Getötete Eisbären in Nürnberg:"Es wäre falsch, auf Nachzucht zu verzichten"

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Ein Zoo-Forscher vom Berliner Leibniz-Institut hält die Vorfälle im Nürnberger Zoo für natürlich. Es passiere immer wieder, dass Raubtier-Mütter ihre Jungen töten und fressen.

Christian Sebald

Egal ob in freier Wildbahn oder in Zoos, es passiert immer wieder, dass junge Eisbären kurz nach der Geburt sterben oder von ihren Müttern getötet und aufgefressen werden. Das sagt Frank Göritz, 44, Leitender Tierarzt am Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Der Tod der beiden Eisbären-Jungen im Nürnberger Zoo sei deshalb aus biologischer Sicht keineswegs außergewöhnlich.

Eisbär Vera aus dem Nürnberger Zoo. Durch Tötung zweier Jungtiere auf künftige Geburten eingstellt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Warum sind Eisbären-Babys so gefährdet?

Göritz: Das hat viele Gründe, unvorhersehbare Erkrankungen zum Beispiel. Aber auch bei der Geburt kann es Komplikationen geben. Gerade bei erstgebärenden Eisbärinnen ist der Geburtskanal noch nicht so ausgebildet. Die Jungen können bei der Geburt sehr geschwächt werden. Und dann kommen Eisbären generell so unterentwickelt zur Welt, dass es immer wieder zu Todesfällen kommt.

SZ: Wie klein sind sie denn?

Göritz: So ein Junges wiegt 500 bis 600 Gramm. Es ist völlig abhängig von der Mutter. Nicht nur, was die Nährstoffe und den Wärmehaushalt anbelangt, sondern auch die Antikörper. Bereits in den ersten Lebenstagen muss es alle Abwehrstoffe über die Muttermilch aufnehmen, dann verliert es diese Fähigkeit. Wenn das nicht funktioniert, kann es kaum überleben. Und es gibt niemanden, der das besser spürt als die Mutter.

SZ: Deshalb tötet sie dann das Junge?

Göritz: Ja, das ist so, so traurig das sein mag. Trotzdem ermöglichen auch solche Todesfälle, dass die künftigen Geburten der Mütter erfolgreich sind. Sie stellen sich dadurch gleichsam auf nachfolgende Junge ein. Das ist wichtig. Denn es wäre falsch, wenn Zoos auf die Nachzucht von Eisbären verzichten würden.

SZ: Warum?

Göritz: Das ist nicht artgerecht, es macht die Tiere krank. Das Risiko, dass sie Zysten und andere Erkrankungen an den Gebärorganen ausbilden, steigt beträchtlich. Langfristig werden sie dadurch sogar unfruchtbar.

SZ: Was ist mit einer Flaschen-Aufzucht, wie sie nun mit dem dritten Nürnberger Eisbären-Baby versucht wird?

Göritz: Das ist eine Entscheidung des Zuchtmanagements. Allerdings erfordert eine Flaschen-Aufzucht einen immensen Aufwand. Bei einem Eisbären mag es angehen, über Monate einen Pfleger dafür abzustellen. Aber stellen Sie sich das bei drei oder vier vor, wie es zunächst in Nürnberg der Fall zu sein schien. Dabei kommt es relativ häufig vor, dass erstgeborene Bären sterben. Das ist übrigens nicht nur bei Eisbären so, auch bei allen anderen Raubtierarten und bei Säugetieren ganz allgemein.

SZ: Also zum Beispiel auch bei Antilopen in Afrika?

Göritz: Ja, mit dem Unterschied, dass so ein totes Antilopen-Junges nicht von seiner Mutter gefressen wird, sondern von einem vorbeikommenden Löwen.

© SZ vom 09.01.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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