Navigationssysteme:Die Welt ist doch eine Scheibe

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Immer mehr Autofahrer vertrauen auf die Himmelssignale. Und die werden immer vertrauenswürdiger, sprich präziser.

Vin Ulrich Bethscheider-Kieser

Manchmal gibt es sie noch - die kiloschweren, farbigen Straßen-Atlanten unter dem Fahrersitz oder - gefährlicherweise - hinten auf der Hutablage. Doch immer häufiger vertrauen Autofahrer unterwegs nicht mehr auf die bewährte Landkarte, sondern auf ein modernes Navigationssystem.

Mit der Hilfe von 24 die Erde umkreisenden Satelliten und digitalisierten Karten lotsen diese die Autofahrer zum Ziel, oft sogar exakt zur richtigen Hausnummer. Heute nutzen rund vier Millionen Autofahrer in Westeuropa die elektronischen Pfadfinder, Ende 2005 sollen es nach Expertenschätzungen bereits zehn Millionen sein.

Begeisterte Deutsche

Besonders groß ist die Begeisterung für Navigationssysteme in Deutschland: Die Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu) erwartet, dass in diesem Jahr bei uns 680.000 Navigationsgeräte verkauft werden, 21 Prozent mehr als 2003. Damit erreicht Deutschland am gesamteuropäischen Markt einen Anteil von 39 Prozent und ist die Nummer 1.

Während Mitte der 90er Jahre ein Navigationsgerät noch gut und gerne 8000 Mark kostete, bewegt sich heute der Durchschnittspreis um rund 1500 Euro, preisgünstige Einsteigergeräte sind schon für 600 Euro zu haben. Und der Discounter Aldi bewarb kürzlich ein Navigationsgerät für den Radioschacht zum Kampfpreis von 499 Euro zuzüglich 49 Euro Einbaupauschale.

Die fallenden Preise gehen mit kräftigem Marktwachstum einher: Seit 1998 hat sich nach Erkenntnissen der Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) beim Neuwagenkauf die Erstausstattung mit Navigationssystemen versiebenfacht, die Nachrüstung bei älteren Fahrzeugen ist gleichzeitig um mehr als das Vierfache gestiegen. Wolf-Henning Scheider, Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing bei Blaupunkt: "Jetzt kommt es darauf an, die Navigation für jedermann zu realisieren."

Ziel untere Mittelklasse

Das bedeutet, Navigationssysteme auch in den kleinen Fahrzeugklassen heimisch zu machen. In Autos wie Mercedes E-Klasse, Audi A6 oder BMW Fünfer ist jeder zweite Neuwagen mit einem elektronischen Lotsen ausgestattet, bei VW Golf, Opel Astra oder Ford Focus sind es erst gut fünf Prozent.

Blaupunkt hat sich zum Ziel gesetzt, die Ausrüstungsrate in der unteren Mittelklasse in den kommenden Jahren zu verdoppeln - sowohl über die Erstausrüstung wie auch über den Fachhandel für Zubehör. Das Unternehmen sieht sich als Wegbereiter der Autonavigation. Bereits 1978 hatte die Bosch-Tochter erste Patente zur Fahrzeug-Navigation angemeldet. Fünf Jahre später präsentierte das Unternehmen mit dem Prototyp EVA, dem "Elektronischen Verkehrslotsen für Autofahrer", den weltweit ersten Navigator für den Straßenverkehr; das erste serienreife System brachte Blaupunkt 1989 auf den Markt.

Immer kompakter

Um heute vor allem der Nachrüstung Vorschub zu leisten, hat Blaupunkt mit dem Travel Pilot E1 ein Navigationsgerät auf den Markt gebracht, das in jeden Radioschacht eines Autos passt und für 700 Euro den Autofahrer zum Ziel führt. Auch bei Harman/Becker setzt man auf kompakte Radio-Navigationssysteme; so wurde die Baureihe DTM Highspeed kürzlich mit einem größeren Arbeitsspeicher bestückt.

