48 Stunden im Selbstversuch:Das Leben ist wie eine Limousine

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Von der Luxuskarosse zum Billigauto und zurück: mit Maybach und Logan unterwegs im Land der Extreme

Von Gerhard Matzig

Erster Tag, 8.30 Uhr. Ich setze mich in den Maybach. Nein, ich nehme Platz, lasse mich nieder . . . nun: Man setzt sich nicht einfach so in einen Maybach. Ein Automobil, welches kein Auto und ganz bestimmt kein Personenkraftwagen ist, betritt man bitte wie einen gediegenen Landsitz.

Mindestens 363.652 Euro teurer als der Logan: Maybach (Foto: Foto: Maybach)

Der Maybach ist eine große Illusionsmaschine, hergestellt im DaimlerChrysler-Konzern. Mit Hilfe edler Hölzer und den ¸¸rundum belederten Sitzblenden, die darüber hinaus den dynamischen Anspruch der Highperformance-Luxuslimousine akzentuieren" (Maybach PR) beamt man sich in ein anderes Leben. Ein Leben mit Stallungen, Hunden, Bediensteten - wo bleibt eigentlich der Chauffeur?

Hin und her. Hin und her.

8.35 Uhr. Mein Angestellten-Traum von einer würdevolleren Existenz in einem besseren Jahrhundert ist vorbei. Meine Kinder kreischen vor Vergnügen im Maybach-Fond, der in etwa die Abmessungen und den Wert einer kleinen Stadtwohnung haben dürfte. Per Fernbedienung dirigieren sie den ¸¸blickdichten Vorhang" der Rückscheibe hin und her. Hin und her. Hin und her. Normalerweise würde ich jetzt ¸¸Ich fahre gleich dazwischen!" drohen.

Aber im Maybach wird man schnell zu einem besseren Menschen: Das Automobil als moralische Anstalt. Deshalb bin ich froh, dass wir einen bescheidenen Maybach 57 fahren. ¸¸Besonders anspruchsvolle Automobilkunden haben die Möglichkeit, den Innenraum der Highend-Luxuslimousine mit edlen Goldeinlagen und Edelsteinen noch stärker zu veredeln." Sagt die Maybach-Broschüre. Über die ¸¸individuellen Familienwappen aus Gold und Brillanten" die man ¸¸applizieren" könne, muss ich nachdenken.

11.17 Uhr. Mein Maybach steht noch auf dem Bürgersteig vor dem Kindergarten. Ich sitze im Fond. Allein. Glücklich. Passanten nähern sich. Nein, sie ärgern sich nicht darüber, dass ihnen ein in Handarbeit erbauter, erschaffener, klavierlackhafter Fahr-Salon in Schwarz-Gold mit dem ¸¸MM"-Emblem auf dem Kühler den Weg versperrt. MM - früher, 1918, hieß das: Maybach-Motorenwerke. Inzwischen, modischer und zugleich altmodischer: Maybach-Manufaktur.

Die Passanten nehmen fast Haltung an vor so viel Historie. Gute alte Zeit. Nur die Ungezogenen drücken sich die Nasen platt und erschrecken, sobald sie mich im Fond sehen. Sie halten mich sicher für einen unfassbar gelangweilten Exzentriker, der die Nähe zum Volk sucht.

Das Glasscheiben-Syndrom

11.21 Uhr. Mir fällt der Kernsatz in dem Film ¸¸Sabrina" ein, der vom Chauffeur Fairchild stammt: ¸¸Das Leben ist wie eine Limousine. Wir fahren zwar alle zusammen, aber jeder von uns hat einen Platz. Es gibt einen Rücksitz und einen Vordersitz - mit einer Glasscheibe dazwischen." In Deutschland wird es bald wieder mehr Glasscheiben geben. Klar auch, dass ich dann der Chauffeur bin. Meine Kinder und meine Frau sind zum Glück die Herrschaft.

Später am Abend wird mir meine Frau erklären, dass es den Maybach 57 (Basispreis: 370.852 Euro) auch größer gibt: als Maybach 62. Möglichst mit Glasscheibe zwischen Fond und Chauffeur. Aufpreis allein für die Scheibe: 34.200 Euro. Wieso habe ich das Gefühl, mein Platz in diesem Land könnte - wenn es hart auf hart kommt - auf der falschen Seite der Scheibe sein?

12.38 Uhr. Es regnet. Im Kofferraum finde ich einen zusammenlegbaren Picknick-Schirm, den man in die Erde drehen kann. Er ist dort befestigt, wo in jedem normalen Auto das Warndreieck hingehört. Maybachfahrer haben keine Unfälle. Das wäre unpassend und gesellschaftlich inakzeptabel.

Polizisten und Chauffeure verstehen sich

Der Dacia Logan für rund 7200 Euro (Foto: Foto: AP)

13.34 Uhr. Ich parke vor einer McDonald's-Filiale. Leider verstelle ich die Hofzufahrt der örtlichen Feldenkrais-Gruppe. Eine Frau mit roten Haaren fragt mich, ob ich mich nicht schäme. Bevor ich sie indigniert ignorieren kann, kommt ihr die Psychotherapeutin aus dem ersten Stock zu Hilfe. Sie sagt ¸¸Kapitalist. Fahr' deinen Rolls Royce weg." Ein Polizist tritt hinzu. Er sagt: ¸¸Maybach, oder?" Polizisten und Chauffeure verstehen sich. Das ist interessant.

