Rover 600:Verschnaufpause einlegen

Auf Honda-Basis und zu Preisen von 30 000 Mark an aufwärts

(SZ vom 10.07.1993) Wie macht man aus einem ordentlichen japanischen Auto ein außerordentliches englisches Auto? Ein Klacks war das nicht für Geoff Upex, Chefdesigner bei Rover. Selten waren die Gestalter so eingeengt wie im Falle der Rover-Serie 600. Einfach ausgedrückt, mußten die Briten aus dem gerade angelaufenen Honda Accord einen Rover 600 machen.

Doch weil von Anfang an klar war, daß der neue - in Europa gebaute - Accord auf zwei Säulen stehen sollte, arbeiteten die Designer von Rover und Honda vom ersten Zeichenstrich an zusammen. Verglichen mit dem Honda ist der Rover ein richtig aufregendes Auto. Dahinter steckt eine wohlkalkulierte Taktik. Mit dem Accord als unauffälligem Massenauto erreicht Honda den Großteil der Kunden in der oberen Mittelklasse, mit dem exklusiv angehauchten 600 zusätzlich eine Klientel von Individualisten, die nie ein japanisches Auto kaufen würden oder schon immer ein englisches haben wollten.

Gedient ist damit beiden Unternehmen, denn viele Teile werden in einer Fabrik gefertigt und dann an beide Endmontagewerke verteilt. Motoren und Getriebe kommen aus dem neuen Honda-Werk in Swindon, 20 Meilen vom Rover-Werk Cowly entfernt. Entwicklung, Crashtests und Fertigungskosten verteilen sich auf zwei Firmen. Das senkt die Einstandskosten für den einzelnen. Denn unter der Karosserie-Außenhaut sind Rover 600 und Honda völlig identisch. Das soll den Kunden zugute kommen. Wenn die 600er im Herbst bei den deutschen Händlern stehen, sollen sie zwischen gut 30 000 und knapp 50 000 Mark kosten.

Ein Kühlergrill mit einem breiten Chromrand markiert das neue (alte) Rover-Gesicht. Die Motorhaube und die vorderen Kotflügel sind, dem höheren Grill angepaßt, stärker gewölbt als beim Zwillingsbruder Accord. Auch Scheinwerfer, Blinker und Stoßstange mußten entsprehend anders gestylt werden. Von vorn gesehen, erscheint der Rover 600 britisch vornehm. Das Heck ist den englischen Formkünstlern ebenfalls gelungen. Eine Abrißkante am Kofferraumdeckel erinnert ein wenig an BMW. Sie verleiht dem Hinterteil, unterstützt von den Rückleuchten im Hochformat, etwas Leichtes. Innen blieb weniger Spielraum für Extratouren. Das niedrige Armaturenbrett mit übersichtlichen Instrumenten erhielt Verzierungen aus Nußbaumholz und eine offene Ablage mit Antirutschbelag. Die Stoffe auf den Sitzen, an den Türen und Wänden sind zurückhaltend britisch gemustert. Harris-Tweed gibt es nicht einmal gegen Aufpreis. Mit ganz besonderem Stolz weisen die Rover-Leute auf die blitzblank polierten Edelstahlblenden mit eingravierter Typenbezeichnung auf den Türschwellen hin.

Drei Modelle kommen zunächst nach Deutschland. Bereits der einfachste Rover 620i hat zum Schutz bei einem eventuellen Seitenaufprall Barrieren in den Türen, eine geschwindigkeitsabhängige Servolenkung, elektrisch einstellbare Außenspiegel und elekrische Fensterheber vorn, eine Zentralverriegelung sowie eine Alarmanlage mit Zündsperre serienmäßig. Sein Motor, ein 2,0-l-Vierzylinder, leistet 86 kW (115 PS), und er soll 197 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen und den Spurt auf Tempo 100 in 10,8 Sekunden schaffen.

Im Rover 620 Si steckt ebenfalls ein 2,0-Liter-Vierzylinder, jedoch mit einer anderen Nockenwelle, höherer Verdichtung und modifizierter Motorelektronik. Er leistet 100 kW (136 PS). Für die Beschleunigung von Null auf 100 km/h werden 10,2 Sekunden, für die Höchstgeschwindigkeit 200 km/h angegeben. Neben mehr Motorleistung bietet der 620 Si unter anderem edlere Sitzbezugsstoffe, eine geteilt klappbare Rücksitzlehne, vier elektrische Fensterheber.

Zusätzlich gibt es gegen Aufpreis (der noch nicht feststeht) eine Vierstufen-Automatik. ABS wird (in England) unsinnigerweise nur zusammen mit elektrischem Schiebe-/Hubdach, Lederpolster, Lederlenkrad, elektrisch verstellbarem Fahrersitz, Holzeinlagen in der Mittelkonsole, Teppichboden und Leichtmetall-Rädern verkauft. Im Spitzenmodell, dem Rover 623 Si, arbeitet ein 2,3-l-Vierzylinder mit 116 kW (158 PS). Bis auf Fahrer-Airbag, Klimaanlage und derViergang-Automatik ist aller Luxus serienmäßig.

Mit der 600er-Baureihe begibt sich Rover in die gehobene Mittelklasse und trifft dort allerdings auf etablierte, deutsche Konkurrenz mit Namen wie Audi oder BMW. Die Engländer räumen ein, daß kaum Kunden einen Rover 620 anstelle eines 3er-BMW kaufen werden. Doch wer den Weg vom Opel Vectra zum BMW nicht mit einem Schritt gehen kann, der kann beim Rover 620 eine Verschnaufpreise einlegen, so hoffen sie.

Nach den ersten Fahreindrücken dürften die Kunden zufrieden sein, obwohl der Rover 620 Si nichts wirklich Besonderes bietet. Sein Motor läuft leise und ohne lästige Vibrationen. Die Federungsabstimmung ist ein gelungener Kompromiß. Gelegentlich wankt der Rover 620 Si um seine Längsachse, manche Schlaglöcher und Querfugen schlagen heftig nach innen durch. Die Qualität der Verarbeitung macht allerdings einen ordentlichen Eindruck.

Von Peter Behse

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