CSU und das Aus für den Transrapid:Das Ende des Mir san Mir

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Die CSU kriegt den Anschluss nicht mehr - nicht an den Flughafen, nicht an ihr einstiges pralles Selbstbewusstsein, und vor allem nicht an das Land, das sich schneller wandelt als die Partei.

Heribert Prantl

Es passieren seltsame Dinge in Bayern: Menschen, die es sich früher nicht hätten vorstellen können, nicht CSU zu wählen, tun es auf einmal. Es beginnt damit, dass sie einfach nicht mehr zur Wahl gehen. Gestandene CSU-Landräte sind auf einmal keine mehr. Honorable CSU-Bürgermeister werden abgewählt. Und milliardenschwere CSU-Prestigeobjekte finden ein klägliches Ende.

Ehrensalut zum Abschied von Edmund Stoiber: Schon mit Stoiber fing die Entfremdung der CSU von den Bayern an (Foto: Foto: ddp)

So ergeht es nun dem schwebenden Stolz der CSU. Mit dem Transrapid hatte sie beweisen wollen, dass Franz Josef Straußens Satz immer noch gilt: "Konservativ sein, heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren". Aber die CSU kriegt den Anschluss nicht mehr - nicht an den Flughafen, der den Namen Franz Josef Strauß' trägt; nicht an den Fortschritt, von dem sie nicht mehr weiß, wie er aussieht; nicht an das pralle Selbstbewusstsein, für das Strauß so exemplarisch stand, und das Stoiber durch rasende Akribie substituierte. Vor allem aber verliert die CSU den Anschluss an das Land, das ihr Land war, und sich schneller wandelt als diese Partei.

Ein verhungernder Löwe

Die CSU hat aus dem Agrarland ein High-Tech-Land geformt; nun schwappt die Moderne in die Provinz - und das Land beginnt, der CSU über den Kopf zu wachsen. Auch dieses Wachstum ist letztlich Werk und Erfolg der CSU. Über das Ergebnis aber ist sie konsterniert: Bayern beginnt, sich von der politischen Kraft, die es geformt hat, zu emanzipieren.

Für die CSU bedeutet die Emanzipation eine Entfremdung, der sie nicht gewachsen ist. Erwin Huber, der neue Mann an der Spitze, ist eigentlich mit allen Wassern gewaschen, macht aber den Eindruck, als habe er das vergessen. Huber steht da wie ein Hauser, wie ein Kaspar Hauser, der nicht mehr weiß, woher er kommt, was er ist und was er will. Und der Franke Beckstein, der viel authentischer wirkt als der Niederbayer Huber? Wer nach der kampflosen Aufgabe des Projekts Transrapid den Ministerpräsidenten vor den Kameras in Berlin gesehen hat, der weiß, wie ein bayerischer Löwe vor dem Verhungern aussieht.

Die CSU hat ihr Genie verloren, auch Unsinn mit unbändiger Lust durchzusetzen, indem sie diesen Unsinn glaubhaft zu Sinn und zu Segen erklärte. Sie hat ihre alte Fähigkeit verloren, selbst Niederlagen in Siege umzudeuten oder zumindest neue Kraft daraus zu schöpfen.

Stattdessen lässt sie sich, wie beim Desaster der Bayerischen Landesbank, noch tiefer hineinziehen. Die CSU hat ihre Gabe verloren, sich zur richtigen Zeit selbst an die Spitze ihrer Kritiker zu setzen und sich damit selbst zu regenerieren. So hat sie es früher gern bei Volksbegehren gemacht: Sobald es danach aussah, dass sie Erfolg haben könnten, machte die Partei sich diese zu eigen. Vorbei.

Die CSU verfügte lange Zeit über jene Inkulturationskraft, wie sie Bayern in seiner gesamten Geschichte und dem Christentum dereinst zu eigen war: Die Partei hatte einen großen Magen, sie verdaute die Heiden, die Preußen, die Sudetendeutschen und machte sich deren Gebräuche zunutze. Die CSU hat alles integriert was da war und was daherkam. So begab es sich, dass auf einmal die CSU Bayern war und Bayern die CSU.

Und die Bayern waren geneigt, so zu tun, als seien Weißwürste, Weißbiere und die bayerischen Weltkonzerne eine Erfindung ihrer Staatspartei. Die Pleiten von Kirch, Grundig und der Maxhütte, steigende Arbeitslosenzahlen und leerstehende Geschäfte in München kratzten nur wenig am Mir-san-Mir-Gefühl. Das ist vorbei. Zu konstatieren sind nicht mehr nur Kratzer am Image, es kracht das Fundament - bei Siemens wie bei der CSU. Das hat tiefgreifende polit-psychologische Auswirkungen.

