Augsburg:Sinn suchen in der Totenwelt

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Die "Körperwelten"-Schau in Augsburg bricht vorsätzlich Tabus: Die Stadtdekanin will etwas dagegensetzen.

Stefan Mayr

In Berlin demonstrieren evangelische Pfarrer im Talar gegen die Ausstellung "Körperwelten". "Gebt Toten Ruhe" forderten sie am Sonntag und erklärten: "Es empört uns, wie respektlos hier mit Tod und Endlichkeit umgegangen wird. Wir wollen den Ausstellungsbesuchern klarmachen, dass Menschen ausgestellt werden."

Gunther von Hagens. (Foto: Foto: Ap)

In Augsburg reagiert die evangelische Kirche anders. Hier will Stadtdekanin Susanne Kasch sogar eine eigene Führung durch die dortige Ausstellung veranstalten, die am Wochenende eröffnet wurde. "Die Ausstellung fasziniert, polarisiert und schockiert", sagt sie.

"Ich selbst würde mir wünschen, dass man so nicht mit Toten umgeht, aber weil es gemacht wird, müssen wir uns dem stellen. Die Leute gehen zu Tausenden da rein, auch unsere evangelischen und katholischen Gemeindemitglieder." Noch vor der Eröffnung am Samstag gab es heftige Kritik, der Diözesanrat der Katholiken sieht bewussten Tabubruch, der die "nackte Sensationslust" bediene.

Dennoch strömen die Menschen in die Ausstellung. Und deshalb will Stadtdekanin Kasch sich nicht im Protestieren ergehen, sondern handeln. Gemeinsam mit einem Mediziner will sie durch die Ausstellung gehen und erklären, dass hier Menschen stehen und keine Plastikmännchen. "Als wir das ankündigten, kamen plötzlich ganz viele Menschen auf mich zu und erzählten mir, wo sie die Ausstellung schon gesehen haben. Ich bin überrascht, dass wir die Ersten sind, die so ein Angebot machen."

Es ist dieses Schwanken zwischen Schauder und Neugier, das die Menschen in ihren Bann schlägt. Dekanin Kasch spürt es bei sich selbst. "Ich selbst bin zunächst wirklich angewidert vom Denken des Ausstellungsmachers. Aber ich bin auch neugierig. Diese Ambivalenz finde ich spannend, ihr wollen wir mit dem Verstand nachgehen und fragen, was uns so fasziniert."

Helene Freund ist eigens 430 Kilometer aus Hessen nach Augsburg gekommen, um die Ausstellung zu sehen. Sie ist Bestattungsunternehmerin und schon aus beruflichen Gründen interessiert. Sie findet das hier "informativ". Ein Besucher aus Oberfranken sagt: "Hier erkennt man das von Gott geschaffene Wunderwerk doch erst richtig."

Auf jeden Fall macht sich Ausstellungsmacher Gunther von Hagens das Entsetzen der Kirchen zunutze. Regelmäßig setzt er noch eins drauf. In Berlin will er ein totes Paar beim Sex zeigen, in Augsburg erklärte er: "Die Körperplastination wird sich als moderne Bestattungsform etablieren. Ich kratze am Alleinvertretungsanspruch der Kirche für den toten Körper." Himmel und Hölle interessierten die jungen Leute doch nicht mehr.

Zur Eröffnung hat er eine Augsburger Taxifahrerin mitgebracht, die sich als Körperspenderin zur Verfügung stellt. "So ist der Mensch noch was wert, selbst wenn er tot ist", sagt die Frau.

Dekanin Susanne Kasch würde genau hier einhaken, beim angeblichen Wert des toten Menschen. "Der Mensch ist im Wesentlichen Geist - und nicht Fleisch. Das Fleisch und die Vergänglichkeit zu verewigen und zur Schau zu stellen, ist genau das Falsche", sagt sie.

Die Ausstellungsmacher betonen stets, ihre Exponate dienten nicht der Geldmacherei durch Nervenkitzel, sondern der "gesundheitlichen Aufklärung". Allerdings erschließt sich der aufklärerische Nutzen bei manchen Exponaten nicht sofort. Zum Beispiel "Der Torhüter": Der Leichnam wurde zum seitlichen Hechtsprung drapiert, die rechte Hand greift zum Ball, die linke hält sein "Organpaket".

Das mag Sportfans ansprechen, zum Studium der Innereien gibt es aber besser geeignete Präparate, bei denen die Organe dort sind, wo sie hingehören. In der Nähe stemmt eine Männerleiche einen Frauenkörper wie im Zirkus empor - der Frau wurden alle möglichen Gelenkprothesen eingesetzt.

Doch es gibt auch Exponate, die tatsächlich lehrreich sind. Etwa die schwarze Raucherlunge neben dem gesunden Exemplar eines Nichtrauchers. Oder der Längsschnitt durch ein Raucherbein, das nach einem Arterienverschluss amputiert wurde. Das beeindruckendste Exponat ist eine fünf Meter hohe Giraffe. Ihr Herz ist so groß wie ein Medizinball. Vor dem Ausgang wirbt von Hagens' "Institut für Plastination" um weitere Körperspender. 9200 Menschen weltweit haben dafür bereits unterschrieben, 780 davon aus Bayern.

Augsburgs Stadtväter haben die "Körperwelten" in die Stadt geholt, um die Bilanz der schwächelnden Messe aufzupolieren. Deren Chef erklärte bereits in kühner Wortwahl, das Areal werde damit "mit Leben gefüllt".

© SZ vom 08.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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