Kirchseeon:Freispruch mit Zweifeln

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Vor fünf Jahren starb ihr wenige Monate altes Baby - offenbar war es zu heftig geschüttelt worden. Doch der Tod bleibt ungesühnt.

Andreas Salch

Nein, sagt Strafverteidiger Andreas Schwarzer, das "Idealbild" einer Familie sei es nicht gewesen, in die Leon K. im Mai 2003 geboren wurde. Schwarzer hat den aus Brandenburg stammenden 25-Jährigen Daniel B. verteidigt, der wegen Mordes an seinem Kind vor der 1. Jugendkammer am Landgericht München II angeklagt war und freigesprochen wurde. Als das Baby zur Welt kam, lebte Daniel B., damals 20 Jahre alt, in Kirchseeon (Kreis Ebersberg).

Daniel B. und Tanja K. (Foto: Foto: ddp)

Er hatte Hauptschulabschluss, war alkoholabhängig, ohne Job und bezog Arbeitslosengeld II. Seine Lebensgefährtin Tanja K., die Mutter von Leon, auch sie 20 Jahre alt, versorgte das Kind. Es war ihr zweites. Ihr erstes hatte sie von einem anderen Mann. Auch Tanja K. soll getrunken und Drogen genommen haben. Die heute 25-Jährige war ebenfalls wegen Mordes angeklagt und wurde freigesprochen.

Es war am Morgen des 24. September 2003, als Rettungskräfte Leon K. tot in seinem Bettchen fanden. Der Säugling soll ausgesehen haben wie eine "Wachspuppe".

Die Eltern, die vom ersten bis zum letzten der sechs Verhandlungstag beharrlich schwiegen, hatten früher behauptet, das Kind sei tot gewesen, als sie am Morgen nach ihm sahen. Bei der Obduktion stellten Rechtsmediziner jedoch zwei Hirnblutungen fest, wie sie nach heftigem Schütteln entstehen. Damit stand fest: Leon K. starb eines gewaltsamen Todes. Er wurde nur viereinhalb Monate alt.

Die Kriminalpolizei begann die Eltern zu vernehmen. Im Dezember 2003 wurden die Ermittlungen eingestellt. Denn keinem der beiden konnte die Tat zugeordnet werden.

Im Juni vergangenen Jahres wurde der Fall neu aufgerollt. Polizei und Staatsanwaltschaft glaubten neue Erkenntnisse zu haben. Sie stammten von zwei vorbestraften Männern, Bekannten von Daniel B. Die Eltern wurden verhaftet.

Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, ihr Baby aus niedrigen Beweggründen ermordet zu haben. Weil das Kind nachts geschrieen habe, die Eltern aber "ungestört weiterschlafen" oder Geschlechtsverkehr haben wollten, soll Daniel B. das Kind geschüttelt haben. Da Leon aber noch lauter geschrieen habe, habe ihn Tanja K. mit einer Decke erstickt.

"Das bisschen Schütteln"

Am Ende des Prozesses forderte Rechtsanwalt Schwarzer für Daniel B. Freispruch, ebenso wie die Strafverteidigerin Ricarda Lang für ihre Mandantin. Es gebe keine Beweise für die Tat. Und die Angaben eines der Hauptbelastungszeugen, ein wie die Anwälte behaupten, V-Mann der Polizei, seien vor Gericht wertlos.

Ihm soll B. gesagt haben: "Es kann doch nicht sein, dass das Scheißkind durch das bisschen Schütteln stirbt." Gleichwohl stellte das Gericht bei der Urteilsbegründung fest, dass sich auf die Aussagen der Hauptbelastungszeugen keine Verurteilung stützen lasse. Beide hatten sich in Widersprüche verwickelt. Es spreche alles dafür, dass Leon K. an einer Hirnblutung gestorben sei. Wer dies von den Angeklagten zu verantworten habe, "konnte die Kammer nicht feststellen", sagte der Vorsitzende und fügte hinzu: "Einer von beiden war es mindestens."

Die Staatsanwaltschaft hatte für den Vater vier Jahre und sechs Monate Haft und für die Mutter Freispruch gefordert. Für die Untersuchungshaft werden die Eltern aus der Staatskasse entschädigt. Beim Urteil lächelte Tanja K. Anschließend redete sie zum ersten Mal. Vor dem Gerichtssaal sagte sie zu einer Angehörigen: "Ich gehe jetzt erst mal eine rauchen."

© SZ vom 10.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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