europäischen Union und der Bundesregierung, die seit einigen Jahren eine offensive Liberalisierungspolitik betreiben. Bei der Telekommunikation ist die Rechnung aufgegangen, hier sind die Preise deutlich gefallen. Nicht so beim Strom: "Die Preise für die Verbraucher steigen, die Gewinne der großen Konzerne erreichen ungeahnte Höhen und die kleinen und mittleren Unternehmen kämpfen inzwischen um ihre Existenz", klagt der Straubinger Oberbürgermeister Reinhold Perlak (SPD).

Sein CSU-Kollege Georg Riedl aus Pfarrkirchen kann das nur bestätigen. Viele kleine Stadtwerke gerieten unter Druck, weil sie den Strom zu hohen Preisen von den Konzernen beziehen oder an der Strombörse einkaufen müssen. Mit dem Vertrieb sei kaum mehr etwas verdient. Auch die Einnahmen für das Netz, das die Kommunen den Konzernen gegen Entgelt zur Verfügung stellen, sind eingebrochen. In der Folge ist bei den Stadtwerken Pfarrkirchen der Ertrag um 70 Prozent geschrumpft: Von einer Million bleiben Riedl nur noch 300 000 Euro.

Die Gewinne waren aber wichtig, nicht nur, um das Netz in Ordnung zu halten, sondern auch deshalb, weil damit der defizitäre Busverkehr oder das Schwimmbad gestützt werden. "Die privaten Unternehmen müssen Gewinn machen", sagen Perlak und Riedl, die Kommunen seien dazu nicht gezwungen. Sie arbeiten zunächst kostendeckend. Gewinne stecken sie wieder in die Versorgung ihrer Bürger, während ein Privater sie womöglich im Ausland investiert. Schließlich hätten die Bürger auch die Möglichkeit der direkten politischen und demokratischen Kontrolle ihrer Unternehmen.

Ein besonders heikles Thema ist die kommunale Wasserversorgung. Denn auch die soll nach dem Willen der EU Privatunternehmen zugänglich sein. "Wasser ist lebenswichtig, es darf nicht zur Handelsware werden", warnt Riedl. Er will die hohe Trinkwasserqualität in Bayern bewahren. Ein kommunaler Versorger hat andere Schwerpunkte als der private, erläutert Werner Knaus das Dilemma.

Knaus leitet die Trinkwasserversorgung Ries in Nördlingen, die 120 000 Menschen in drei Landkreisen versorgt. "Wir wollen Grenzwerte unterschreiten, nicht nur einhalten." Das kostet aber Geld. Knaus verweist auf England: Dort sei die Trinkwasserversorgung in der Hand von nur noch zehn privaten Gesellschaften. Obwohl die Bürger mehr zahlten, sei die Versorgung weniger zuverlässig. "Wir können uns mit Preis und Leistung durchaus sehen lassen und müssen unser Wasser nicht chloren", sagt Knaus. Wenn es um ihr Wasser geht, sind die Bürger in Bayern aber schon sensibilisiert. Nach einer aktuellen Umfrage des Verbands der Kommunalen Unternehmen sind mehr als drei Viertel aller Kunden gegen eine Übernahme der Trinkwasserversorgung durch Private.

Druck auf Kliniken

Positive Erfahrungen haben die Kommunen dagegen mit Mischformen und Kooperationen gemacht. So hat Straubing seine Stadtwerke vor acht Jahren in eine GmbH umgewandelt und Eon Bayern sowie den privaten Energieunternehmer Heider/Wörth als Partner aufgenommen. Die Partner halten knapp 20 Prozent, die Stadt hat mit 80 Prozent das Sagen. "Wir haben eben keine Anteile verkauft, sondern unser Unternehmen durch die Partnerschaft gestärkt", betont Oberbürgermeister Perlak.

Waren vor einigen Jahren Kommunen noch froh darüber, wenn sie defizitäre Betriebe und die damit verbundenen Aufgaben abstoßen konnten, so betätigen sie sich heute als Unternehmer, die gleichermaßen an Effizienz und am Gemeinwohl orientiert sind. Beispiel Schweinfurt: Dort hat Oberbürgermeisterin Gudrun Grießer (CSU) durch die Übernahme zweier Gesellschaften das mit 5100 Wohnungen und 800 Häusern größte kommunale Wohnungsunternehmen Unterfrankens geschaffen. Die Mieten sind moderat und sicher.

"Bei unserem hohen Anteil älterer Leute in bescheidenen Einkommensverhältnissen ist das die richtige Lösung." Eine so große Gesellschaft sei auch ein Stadtentwicklungsinstrument. "Ich kann nicht erkennen, dass es die Privaten besser können und wo der Sinn einer Privatisierung großer Wohnungsbestände liegen soll."

Beim öffentlichen Personennahverkehr liegt die Chance der Kommunen in den steigenden Benzinpreisen. Gelingt es ihnen, attraktive Taktzeiten und Tickets anzubieten, dann füllen sich die Busse - wie in Pfarrkirchen. Private Unternehmen wären keine Alternative, denn sie würden unrentable Strecken sofort einstellen. Ingolstadt hat sogar drei private Busgesellschaften gekauft, um die Voraussetzungen für einen "vernünftigen ÖPNV" zu schaffen, wie OB Alfred Lehmann (CSU) berichtet.

Sorgen machen den Kommunen aber vor allem ihre Krankenhäuser, die immer mehr unter Druck geraten und deshalb von privaten Trägern übernommen werden. Hingegen hat die Stadt Bayreuth ihre beiden kommunalen Kliniken mit 1200 Betten nach Angaben des Oberbürgermeisters Michael Hohl (CSU) erfolgreich betrieben - zumindest bis vergangenes Jahr. Denn setzen sich jetzt der Marburger Bund und Verdi mit ihren Lohnforderungen durch, würde das für die Stadt eine Mehrbelastung beim Personal von sechs Millionen Euro jährlich bringen. "Das müssen wir erst einmal verdienen", sagt Hohl.

Einzugsgebiet der gut ausgestatteten Klinik ist ganz Oberfranken. Schon deshalb will Hohl sie behalten. Um die Aufgaben der Daseinvorsorge zu bewältigen, müssten die Kommunen künftig verstärkt auf eine Zusammenarbeit setzen, schlägt Hohl vor. Eine Privatisierung helfe alleine nicht weiter: "Die haben dann die gleichen Probleme."

© SZ vom 11.2.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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