Gesundheitswesen:"Wut und Verdrossenheit"

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Bayerns Hausärzte sollen in Nürnberg ihre Kassenzulassung niederlegen: Der Chef des Hausärzteverbandes Hoppenthaller über den Niedergang des Berufsstandes und den Widerstand dagegen.

Dietrich Mittler

Bayerns Hausärzte machen Ernst. Am kommenden Mittwoch - so der Aufruf ihres Verbandes - sollen sie in Nürnberg kollektiv ihre Kassenzulassung niederlegen. Wolfgang Hoppenthaller, Chef des Bayerischen Hausärzteverbandes, spricht von einem Schicksalstag.

Hoppenthaller: In den nächsten drei bis vier Jahren schließen bis zu 40 Prozent der hausärztlichen Praxen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Sie müssen sich Ihrer Sache sehr sicher sein, dass Sie zu einer Großveranstaltung laden, auf der alle Hausärzte ihre Kassenzulassung niederlegen sollen.

Wolfgang Hoppenthaller: Ich erwarte, dass 6000 Hausärzte nach Nürnberg kommen werden. Ob sich die alle sofort zur Rückgabe ihrer Kassenarztzulassung entscheiden, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß also selbst nicht, wie diese Veranstaltung in Nürnberg ausgeht. Die Kolleginnen und Kollegen können sich aber noch bis voraussichtlich Ende März entscheiden, ob sie diesen Schritt gehen wollen. Umgekehrt können sie ihre Erklärung allerdings auch bis zum Stichtag wieder zurückziehen.

SZ: Das kann für Sie ein Schuss nach hinten werden.

Hoppenthaller: Nein, wir geben ja kollektiv diese Erklärung erst dann ab, wenn in einem Regierungsbezirk oder in ganz Bayern die Mindestquote von 70 Prozent erreicht wird. Und was meine Person betrifft: Wenn diese Aktion misslingt, werde ich mich aus der Politik zurückziehen, weil ich dann in diesem System für die Hausärzte nichts mehr erreichen kann. Aber so oder so: Auf jeden Fall gehe ich davon aus, dass die Arena voll ist und die Hausärzte allein durch ihre Teilnahme an der Veranstaltung ihre Wut und ihre Verdrossenheit über dieses System demonstrieren.

SZ: Wenn nun tatsächlich der überwiegende Teil der Hausärzte die Kassenzulassung zurückgibt, wer behandelt dann die vielen Kassenpatienten?

Hoppenthaller: Diese Zulassungsrückgabe hat für die Patienten erst einmal überhaupt keine Konsequenzen - sofern sich die Kassen rechtskonform verhalten. Wir werden unsere Patienten ganz normal weiterbehandeln und auch nach dem Ausstieg den Kassen unsere Rechnungen stellen - und zwar in der Höhe des einfachen Satzes einer Privatliquidation. Unsere Patienten - das kann man nicht oft genug wiederholen - werden auch nach dem Ausstieg der Kassenärzte keine Rechnung von uns erhalten.

SZ: Vielen Patienten wäre es wohl dennoch lieber, alles bliebe beim Alten.

Hoppenthaller: Wenn uns der Systemausstieg jetzt nicht gelingt, verlieren die Patienten ihre Hausärzte erst recht.

SZ: Warum denn das?

Hoppenthaller: Weil wir aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen keinen Nachwuchs mehr bekommen. In den nächsten drei bis vier Jahren schließen bis zu 40 Prozent der hausärztlichen Praxen. Es ist auch an der Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Sozialpolitikern endlich auf die Finger schauen.

SZ: Wie reagiert denn die Gegenseite auf Ihren Frontalangriff?

Hoppenthaller: Die Kassenärztliche Vereinigung und die Kassen versuchen mit Angst- und Drohbriefen, die Hausärzte von diesem Schritt abzuhalten. Sollten wir - auch als Folge der Einschüchterung - die Quote von 70 Prozent nicht erreichen, so ist das keine Vertrauenserklärung an unser Gesundheitssystem, sondern schlicht Existenzangst, die meine Kollegen zurückschrecken lässt.

Ich habe Verständnis für solche Kollegen, weil sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aufgrund der schlechten Honorare kaum Rücklagen bilden konnten und viele von ihnen durch die Praxisinvestitionen hoch verschuldet sind. Ich bin aber davon überzeugt, dass jene Kolleginnen und Kollegen mit Tränen in den Augen an die vergebene Chance zurückdenken werden, wenn sie die erste Honorarabrechnung des Jahres 2009 in den Händen halten. Denn da wird alles nur noch viel schlechter.

© SZ vom 24.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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