16.30 Uhr. Auf der Landstraße nach Starnberg. Ideal-Bedingungen. An einer Ampel steht ein Porsche neben mir, der zum Ausweis seiner Witzigkeit einen Aufkleber besitzt: ¸¸My other car is a Porsche." Der Maybach hat zwölf Zylinder und 550 PS. Von Null auf 100 braucht er, trotz seiner fast drei Tonnen, nur 5,2 Sekunden. Der Porsche bleibt zurück. My other car is a Lupo, denke ich.

21.15 Uhr. Am schönsten ist der Maybach im Ruhezustand und bei Dämmerung. Heimat. Refugium. My car is my castle. Vielleicht kaufe ich mir kein Haus, sondern dieses unfassbar großartige Historien-Schauspiel. Auch wenn es von hinten in ungünstigeren Momenten ein wenig an das Produkt der unglücklichen Liebe eines Mercedes zu einem fettleibigen Delphin erinnert.

Egal: Man lebt so angenehm darin. Man ist großzügiger, lässt Fahrradfahrer heil, ist nachsichtig gegen Porschefahrer - ja, die Welt ist insgesamt etwas stiller. Etwas besser. Im Test hat bei vorsätzlich ausgedehnter Verzögerung an der Ampel nur ein einziges Auto ungeduldig gehupt: ein BMW Siebener. Natürlich. Ich habe so getan, als hätte ich es nicht bemerkt.

Jetzt aber!

Zweiter Tag, 8.30 Uhr. Ich bin immer noch der Chauffeur meiner Kinder. Aber wir fahren jetzt einen Dacia Logan - also das, gemessen an der Größe, vermutlich billigste Auto der Welt. Hergestellt in Rumänien und verkauft von Renault, kostet der Logan 7200 Euro. Dafür bekäme man in der Maybach-Manufaktur rund ein Fünftel einer Chauffeur-Trennscheibe. Auf den Maybach muss man sehr, sehr lange warten - auf den Logan auch. Es heißt, dass es in Deutschland nur noch den absoluten Luxus und die absolute Billigkeit gibt. Da ist was dran.

Auf der einen (Maybach-)Seite haben wir also so etwas wie pneumatisch einstellbare Luftkissen, Gegensprechanlage oder Klapptische im Fond. Und auf der anderen (Logan-)Seite so etwas wie den perfekten automobilen Purismus, eine Art fahrbares ¸¸Less is more"-Gefühl.

9.30 Uhr. Dass der Logan keine elektrischen Fensterheber hat, ist ja eh klar. Aber wo sind dann die Kurbeln?

Wahrer Adel?

9.35 Uhr. Ich bin schon dabei, zu akzeptieren, dass der Logan aus preispolitischen Gründen keine Fenster zum Öffnen, sondern nur Festverglasung hat, da finde ich die Knöpfe der Fensterheber an der Mittelkonsole. Überraschung. Und auch Servolenkung oder Zentralverriegelung gäbe es gegen Aufpreis. Aber bedeutet wahrer Adel nicht auch Verzicht? Askese? Ist der Logan so gesehen nicht der bessere Maybach?

10.17 Uhr. So einfach ist das alles nicht. Auf der Autobahn nach Passau. Richtung Schloss Freudenhain. Freie Fahrt für sparsame Bürger. Der Bordcomputer (!) behauptet, dass der Logan gerade knapp 16,0 Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Zugegeben: ordentlich durchgetreten. Der Maybach kommt theoretisch im Schnitt mit 15,9 Liter aus. Vielleicht wurde das im Leerlauf gemessen.

Während ich noch über die Frage nachdenke, ob Luxus und Sparsamkeit nicht einfach eine Frage von Exzess und Zurückhaltung sein könnten, werde ich geblitzt. Zu schnell gefahren - mit 75 PS.

Schwellenland

14.36 Uhr. In Passau stelle ich das Auto vor der Uni ab. Ungünstig, wie ich sogar selbst finde. Passanten nähern sich. Nein, sie ärgern sich nicht über das Auto, das ihnen den Weg verstellt, obwohl es für Schwellenländer erfunden wurde.

Jemand fragt nach dem Preis. Ich antworte wahrheitsgemäß: ¸¸363.652 Euro weniger als der Maybach." Einer sagt: ¸¸Ist auch viel purer, so vom Design." Merkwürdig: Sonst ist das Nichts immer viel teurer als das Alles.

18.55 Uhr. Auf Schloss Freudenhain bin ich zu einem Empfang geladen. Das gilt auch für Erwin Huber, den Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. Auf der Schlosszufahrt stehen schon die üblichen dunklen BMWs herum. Ich werde mit den Worten empfangen, ich möge doch meinen Wagen (korallenrot) ¸¸bitteschön irgendwo dort hinten" parkieren.

Ich antworte so arrogant wie möglich ¸¸My other car is a Maybach." Wirklich unglaublich, dieses Land. Irgendwie ist es auch ein Schwellenland. Aber die Schwellen sind Scheiben. Sehr, sehr teure Scheiben.

© SZ vom 30. 07. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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