Unfallgefahr:Denn sie sollten wissen, was sie tun

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Betagte Autofahrer verursachen immer wieder spektakuläre Unfälle, doch der Verkehrsminister sieht keinen Anlass für regelmäßige Gesundheitschecks.

Marion Zellner

(SZ vom 26. / 27. 7. 2003 - ) Schlagzeilen eines Sommertags im Landkreis Starnberg: "81-Jähriger rammt zwei Autos - zwei Schwerverletzte". Und: "85-Jähriger durchbricht eine Bahnschranke - zwei Schwerverletzte". Vor kurzem erst tötete ein 86 Jahre alter Autofahrer im Verlauf einer Amok-Fahrt neun Menschen auf einem Marktplatz in Santa Monica (Kalifornien). Er hatte Bremse und Gas verwechselt.

Dieser Senior unterzieht sich gerade freiwillig einer Kontrolle seiner "Fahrtauglichkeit". Das ist aber nur selten möglich, und die meisten betagten Autofahrer würden es auch nicht freiwillig wollen. (Foto: Foto: dpa)

"Von enormer gesellschaftlicher Bedeutung"

Sind alte Menschen am Steuer also eine Gefahr für die Allgemeinheit? Ein Reizthema sind sie allemal. "Aufs Autofahren zu verzichten, hieße, sich einzugestehen: 'Jetzt bin ich alt!'", so Hardy Holte, Psychologe bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt). Aber gerade für alte Menschen sei das "Auto von enormer gesellschaftlicher Bedeutung", so Holte. Es stehe für Mobilität, für hohes Selbstwertgefühl, für aktiv sein. Und: "Wer will das schon aufgeben?"

Wissenschaftlich ist freilich nachgewiesen, dass der Mensch im Laufe seines Lebens körperlich wie geistig abbaut. "Reaktionstempo, Wahrnehmung, Beweglichkeit lassen nach", sagt Matthias Graw, Professor am Rechtsmedizinischen Institut der Universität München.

Wenn mehrere Anforderungen gleichzeitig kommen

Die Folge sind vor allem Probleme bei der Aufmerksamkeitsspaltung. Das heißt, ältere Menschen können mehrere Anforderungen auf einmal kaum noch voneinander trennen, verarbeiten und dann handeln. So werde in fremder Umgebung beispielsweise oft das Autoradio abgeschaltet, teilt Rechtsmediziner Graw mit.

Betrachtet man die jüngsten Unfallzahlen des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2002, verunglücken ältere Autofahrer seltener als jüngere. Senioren kompensieren altersbedingte Defizite mit Erfahrung, meiden lange Touren, fahren selten nachts und bei schlechtem Wetter; sie fahren einfach weniger.

Dennoch steigt die Unfallhäufigkeit nach dem 75. Lebensjahr wieder an - eine "magische Altersgrenze", meint Maria Limbourg, Professorin an der Universität Essen. "Innerorts wäre maximal Tempo 30 für das Leistungstempo von Senioren angemessen", so Limbourg.

"Eingeschränktes Sehfeld"

Auch wenn alte Autofahrer auf größere Routine bauen können, verursachen sie doch ganz typische Unfälle. Häufigste Ursache sind Vorfahrtmissachtungen, die wiederum aus einem "eingeschränkten Sehfeld resultieren", so Holte. "Deshalb sind Kreuzungen kritisch. Die alten Menschen sehen andere Autos einfach nicht." Fehler passieren häufig auch beim Abbiegen.

"Nicht nur Autos, sondern auch Menschen sollten regelmäßig zum TÜV", fordert deswegen die Psychologin Limbourg, doch das Bundesverkehrsministerium in Berlin sieht keinen Grund, von einem bestimmten Alter an Arztbesuche zur Pflicht zu machen. Senioren seien im Großen und Ganzen "unauffällige Fahrer", heißt es dort.

"Drastische Maßnahmen" empfohlen

Allerdings wisse man, dass Hochbetagte ihre Fähigkeiten nicht immer richtig einschätzten. "Man muss den Leuten erklären, dass sie in ihrem Alter auch nicht mehr auf Palmen klettern", so Alfred Fuhr vom Institut für Verkehrssoziologie beim Automobilclub von Deutschland (AvD). Fuhr rät Angehörigen zu "drastischen Maßnahmen", etwa der Androhung, man fahre nicht mehr mit. Denn: "Wer einfach auf der Kreuzung stehen bleibt, ist eine Gefahr."

"Unfälle anderer, die Alte verursachen, erscheinen in keiner Statistik", bemängelt Hans-Jürgen Gebhardt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Auch er plädiert für regelmäßige Gesundheitschecks.

Bei leichten Einschränkungen könne er sich eine "Fahrerlaubnis für einen begrenzten Radius" vorstellen. Dann könnten Senioren mobil bleiben. Denn den Führerschein gäben nur die wenigsten freiwillig ab. "Das scheint wie die erste Rate zum Sterben zu sein", so Gebhardt.

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