Geretsried:Die Welt als Whirlpool

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Anderswo gibt es bereits künstliche Tropenparadiese. Nun wollen Investoren auch im Alpenvorland eine bizarre Wellnesswelt schaffen - mit Blütentempel, Sheherazade-Bad und Liquid-Sound.

Gerhard Matzig

Heinz Schletterer ist - aber nur unter anderem - auch der Erfinder der grandiosen "4-Sinne-Spa-Zone". Und man muss diese Erfindung einmal vor Ort erlebt haben, um zu begreifen, was nun auf Geretsried zukommt.

In Brandenburg gibt es das bereits: die riesige "Tropical Island" mit gigantischem Wasser- und Energieverbrauch - in Geretsried ist es erstgeplant. (Foto: Foto: AP)

Diese Zone ist nämlich ein futuristisch gestalteter Nach-der-Sauna-Ruheraum, der an das behagliche, leicht esoterisch anmutende Innere einer elegant dahintreibenden Qualle erinnert.

Wer schon einmal in einem von Heinz Schletterer zur Wellness-Oase umgebauten Hotel, sagen wir: in der "Alpenrose" in Tirol, eine der vorgewärmten, weichen und von allerlei Meeresgeräusch umsäuselten Liege-Schalen unter einer blau oszillierenden 4-Sinne-Glaskuppel geentert hat, weiß, dass man an solchem Ort innerhalb von Sekunden in tiefen, tiefen Schlaf fallen kann.

Das aber, der Schlaf, ist genau das, was Geretsried - wie einige befürchten - nicht mehr haben wird, wenn Heinz Schletterer erst mal sein "Spa-Aladin" verwirklicht haben wird. Dort, auf einem Areal zwischen der Stadt Geretsried, einem Gewerbegebiet und dem örtlichen Tierheim, soll vom Herbst an ein gigantisches Spaßbad gebaut werden.

Als "orientalische Wellness-Anlage der Superlative", in der jährlich 600.000 Besucher "das Märchen von 1000 und einer Nacht" erleben können. Das Spa-Aladin wird, wenn es denn entgegen den massiven Einwänden einer Bürgerinitiative wirklich kommt, das "größte Day-Spa der Welt" sein.

Gefühlt maurisch

Aber damit erst einmal genug der Superlative. Nur dieser vielleicht noch: Weltweit haben rund 1,2 Milliarden Menschen kein sauberes Trinkwasser. Wassermangel, so die Vereinten Nationen, wird in Zukunft Kriege und Völkerwanderungen auslösen.

Der Begriff "Spa" aber, um auf das größte Day-Spa der Welt zurückzukommen, wird gerne übersetzt mit dem lateinischen Begriff "sanitas per aquam" (Gesundheit durch Wasser). Und Heinz Schletterer, ein Tiroler, der als Planer und Berater so etwas wie der geistige Weltmarktführer der Wellness-Wasser-Industrie ist, will Geretsried in eben diesem Sinn gesunden lassen.

Er verspricht der Gemeinde eine Investition von 60 Millionen Euro und 100 Arbeitsplätze in der Region. Der saudi-arabische Obst- und Gemüsehändler Scheich Adnan Zainy, der eigentliche Geldgeber und Herr von Spa-Aladin, will im Gegenzug nicht viel: nur etwas Wasser, 100.000 Kubikmeter jährlich, sowie die Bereitschaft der Geretsrieder, sich ihre alpine Welt auf einer Fläche von 40.000 Quadratmetern umbauen zu lassen.

Und zwar im gefühlten maurischen Stil, also mit Kuppeln und Türmen, mit dem von weither importierten Salzwasser des Toten Meeres, mit "Liquid-Sound, der Bade- und Hörgenuss vereint", mit Saunawelt und Kräuterwelt und Poolwelt, mit Blütentempel, Sheherazade-Bad, arabischem Dampfbad, Solestollen und jeder Menge Seife und nackter Wellness-Haut.

Mit Sport & Beauty und, ja, mit einem Gewürz-Souk obendrein. Heinz Schletterer, der sich sehr globalistisch aufgestellt gibt auf seiner Heimat-Seite im Zwischennetz, ist alles andere als ein Unbeweglicher. Die von ihm zur Sinnen-Qualle umgestaltete, für die Wellness-Spa-und-Sauna-Ära in Zeiten des Wassermangels sozusagen fit, wenn nicht flüssig gemachte einstige Zirbelstubengemütlichkeit des Hotels "Alpenrose" zeigt den Weg auf: sowohl den der Tourismusbranche wie auch den einer "freizeitfanatisierten Gesellschaft" (Diedrich Diederichsen).