Dort wird die berechnete Route abgelegt, so dass das CD-Fach im Gerät wieder zum Abspielen von Musik-Silberlingen genutzt werden kann. Wie bei vielen anderen Geräten auch, können Stauinformationen, die über TMC (Traffic Messaging Channel) von den Radiosendern empfangen werden, in die Routenplanung einbezogen werden. Damit ist das Radio-Navigationsgerät in der Lage, auf gemeldete Staus zu reagieren und bei Bedarf eine Ausweichroute zu berechnen. Die Software der Becker-Navis zeigt sogar Tempolimits auf der Strecke an, sofern diese langfristig bestehen und somit erfasst werden konnten.

Aber: Wie gut ist die Karte?

Wie gut ein Navigationssystem arbeitet, hängt nicht nur von der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Elektronik, sondern maßgeblich von den digitalisierten Karten ab. Während auf den derzeit meist benutzten CD-Roms nur die Daten des deutschen Straßennetzes und bestenfalls die wichtigsten europäischen Routen abgespeichert sind, bieten modernere DVD-Systeme das gesamte europäische Straßennetz.

Weil immer wieder Verkehrsführungen geändert oder neue Straßen gebaut werden, sollte im Idealfall spätestens nach eineinhalb Jahren die CD des Navigationssystems gegen eine aktualisierte Version ausgetauscht werden - was etwa 180 bis 200 Euro kostet.

Um diesen Kostenfaktor zu reduzieren, hat sich VDO Dayton ein spezielles System ausgedacht. Beim C-IQ-Konzept, das für verschiedene Navigationsgeräte des Herstellers angeboten wird, bekommt der Kunde kostenlos einen kompletten Europa-Datensatz mit mehr als sechs Millionen Straßenkilometern und bis zu 1,3 Millionen speziellen Zielen - so genannte Points of Interest (POI) - in 23 Ländern.

Permanent aktualisiert

Um die Karten zu nutzen, braucht der Autofahrer einen Zugangscode, den er vom Händler oder auf der Website von VDO Dayton erhält. Diese Codes werden für einzelne Länder, einzelne Tage, Monate oder das gesamte Jahr angeboten; so können Autofahrer den Inhalt, Umfang und die Nutzungszeit der Navigationsdaten flexibel bestimmen und bezahlen nur für die Informationen, die tatsächlich benötigt werden. Für einen Tag kostet die Navigation 2,99 Euro, europaweit 7,99 Euro; das Jahres-Abo für Deutschland schlägt mit 89 Euro zu Buche. Vorteil: Die CDs werden ständig aktualisiert.

Auch wenn die Navigation im Auto nach und nach zum Standard wird, stehen neue technische Herausforderungen bevor. Schon im Jahr 2007 werden nach Brancheneinschätzungen in der Hälfte des deutschen Fahrzeugbestandes die elektronischen Komponenten über so genannte Bussysteme vernetzt sein. Auf diese moderne Form der Datenübertragung wird sich insbesondere die Nachrüstung mit mobiler Kommunikation einstellen müssen.

Neue Form der Datenübertragung

Während bislang für den nachträglichen Einbau von Navigationsgeräten Einbaurahmen und Kabelsatz, allenfalls noch ein Adapter genügten, wird in Zukunft immer häufiger eine Schnittstelle zum Bussystem vonnöten sein - sei es, um für die Navigation auf das Tachosignal des Fahrzeugs zuzugreifen oder um die Lenkrad-Fernbedienung für das Gerät zu nutzen.

Bis dahin werden die Navigationssysteme weiterhin die Cockpits erobern - und sei es nur als mobile Lösung. Praktische Pocket-PCs, die sich mit der entsprechenden Software, Halterungen und GPS-Empfänger zum elektronischen Lotsen verwandeln, gibt es mittlerweile bei Discountern oder Kaffeeröstern für 400 Euro (siehe auch Artikel "Pfadfinder im Taschenformat").

Der alte Straßenatlas hat also längst Konkurrenz. Ihn dennoch im Auto zu haben, vermittelt aber immer noch ein gutes Gefühl.

© Süddeutsche Zeitung, 22. Juni 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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