Bayerns Gefängnisse:Wenn es Nacht wird in der Acht-Mann-Zelle

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Bayerns Gefängnisse sind chronisch überfüllt. Die Personalquote ist die schlechteste aller Bundesländer - die Gewalt nimmt zu.

Stefan Mayr

Noch ist kein Urteil gesprochen, und die Angeklagten weisen alle Vorwürfe zurück. Aber wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft Augsburg den vier Männern vorwirft, dann haben sich im März 2006 in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim erschreckende Szenen abgespielt: "15 bis 20 Mann", so die Anklage, lockten einen Mithäftling im Keller der Haftanstalt in einen Hinterhalt, um dann mit Händen und Füßen auf ihn einzuschlagen. Dem Opfer ist laut Staatsanwalt niemand zu Hilfe gekommen. Der Mann habe es aber geschafft, in einen Haftraum zu fliehen. Dort beschützte ihn schließlich ein Wachbeamter.

Justizvollzugsanstalt Stadelheim: Die Gefängnisse in Bayern sind seit Jahren chronisch überbelegt. Derzeit fehlen nach den Zahlen des Justizministeriums etwa 1000 Haftplätze. (Foto: Foto: ddp)

Spritzen und Scheren

In jüngster Vergangenheit drangen immer wieder Meldungen über Schlägereien, Messerstechereien und Drogentote aus den Gefängnissen in die Öffentlichkeit. Sie werfen eine Frage auf: Wie sicher sind die Häftlinge und das Personal in den bayerischen Haftanstalten? Die vier Männer auf der Augsburger Anklagebank behaupten, der Zeuge habe alles erlogen, um mit seiner Aussage Hafterleichterungen zu erreichen. Das Amtsgericht wird nächstes Jahr entscheiden, ob sich die Misshandlung des Häftlings so zugetragen hat oder nicht.

Bereits belegt sind hingegen andere Vorfälle, die kein gutes Licht auf die Zustände hinter den Mauern der Haftanstalten werfen: 2001 wurde in Nürnberg ein Häftling mit einer Schere niedergestochen, er starb im Krankenhaus. 2007 setzten sich in Kaisheim und Würzburg Häftlinge Heroinspritzen und starben an einer Überdosis. Im Oktober 2008 gab es in der Straubinger Haftanstalt eine Messerstecherei unter zehn Männern, zwei wurden schwer verletzt, einer starb.

Bei einer Razzia im Sommer 2007 fand die Polizei in Kaisheim und Straubing Drogen und zahlreiche Handys, mit denen der Drogennachschub organisiert wurde. Nach dieser Razzia leitete die Staatsanwaltschaft Augsburg 32 Verfahren gegen Häftlinge und deren Komplizen ein, meist wegen Drogenhandels.

Im einem dieser Prozesse müssen sich die vier Angeklagten in Augsburg wegen eines weiteren Vorwurfs von gefährlicher Körperverletzung - in Kombination mit räuberischer Erpressung - verantworten. Sie werden beschuldigt, sie hätten zwei Mithäftlinge mit massiven Drohungen und Schlägen dazu zwingen wollen, Schutzgeld an die Russenmafia zu zahlen. Trotz der massiven Übergriffe ließen sich die beiden Männer nicht einschüchtern und wandten sich an die Polizei. Experten bezeichnen dieses Verhalten als sehr mutig und außergewöhnlich. Vor dem Amtsgericht sagte ein Kriminalpolizist, es habe Versuche gegeben, die Aussagen mit Drohungen zu verhindern.

Dementsprechend muss bei gewalttätigen Übergriffen in den Gefängnissen von einer großen Dunkelziffer ausgegangen werden. Das Bayerische Justizministerium berichtet von 287 Strafverfahren gegen Häftlinge in den Jahren 2001 bis 2005. Daraus errechnet das Ministerium jährlich 1,59 Straftaten pro Gefängnis, dies sei angesichts der gewaltbereiten Klientel eine geringe Zahl.

Die Behörde räumt aber auch ein, dass die Haftanstalten in Bayern chronisch überbelegt sind: Seit Jahren fehlen etwa 1000 Haftplätze. Außerdem ist der Freistaat bundesweit das Schlusslicht, was das Zahlenverhältnis von Personal zu Inhaftierten angeht: "Auf 100 Häftlinge kommen 40 Bedienstete", sagt Anton Bachl, der Vorsitzende des Landesverbands der bayerischen Justizvollzugsbediensteten. "Das ist die schlechteste Quote aller Bundesländer."

Das Justizministerium bestätigt dies, teilt aber rechtfertigend mit: "Die knappe Personaldecke führt dazu, dass die Kosten je Hafttag in Bayern am niedrigsten sind." Für Bachl ist dies die falsche Herangehensweise. Er fordert seit Jahren mehr Personal: "Wir bräuchten 600 zusätzliche Leute im Aufsichtsdienst." Damit würde die Betreuungsquote den Bundesschnitt erreichen. Von idealen Arbeitsbedingungen würde er aber auch dann noch nicht sprechen. "Wir haben viel zu wenig Personal, die Herrschaften müssen sich aber überwacht fühlen."

Im Männerkloster

Friedhelm Kirchhoff, der Direktor der Haftanstalt Kaisheim, bestätigt Bachls Einschätzung: "Wir haben 616 Haftplätze, aber 690 Häftlinge." Damit sei er nicht zufrieden, die Überbelegung sei "eine Belastung für das Personal, die Verwaltung und die Gefangenen". Kirchhoffs Gefängnis befindet sich in einem ehemaligen Zisterzienserkloster - mit sogenannten "Sälen", in denen bis zu acht Männer untergebracht sind.

"Bei solchen Mehrfachbelegungen können automatisch rechtsfreie Räume entstehen", sagt Anton Bachl. "Wie will man in der Nacht einen Acht-Mann-Saal oder auch eine Zwei-Mann-Zelle überwachen?" Bayernweit seien 40 Prozent aller Insassen in Mehrfachzellen untergebracht, so Bachl, "darunter leidet natürlich die Sicherheit". Deshalb fordert er mehr Einzelhafträume.

Das Justizministerium reagiert: Derzeit werden die Sozialtherapieplätze für Straftäter ausgebaut sowie Neubau- und Erweiterungsprojekte vorangetrieben. Im April wurde der erste Bauabschnitt der neuen Haftanstalt Landshut in Betrieb genommen, der zweite soll 2010 fertig sein. In Gablingen bei Augsburg ist für 2012 ein neues Gefängnis geplant.

Ob die neuen Gebäude die Überfüllung der bayerischen Haftanstalten und somit die Zahl der Straftaten eindämmen werden, scheint fraglich. Denn vermutlich wird in den nächsten Jahren auch die Zahl der Häftlinge steigen: Der Sprecher der Justizvollzugsbediensteten Anton Bachl ist sich da sicher: "Immer, wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert, gibt es auch mehr Straftaten."

© SZ vom 06.12.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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