Irgendwie tropisch

Das ist eine Gesellschaft, die die Exotik, das Wasser, das überall seit den sechziger Jahren massiv sich belebende Bedürfnis nach Wellness, also nach "guter Gesundheit", zusammenschraubt mit einer nicht weiter hinterfragten Gier nach Investitionen. Das führt, auch abseits von Bayern, bisweilen zu denkwürdigen Erscheinungen.

Zum Beispiel in Brandenburg, wo vor einigen Jahren der riesigen Halle einer ehemaligen Zeppelin-Produktionsstätte das künstliche Wasser-Paradies "Tropical Island" implantiert wurde. Die Investoren dort stammen aus Malaysia.

Den Brandenburgern mitgebracht haben sie eine artifizielle, 24 Stunden täglich und das ganze Jahr hindurch auf 30 Grad aufgeheizte Planschwelt samt "Tropical Flower World", "Tropical Food Village" und "Tropical Lagoon" beziehungsweise "Tropical Rainforest Hill". Die eine oder andere Sauna gibt es auch.

Wie sich die Sehnsucht nach künstlichen Entspannungswelten auch in privaten Badezimmern auswirkt, lesen Sie auf Seite zwei.

Aber man muss Bayern gar nicht verlassen, um Sub- oder sonstwie Tropisches zu erleben. Wobei auch die Sauna nicht mehr das ist, was sie mal war: ein kleiner hölzerner Raum, in dem es heiß ist, weshalb es sich empfiehlt, nicht allzu viel Kleidung zu tragen. In Deggendorf etwa, wo man vor einigen Jahren das alte Freibad verlegt und in "elypso" umbenannt hat, kann man heute wählen: zwischen Erdsauna und Schwitzhütte, Erlebnisduschen und Duschtempel und Sauna-Schwimmteich.

Gut, das sind schon die Mindeststandards. So oder ähnlich auch in der ebenfalls neuen Therme in Bad Aibling zu erleben, wobei sich die Therme aber wohltuend zurückhält mit den Exotismen in Richtung Morgenland. Das gilt ähnlich unaufgeregt auch für die Bäder in Bad Tölz oder Kochel.

Sehnsucht nach Las Vegas

Wobei in Sauerlach bereits ein weiterer Investor vor der Tür steht, um in ein Thermalbad zu investieren, das es sich dann schon nicht mehr wird leisten können, einfach nur ein Bad zu sein. Nicht, wenn gleich nebenan das größte Day-Spa der Welt entsteht - was früher vielleicht einfach als kommunales Freibad durchgegangen wäre.

Es ist schon denkwürdig, wie auf der einen Seite der Welt das Wasser zum Trinken und Existieren fehlt - und auf der anderen Seite der Welt das Wasser als privates Glücksversprechen entdeckt wird. Denn auch die Bäder in den eigenen vier Wänden haben sich verändert: von der Nasszelle zur privaten Wellness-Oase samt achteckigem Marmor-Badetempel und Blubber-Anlage.

In der "Sanitärstraße" in jedem beliebigen Baumarkt lässt sich diese Evolution überprüfen. Kaufte man früher einfach eine Armatur für fließend warmes und kaltes Wasser, so scheitert man heute schon an der Bedienungsanleitung für einen Duschkopf im Überkopfbrause-Set namens "Jamaica Fresh", der nicht nur über Antikalk-Noppen verfügt, sondern auch eine Regenschwall-Funktion aufbietet.

Wenn aber schon das Badezimmer zum Pool umgebaut werden muss, wenn sich Infrarotkabinen in der Größe von Küchenschränken zum Selbsteinbau prima verkaufen, dann kann es kaum verwundern, dass die Kommunen das große Geschäft wittern und ihre Freibäder nach Herzenslust und Renditeerwartung aufrüsten.

Zudem nutzen sie die Sehnsucht nach artifiziellen Las-Vegas-Welten, die bizarrerweise auch dort anzutreffen ist, wo den Menschen eine einmalig schöne Landschaft samt intakter Natur geschenkt wurde: zum Beispiel in Bayern. Wobei es die Frage ist, wie lange diese Natur noch intakt ist, wenn man den Wasserverbrauch und Benzindurst etwa der 600.000 prognostizierten Morgenlandfahrer bedenkt, die das Geretsrieder Spa-Aladin jedes Jahr ansteuern sollen, um sich dort so fremd wie nass fühlen zu dürfen.

Zuletzt noch diese Nachricht: Im vergangenen Jahrzehnt wurden in Bayern mehr als 100 Hallen-, Frei- und Schul-Schwimmbäder geschlossen. Weitere 24 Bäder wurden in Spaßbäder umgewandelt. Gleichzeitig ist die Zahl der Nichtschwimmer gestiegen. Aber im Spa-Aladin von Geretsried werden die gut aufgehoben sein. Beim "Schlendern über den Gewürz-Souk" ertrinkt man extrem selten.

© SZ vom 23.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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