Etymologie:Der Erforscher der Namen

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Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein spürt seit Jahrzehnten der Bedeutung bayerischer Ortsnamen, Berg- und Gewässerbezeichnungen nach.

Johanna Schoener

Drei Freunde unterwegs im Gebirge: Der Erste versteht sich auf die Geologie und erklärt jeden Stein. Der Zweite kennt jede Blume am Wegesrand. "Eine Schande", denkt der Dritte, "dass ich nichts beitragen kann." Also beginnt der Geschichts- und Philologiestudent sich mit Bergnamen zu beschäftigen. Anfang 20 ist Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein da. Wie sein eigener Name darauf verweist, dass er Sprössling eines oberfränkischen Adelsgeschlechtes ist, erzählt auch jeder andere Name eine Geschichte. Diese aufzudecken wird zur Leidenschaft von Reitzensteins.

Seine Doktorarbeit schreibt er über römische Ortsnamen. Später ist er tagsüber Lehrer an einem humanistischen Gymnasium, nachts forscht er über Berg-, Gewässer- und Siedlungsnamen. Wenn der Unterricht vorbereitet ist und seine drei Kinder schlafen, zieht er sich ins Arbeitszimmer zurück. Bis unter die Decke stapeln sich dort Bücher über Namenkunde, Quellen, Lexika und Zeitschriften. In zwei Rollcontainern verbirgt sich das Privatarchiv des 67-Jährigen. In Füllfederschrift steht auf jeder Kartei ein Name, dazu seine erste Nennung, die Herleitung seines Ursprungs und seine Bedeutung.

Amorbach zum Beispiel: Der Name der Stadt im Landkreis Miltenberg hat nicht etwa mit Liebe zu tun, sondern war ursprünglich ein Gewässername. Das althochdeutsche amar heißt Sommerdinkel, eine Pflanze, die in der Umgebung nachgewiesen wurde. Dass aus amar später amor wurde, liegt wohl daran, dass dort im 15. Jahrhundert der heilige Amor verehrt wurde.

Wie viele Namensrätsel von Reitzenstein schon gelöst hat, weiß er nicht. Mehr als 1000 Orts- und Gewässernamen hat er allein in seinem "Lexikon Bayerischer Ortsnamen" von 2006 nachgespürt - allerdings nur in der Oberpfalz sowie in Ober- und Niederbayern. Bald soll ein Band über Franken erscheinen. Für diesen hat von Reitzenstein auch tagsüber Zeit, denn seit 2004 ist er pensioniert.

Mehr als ein Privatvergnügen

Die Namenforschung war freilich auch vorher weit mehr als ein Privatvergnügen. Seit 1972 ist er Lehrbeauftragter für Namenkunde an der Ludwig-Maximilians-Universität München, außerdem Vorsitzender des Verbandes für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern und Herausgeber der Blätter für oberdeutsche Namenforschung.

Was bewegt jemanden dazu, sich ein Leben lang mit Namen zu beschäftigen? "Mein Interesse ist weniger sprachwissenschaftlich bedingt", sagt von Reitzenstein, "ich möchte wissen, warum ein Name gegeben wird und was das über die Menschen zu der Zeit aussagt." 95 Prozent seiner Recherche verbringt von Reitzenstein mit der Suche nach alten Namensbelegen in den bayerischen Archiven. "Manchmal suche ich 14 Tage und finde nichts. Das ist dann zermürbend und enttäuschend", erzählt er.

Bisher kam er aber den vergessenen Geschichten doch immer auf die Spur. "Das Schöne ist, dass man neue Erkenntnisse gewinnt, die nicht schon zehn andere zu Papier gebracht haben", sagt er. Für die erfolgreiche Entschlüsselung braucht er vor allem seine Sprachkenntnisse - Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Griechisch, Latein - und Geduld.

Und dann ist da noch die Liebe zu den Bergen, die für ihn richtunggebend waren. Als junger Mann leitete von Reitzenstein seine Kommilitonen bei Bergwanderungen. Einmal musste er eine Studentin abweisen, weil sie kein geeignetes Schuhwerk trug. Bei der nächsten Wanderung kam das Mädchen mit den richtigen Schuhen. Seit 31 Jahren ist von Reitzenstein inzwischen mit ihr verheiratet.

© SZ vom 6.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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