Sicherheit von Reisebussen:Kein Vorwurf an die Technik

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Kaum zu glauben: Trotz der schweren Unfälle in jüngster Zeit halten Experten moderne Reisebusse für das sicherste Verkehrsmittel. Das große Risiko ist: der Mensch.

Marion Zellner

Die schrecklichen Bilder sind noch lange nicht vergessen - ein Reisebus aus Nordrhein-Westfalen war vor knapp drei Wochen auf der Autobahn A 14 in Sachsen-Anhalt durch die Leitplanke gebrochen und einen Abhang hinuntergestürzt; 13 Menschen starben, 36 wurden teils schwer verletzt. Wenige Tage später kippte ein deutscher Reisebus in Tirol mehr als 40 Meter in die Tiefe - ein Mensch starb, fünf Personen erlitten schwere Verletzungen.

Tragisch: das Busunglück von Sachsen-Anhalt. (Foto: Foto: dpa)

Statistisch richtig

Zwei Unglücksfälle innerhalb kürzester Zeit, die erneut eine laute Debatte über die Sicherheit von Bussen auslösten. Für Martin Kaßler vom Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) die völlig falsche Diskussion, denn: "Das waren keine Busunfälle, sondern Unfälle, die von Lkw ausgelöst wurden." Tatsächlich fuhr beim ersten der beiden aktuellen Crashs ein Lastwagen offenbar ungebremst auf den Bus auf, der an einem Stauende stand und versetzte ihm dadurch den folgenschweren Stoß. Im zweiten Fall wurde der Omnibus von einem ins Schlingern geratenen Laster von der Straße gedrängt.

"Der Reisebus ist das sicherste Verkehrsmittel", sagt Markus Egelhaaf, der bei der Dekra-Unfallforschung arbeitet. Und statistisch gesehen ist das richtig: Im vergangenen Jahr starben zwölf Buspassagiere; im gleichen Zeitraum aber verloren 2683 Pkw-Insassen bei Unfällen ihr Leben. Nichtsdestotrotz ist die Sensibilität der Öffentlichkeit groß. Ein Grund ist das Bus-Klientel - oft Schüler, deren Eltern sich Gedanken über Sicherheit machen, und Senioren. "Deshalb ist für Busunternehmer die Sicherheit heute ein echtes Verkaufsargument", so Egelhaaf.

Konstruktiv hat ein moderner Bus eine selbsttragende Karosserie und besteht im Wesentlichen aus einem Gitterrohrrahmen mit Blechbeplankung. Obendrein "tragen auch die Fenster zur Statik des Busses bei", erklärt Lutz Fügener, der als Professor an der Fachhochschule Pforzheim lehrt und auch Busse designt. Für ihn ist es eine große Herausforderung, "einem Schuhkarton gutes Aussehen zu verleihen".

Das Gewichts-Problem

Kein leichtes Unterfangen, denn das größte Problem bei Bussen ist die Gewichtsgrenze - ein Zweiachser darf maximal 18 Tonnen wiegen, bei drei Achsen gelten höchstens 25 Tonnen. So muss sich alles, was in einem Bus verbaut wird, in der Summe danach richten. Optimierungsmöglichkeiten sieht Fügener bei neuartigen Materialien wie Verbundstoffen, "auch die Zulieferer von Motoren oder Getrieben konstruieren immer leichtere Teile".

Alle neuentwickelten, einstöckigen Busse müssen seit dem Jahr 2005 verpflichtend nach der EU-Norm ECE-R 66 gecrasht werden; die meisten der deutschen Bushersteller crashen bereits seit Anfang der neunziger Jahre nach diesem Muster, das sie selbst weiterentwickelt haben. Die Norm verlangt, dass der Bus von einem 80 Zentimeter hohen Podest auf die Dachkante kippt. Dabei wird geprüft, wie groß der Überlebensraum für die Passagiere ist. Allerdings muss es sich laut Markus Egelhaaf dabei nicht um einen kompletten Bus handeln; es reicht eine Struktur mit eingebauten Sitzen oder eine Simulation, um die Typgenehmigung zu erlangen. Für Doppeldecker ist laut Unfallforscher Egelhaaf der Crash nicht vorgeschrieben.

Die Kippversuche zeigen auch immer wieder, dass der Zweipunktgurt entscheidend für die Sicherheit der Passagiere ist, so Egelhaaf: "Schließlich beträgt die Fallhöhe im Ernstfall gut zwei Meter." Er räumt aber ein, dass es auch kritisch sein könne, wenn man kopfüber im Gurt hänge und nicht aus dem Sitz komme. Eine solche Situation setze eine schnelle Rettung voraus, sonst drohe der Hängetod. Seit 1999 gilt in Deutschland die Angurtpflicht in Reisebussen, auf die der Fahrer vor dem Start hinweisen muss. "In vielen Bussen sind auch Aufkleber angebracht, es gibt Bordvideos und Informationskarten wie im Flugzeug", so bdo-Sprecher Martin Kaßler.

Konstruktiv verleiht der Gitterrohr-Rahmen einem Bus seinen grundsätzlich hohe Stabilität. (Foto: Foto: oh)

Unumstritten hilfreich ist der Zweipunktgurt, wenn der Bus einen Frontalzusammenstoß oder Auffahrunfall hat und die Passagiere nach vorne katapultiert werden. Denn bei allen Bussen muss die Rückenlehne als weiches Element konstruiert werden, so Designer Fügener. Für den Fahrer und den Reiseleiter in der ersten Reihe sieht das allerdings ganz anders aus. Denn laut Fügener haben Busse keine energieabsorbierenden Elemente in oder hinter den Stoßfängern: "Die Energie wird auf den ersten Metern des Busses abgebaut. Allein deshalb wäre ich anstelle des Fahrers immer hellwach."

Crashtests keine Pflicht

Crashtests für solche Unfallszenarien sind, anders als bei Pkw, für Busse nicht verpflichtend. Doch wäre man "einer sinnvollen Vorschrift für einen solchen Test nicht abgeneigt", meint Richard Averbeck. Der Leiter der Entwicklung im DaimlerChrysler-Geschäftsbereich Omnibus berichtet, dass "man bereits im Gespräch mit verantwortlichen Stellen ist".

Derzeit setzen sich Systeme durch, die helfen sollen, Unfälle zu verhindern. Dazu gehört der Dauerbremslimiter (DBL), der es unmöglich macht, schneller als 100 km/h zu fahren. "Damit kann auch bei Bergabfahrten, ob absichtlich oder unabsichtlich, nicht mehr schneller gefahren werden", so Averbeck. Zudem bietet DaimlerChrysler den Abstandsregeltempomat (ART) an, der das Fahrtempo an die Verkehrssituation anpasst; verringert sich der Abstand zum Vordermann, verlangsamt der Bus automatisch.

"20 bis 40 Prozent unserer Kunden bestellen ART", weiß Averbeck. Das System kostet 2000 bis 3000 Euro Aufpreis, etwa ein Zehntel des Preises eines Reisebusses. "Wir sind froh, dass so viele deutsche Unternehmen dieses Sicherheitssystem ordern, im Ausland sind es nur etwa zehn Prozent", so Averbeck.

Aber alle Experten sind sich mit Markus Egelhaaf einig: "Wenn ein Fahrzeug abgedrängt wird und aufs Dach fällt, ist jede Konstruktion an ihrer Grenze; das gilt für Busse wie für Pkw."

© SZ vom 7.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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