Fehlende Spenderorgane:Der Tod kennt keine Warteliste

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Weil Spenderorgane fehlen, sterben in Deutschland täglich Menschen. Ein tragischer Fall war der von Lydia Jonda: Als die Ärzte einen Tumor bei ihr feststellten, hoffte sie auf eine Spenderleber - vergeblich.

Dietrich Mittler

Rainer Jonda sucht nach Spuren, er findet sie überall in seiner Wohnung. Auf der Ablage im Bad zum Beispiel. Da stehen noch immer zwei Zahnbürsten in den Plastikbechern. Am Kleiderschrank seiner Frau Lydia fährt Jonda mit seiner Hand über ein blaues Sommerkleid. ,,Das hat sie gerne getragen'', sagt er. Im Wohnzimmer, am äußeren Ende der Sitzcouch, erinnert er sich: ,,Da ist sie immer gesessen.'' Es ist still geworden in der weitläufigen Wohnung im Zentrum von Burghausen. Lydia Jonda ist tot. Am 8.März starb die Grundschullehrerin im Alter von 54 Jahren an den Folgen eines Lebertumors. Ihr Name stand auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Doch darauf hoffte sie vergeblich.

Mit gebeugtem Rücken sitzt Jonda - er ist der Direktor eines Altöttinger Gymnasiums - jetzt über einem Erinnerungsbuch, das Drittklässler der Grundschule Haiming für ihre tote Lehrerin gemacht haben. Auf einem der selbst gemalten Bilder steht eine Frau im blau-grün gestreiften Rock. Dazu hat eines der Kinder den Text verfasst: ,,Ich weine um sie sehr. Ich werde immer an sie denken.'' Jonda kann nur mit Mühe seine Tränen zurückhalten. ,,Meine Frau hätte eine Chance gehabt, wenn sie rechtzeitig ein Spenderorgan bekommen hätte'', sagt er.

Grübeln in der Nacht

,,Tod auf der Warteliste'', heißt es dazu lakonisch in medizinischen Publikationen. Tag für Tag sterben in Deutschland drei Menschen, denen eine Organübertragung das Leben retten würde. Auch Lydia Jonda durfte sich Hoffnung machen: Der Tumor hatte in ihrem Körper keine Metastasen gestreut. Nach einer Transplantation hätte die 54-Jährige noch viele Jahre glücklich weiterleben können. ,,Sie war ein Sonnenmensch'', beschreibt Jonda seine Frau: friedfertig, warmherzig, bescheiden. Sie liebte die Natur, bunte Kleider, Kriminalromane und Stofftiere in allen Größen.

Drei Wochen nach ihrem Tod hat Rainer Jonda den vergeblichen Kampf um das Leben seiner Frau in einem Brief an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beschrieben. ,,Vielleicht fragen Sie jetzt, was Sie mit dieser Sache zu tun haben'', schreibt er. Aber die Politik könne viel dazu beitragen, Menschenleben zu retten. Schuld am Tod seiner Frau sei nicht zuletzt das in Deutschland gültige Zustimmungssystem, wonach potentielle Organspender ausdrücklich per Spenderausweis ihre schriftliche Einwilligung zur Organentnahme geben müssen.

Viel sinnvoller sei die in Österreich, Schweden und Spanien praktizierte Widerspruchsregelung. Dort wird jeder als potentieller Organspender angesehen. ,,Nur diejenigen, die das nicht wollen, legen dies schriftlich vorher fest'', und dieses System funktioniere, schrieb Jonda.

Nachts grübelt er jetzt darüber nach, was in den letzten eineinhalb Jahren über ihn und seine Frau hereingebrochen war. ,,Es war ein Programm, das auf Lydias Tod hinausgelaufen ist'', ist sein Resümee. Die Krankheit hat sich heimtückisch in ihr Leben geschlichen. Die Müdigkeit, die Lydia Jonda so plötzlich überkam, fiel zuerst kaum auf. Das Stechen unterhalb des rechten Schulterblattes deuteten sie als Magnesium- und Kaliummangel. Im Mai 2006 traten heftige Schmerzen an der rechten Körperseite auf - in Höhe der Galle, begleitet von Magenbeschwerden. Der behandelnde Arzt ordnete eine genaue Untersuchung im Burghauser Krankenhaus an.

Und dann kommt dieser Tag, von dem an nichts mehr ist, wie es vorher war. Lydia Jonda fällt ihrem Mann um den Hals und sagt: ,,Du musst mir helfen, der Arzt hat gesagt, das ist ein bösartiger Lebertumor.'' Rainer Jonda, der sich immer als Beschützer seiner um vier Jahre jüngeren Frau gefühlt hat, ist hilflos. ,,Diese Diagnose hat die Rolle gesprengt, die ich mir selbst in all unseren gemeinsamen Jahren gegeben habe.'' Nun ist es die lebensbejahende Haltung seiner Frau, die ihm Kraft gibt. ,,Sie war ein duldsamer Mensch, hat viel ertragen, ohne mit dem Schicksal zu hadern'', sagt er.

Jonda setzt alle Hebel für eine Transplantation in Bewegung, bietet sich selbst als Lebendspender an - ein Mensch kann auch mit einem Leberlappen weiterleben, weiß er. Es gibt genug Fälle, in denen das geklappt hat. Doch die Ärzte eröffnen ihm, in seiner Leber sei zu viel Fett eingelagert. Jonda geht ins Fitness-Studio, hungert sich herunter aufs passende Gewicht. Nun stimmen die Werte.

Ein OP-Termin wird in Aussicht gestellt: Dienstag, 21. November. Nur noch eine letzte Untersuchung seiner Leber steht an. Ein Anruf aus der Berliner Charité, in der die Transplantation stattfinden soll, zerstört jedoch die Hoffnung auf eine baldige Organübertragung. Der linke Leberlappen, der in Rainer Jondas Körper verbleiben sollte, ist viel zu klein.

Verzweifeltes Aufbäumen

Lydia Jonda kommt auf die Warteliste für ein Spenderorgan. Ihr Zustand wird kritischer. Der wuchernde Lebertumor drückt aufs Zwerchfell, das Atmen wird zur Qual. Doch die Blutwerte sind nicht dramatisch. In der Charité sagt der behandelnde Arzt: ,,Es gibt Patienten auf der Warteliste, die sind noch viel schlechter dran als Ihre Frau.'' Erst in einem Jahr könne sie damit rechnen, in eine bessere Fallgruppe aufzusteigen. Über die Organzuweisung entscheide schließlich die Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden.

Jonda entschließt sich zu einem letzten Schritt: Er will seine Frau in China operieren lassen, wo für viel Geld Spenderorgane zu haben sind. ,,Das ist moralisch äußerst fragwürdig, aber das war mir in diesem Fall egal'', sagt er. Das Visum für sich und eine Übersetzerin hatte er bereits in der Tasche. Am 10. März 2006 sollte die Maschine abheben.

Am 8.März wird Jonda durch beunruhigende Atemgeräusche geweckt. Seine Frau ist nicht mehr ansprechbar. Notfallmediziner holen sie zu Bewusstsein zurück. Noch einmal keimt Hoffnung auf: Als die Ärzte der Charité vom bedrohlichen Zustand der Patientin erfahren, entscheiden sie: Sanitäter sollen die 54-Jährige umgehend nach Berlin bringen. Dort kommt sie nicht mehr an. Lydia Jonda stirbt im Krankenwagen auf der Autobahn nahe Leipzig.

© SZ vom 10.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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