Bombenentschärfer des LKA:Gleich knallt's

Bombenentschärfer des LKA: Müssen die Einsatzkräfte selbst in die Gefahrenzone, tragen sie 40 Kilo schwere Schutzanzüge. TSG-Chef Gruber hilft einem Kollegen beim Anziehen.

Müssen die Einsatzkräfte selbst in die Gefahrenzone, tragen sie 40 Kilo schwere Schutzanzüge. TSG-Chef Gruber hilft einem Kollegen beim Anziehen.

(Foto: Robert Haas)

Jugendliche experimentieren mit Sprengstoffen, Psychopathen verschicken Briefbomben, Chemielehrer vergreifen sich in der Rezeptur: Wenn es brenzlig wird in Bayern, rücken die Experten des Landeskriminalamts aus - mit 40-Kilogramm-Schutzanzug und Roboter.

Von Susi Wimmer

Es gibt bestimmte Fixtermine in ihrem Kalender: Die jährliche Nobelpreisträgertagung in Lindau etwa, oder die Wagnerfestspiele in Bayreuth. Da sind sie dabei. In zivil, ganz unauffällig, nur für den Fall der Fälle. Wo sie stationiert sind, wie viele sie eigentlich sind, wie sie heißen und aussehen, das bleibt geheim: Eigensicherung. "Wir haben es mit Schwerstkriminalität zu tun", sagt der Chef der TSG. Die Versalien stehen für Technische Sondergruppe, so heißt die Spezialtruppe des Bayerischen Landeskriminalamtes, die vor allem eines macht: Bomben entschärfen.

Alle erdenklichen Arten von Bomben. "Wichtig ist, die Munition zu identifizieren, dann hab' ich eigentlich schon gewonnen", sagt der Chef Andreas Gruber, der in Wirklichkeit anders heißt. Aber so leicht gewinnen die LKA-Beamten nicht. Denn ihr Spezialgebiet sind "unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen", also so ziemlich alles, was explodieren oder brennen kann: die Autobombe eines Terroristen, das Selbstlaborat eines experimentierfreudigen Jugendlichen, die Sprengfalle mit Stolperdraht, die ein Drogendealer im Garten installiert hat, um sein Rauschgift-Depot zu schützen, die Briefbombe eines Rechtsextremisten oder die Chemieabfälle, die eine Lehrerin versehentlich zusammengeschüttet hat. "Es gibt nichts, was es nicht gibt", sagt Gruber.

Bombenentschärfer des LKA: Ein Roboter sichert eine vermeintliche Autobombe. Für die Spezialkräfte sind solche Hilfsmittel im Ernstfall überlebenswichtig.

Ein Roboter sichert eine vermeintliche Autobombe. Für die Spezialkräfte sind solche Hilfsmittel im Ernstfall überlebenswichtig.

(Foto: Robert Haas)

Der TSG-Beamte Ben, 37, war vor ein paar Wochen an der Schule in Moosach: Die Chemielehrerin war in Panik, weil sie vermutete, hochexplosives Silberfulminat gemixt zu haben. "Die Flüssigkeit hatte sich über Nacht verändert und einen voluminösen Niederschlag gebildet, war breiig und noch wenig viskos", sagt der Polizist. Ben hat Chemie-Ingenieurswesen studiert, wollte eigentlich Feuerwehrmann werden und landete dann bei der TSG, weil ihn die Kriminaltechnik faszinierte. Neben Chemikern hat die Truppe auch Elektrotechniker, Maschinenbauer und Experten, die sich mit militärischen Waffen auskennen, in ihren Reihen. Nur Kriegsbomben entschärft die TSG nicht.

Ein Restrisiko bleibt

Zuweilen mit dem Hubschrauber, für gewöhnlich aber mit ihrem Einsatz-Kombi, ist die TSG in ganz Bayern unterwegs, "im Schnitt haben wir pro Arbeitstag einen Einsatz", sagt Gruber. Und natürlich rund um die Uhr Bereitschaft. Nach den Anschlägen in New York sei die Zahl der Einsätze nach oben geschnellt. Plötzlich schien jede vergessene Sporttasche, jeder Koffer verdächtig. Die TSG rückte beispielsweise auch an, als die Polizei im Frühjahr in der Münchner Holzstraße auf einen gefährlichen Waffennarren stieß. Er hatte in seiner Wohnung explosive Chemikalien abbrennbereit deponiert. Immer, wenn der Verdacht auf unheilvolle Gemische im Raum steht, ist das ein Fall für die TSG: "Wir machen dann den Weg sicher."

Trotzdem kann die Truppe keine Abenteurer brauchen, keine waghalsigen Actionhelden, die wie im Film schwitzend in letzter Sekunde den roten Draht an der Bombe durchschneiden, und nicht den schwarzen. Über so etwas kann Gruber nur lächeln. Bei der TSG geht es darum, die Lage zu erfassen, etwa mit einem Roboter, der mit Greifarmen und Kamera ausgerüstet ist, die sich aus sicherer Entfernung bedienen lassen. Abklären, prüfen, das Risiko abschätzen, handeln. Eine gute Ausbildung, eine gute Ausrüstung, ein gutes Team, ein guter Plan: Das sei die halbe Miete, sagt Gruber, der studierte Elektrotechniker. Ausgeglichen und belastbar sollte man sein, "und bloß kein Hektiker", sagt der 44-Jährige. Hektik könnte in dem Job tödlich sein. Natürlich bleibe ein Restrisiko, "aber das hat ein Autofahrer oder ein Gerüstbauer auch". Passiert ist in den 40 Jahren, in denen es die TSG gibt, noch nie etwas. "Alle Finger noch dran", grinst Ben und hält die Hände nach oben.