Die bayerische Mentalität ist gekennzeichnet von einer barocken Dialektik. Es mischt sich das stolze Selbstgefühl mit dem ewigen Komplex, von den anderen, "denen in Berlin" zumal, für Deppen gehalten zu werden. Beim Führungspersonal der CSU überwiegt derzeit das Letztere. Aus einer lauten Partei ist eine kleinlaute geworden. Statt auf der Autobahn nach Berlin fährt die CSU jetzt auf dem Kiesweg von Ampfing nach Polling.

Die Christsozialen, die nach den Wittelsbachern prägendste Kraft der bayerischen Geschichte, verlieren ihre Prägekraft. Es fällt einem das sang- und klanglose Ende der Monarchie in Bayern ein: An einem herbstblauen Tag 1918 ging im Englischen Garten ein Arbeiter auf den alten Ludwig III. zu: "Majestät, gengan S' hoam, sonst passiert Ihnen was". Der bayerische König war dann der erste König in Deutschland, der vor der Revolution floh. So weit wird es mit der CSU nicht kommen. Aber es breitet sich Melancholie aus in der Partei.

Ihre bundespolitische Potenz hat sie schon verloren; ihre bayerische ist in Gefahr. Das alte CSU-Motto: "Stark in Bayern, stark im Bund" gilt nicht mehr. In Bodenmais im Bayerischen Wald hat ein 23-jähriges SPD-Mitglied, Student, evangelisch und "offen schwul", den seit 18 Jahren amtierenden CSU-Bürgermeister aus dem Amt gekegelt.

Das hört sich an wie eine Prophezeiung des Waldpropheten Mühlhiasl, der vor 200 Jahren allerlei Anzeichen für den Untergang geweissagt hat. Die Waldler-Petitesse ist indes ein kleines Indiz für den größten Verlust der CSU. Sie verliert ihr Bajuwaritäts-Monopol - und damit die Basis ihres Erfolgs.

Das ist keine ganz neue Entwicklung, das hat unter Stoiber begonnen. Seine Reformpolitik wurde durch eifernde Brachialität zu einer Basis-Entfremdungspolitik. Stoiber hat klassische Behörden aufgelöst, den Stolz der Verwaltung gebrochen und mit seiner Flucht aus Berlin den superben Ruf der bayerischen Exekutive nachhaltig beschädigt.

Weißblau ohne Monopol

Die CSU war die Partei, die das schöne Bayernland erfunden hat: So hat der verstorbene SZ-Kollege Herbert Riehl-Heyse vor dreißig Jahren deren unheimlichen Erfolg erklärt. Ihr Erfolg schwindet, weil sie nichts mehr neu erfindet, weil ihre politische und kulturelle Kreativität schwindet. Sie verlässt sich auf das, was in Bayern schon da ist, und womit der Herrgott das Land beschenkt hat. Mit der neuen Bajuwarizität hat die CSU nichts mehr zu tun.

Die Ikonisierung des Bayerischen verschiebt sich, sie findet nun außerhalb der CSU statt. Vor zwanzig Jahren waren es nur die "Biermösls", die per Volksmusik ein anderes Lebensgefühl vorführten, als es die CSU verkörpert. Heute steht ein guter Teil bayerischer Kultur weitab vom konservativen Weichbild - und aus dieser neuen Heimatkultur wird Kult: Der "Schuh des Manitou" rannte durch ganz Deutschland.

Während die CSU das alte "königlich-bayerische Amtsgericht" nachspielt, sehen sich die Leute lieber den "Kaiser von Schexing" an, die Film-Geschichten also von einem schrägen Bürgermeister. Die Heimat verändert sich - immer öfter ohne die CSU. Der Regisseur des erfolgreichen Heimatfetzens "Wer früher stirbt, ist länger tot" ist roter Gemeinderat in Hausham. Und auch der"Bulle von Tölz" ist Sozialdemokrat. Auf die SPD hat das alles keine Auswirkungen; sie ist noch immer elend schwach. Auf die CSU schon: Sie hat kein weiß-blaues Monopol mehr. Bayern wird jetzt anderswo erfunden.

© SZ vom 29./30.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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