Schwierig wird es etwa bei Hausdurchsuchungen. Da muss der Mann ran, nicht der Roboter. In Rohrenfels bei Neuburg an der Donau hatte ein Mann vor der Zwangsversteigerung sein Haus mit Gasflaschen und Brandbeschleunigern gefüllt, jedes Handtuch mit Benzin getränkt, die Türstöcke eingekerbt, damit sie besser brennen, und Heizlüfter eingeschaltet, die langsam zu Glühen begannen. Er selbst wollte sich in der Garage mit Autoabgasen das Leben nehmen.

Nur keine Hektik

Ein Zeitungszusteller wunderte sich über die Motorengeräusche aus der Garage und verständigte die Polizei. Der Mann wurde gerettet. Die Polizei fand erste Anzeichen, dass der Mann das Haus präpariert hatte. Polizei und Feuerwehr blieben lieber draußen - und riefen die TSG. "Wir sind die letzten, nach uns kommt keiner mehr", sagt Ben. So war es auch in Rohrenfels. Der Strom war abgeschaltet, die Rollländen heruntergelassen, so rückten die TSG-Beamten in voller Montur vor, nicht wissend, was auf sie zukommt. Wie heikel der Einsatz war, "das merkt man erst, wenn man heimfährt und nicht mehr so viel redet", sagt TSG-Kollege Alex. In der Situation selbst regiert nur der Verstand.

Bombenentschärfer des LKA: Der Anzug lässt sich auf Knopfdruck belüften und beleuchten. Im Helm befindet sich beispielsweise ein Ventilator, damit das Visier nicht beschlägt.

Der Anzug lässt sich auf Knopfdruck belüften und beleuchten. Im Helm befindet sich beispielsweise ein Ventilator, damit das Visier nicht beschlägt.

(Foto: Robert Haas)

Der Schutzanzug wiegt 40 Kilogramm, in ihm sind etliche Panzerplatten eingenäht. Wer in die Jacke schlüpft, kann sich kaum noch bewegen. Dazu kommt der Helm auf dem Kopf, der mit der Rüstung verbunden wird, "sonst wird bei einer Explosion der Kopf zurückgeschleudert, und die Halswirbelsäule bricht", sagt Gruber. "Das Gewicht nehm' ich gar nicht mehr wahr", sagt Alex, gerade mal 75 Kilo schwer, wenn er in den Entschärferanzug schlüpft. Im Helm ist ein Ventilator eingebaut, damit das Visier nicht beschlägt. Am Ende sieht der 31-Jährige aus wie ein Michelin-Männchen in grün, unter der Sturmhaube und dem Helm schauen nur noch die grün-braunen Augen heraus. Und die Hände, die bleiben ungeschützt. Für die Feinarbeit.

"Wenn man Angst hat, ist man fehl am Platz"

Die Altersspanne der TSG-Beamten, darunter auch eine Frau, die als Entschärferin arbeitet, liegt zwischen 29 und 58 Jahren. Kriminaldirektorin Eva Schichl, Dezernatsleiterin im LKA, sagt, man habe sich ganz intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob man in der Sondereinheit eine Altersgrenze einführen sollte. Und sei zu dem Schluss gekommen: Nein. "Wir wollen die Erfahrung der älteren Kollegen nicht missen." Zusätzlich zu den Lehrgängen und lebenslanger Ausbildung hat fast jeder bei der TSG ein weiteres "Steckenpferd": Es gibt Taucher, die in den See springen, wenn ein Täter dort etwas Explosives deponiert haben könnte, und es gibt Bergsteiger, die auf die Zugspitze beordert werden, wenn nach der Schneeschmelze ein merkwürdiges Konstrukt zum Vorschein kommt.

Bombenentschärfer des LKA: Ein Kollege steuert den Roboter aus sicherer Entfernung - mit Hilfe der Roboterkamera behält er den Überblick.

Ein Kollege steuert den Roboter aus sicherer Entfernung - mit Hilfe der Roboterkamera behält er den Überblick.

(Foto: Robert Haas)

"Was es heißt, Entschärfer zu sein, weiß man vorher nicht", erzählt Ben. Was für den Außenstehenden wie ein Himmelfahrtskommando wirkt, ist für ihn berechenbar. "Man muss sich auch selbst reflektieren und fragen: Trau ich mir das zu, kann ich nachts noch schlafen", meint er. "Wenn man Angst hat", sagt sein Chef Gruber, "dann ist man bei uns fehl am Platz". Weil Angst lähmt, daran hindert, die richtige Entscheidung zu treffen und dann mit ruhigen Händen zu agieren. Den Respekt vor den Spreng- oder Brandsätzen sollte man allerdings sein ganzes Berufsleben lang nicht verlieren, betont Gruber.

Das galt auch für den Einsatz in Moosach. Nach Rücksprache mit der Lehrerin und Beratung mit den LKA-Chemikern stellte das TSG-Team eine Risiko-Analyse auf. "Wir waren uns relativ sicher, dass es kein Silberfulminat ist", erzählt Andreas Gruber. Trotzdem gingen die Beamten mit größter Vorsicht vor: Im Schutzanzug trug ein Entschärfer die Flüssigkeit ins Freie. Wäre es Silberfulminat gewesen, hätte ein leichter Stoß genügt, um die Flüssigkeit und damit die Schule in die Luft zu jagen. Schüler, Lehrer und Anwohner waren längst evakuiert worden, als der Trupp im Pausenhof eine Messerspitze als Probe entnahm, um sie zu analysieren. Schließlich konnten sie Entwarnung geben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: