Motorrad-Event: Romaniacs:Draculas Rache

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Sieben Tage lang quer durch Rumänien, 1300 Kilometer, und nur wenige davon führen über gängiges Geläuf - bei der Romaniacs wird Endurofahren zur Qual.

Thomas Becker

Es sind die Hände. Selbst unter den Motorrad-Handschuhen trägt Cyril Despres noch dicke Tape-Verbände. Und als er am Abend auch diese abnimmt, wird der Blick frei auf eine Kraterlandschaft aus Blutblasen, Hautfetzen und Hornhautrudimenten, ein einziges Handinnenflächenmassaker.

Da ist der 32-jährige Franzose unter Schmerzen schon ausgeschieden. Hat klar in Führung liegend das Rennen aufgegeben, das er schon zwei Mal gewonnen hat: die Red Bull Romaniacs, den wohl härtesten Enduro-Wettkampf überhaupt.

"Das ist nicht euer Ernst!"

Sieben Tage lang quer durch Rumänien - 1300 Kilometer, und nur wenige davon führen über gängiges Geläuf. Meistens ging es über Stock und Stein, was allerdings zu niedlich klingt. An vielen Stellen fragten sich Zuschauer und auch manch Fahrer: "Hier mit dem Motorrad lang? Das ist nicht euer Ernst!"

Ist es doch. Eigentlich ein Wunder, dass von den 85 Teilnehmern 61 heil ins Ziel kamen und keiner dem Veranstalter und Erfinder des Höllenritts an die Gurgel ging.

Martin Freinademetz heißt der Mann mit dem Hang zum Sadismus: 36, Innsbrucker und zweifacher Snowboard-Weltmeister. Ein wilder Hund - dunkler Schnauzer, das Resthaar zum langen Zopf gebündelt, meist mit nacktem Oberkörper auf der Enduro.

Monatelang war er unterwegs, um eine möglichst hundsgemeine Route für seine geliebte Enduro-Familie zu basteln, die ja eher dem Masochismus zuneigt.

Und das ist ihm gelungen, glaubt man den Teilnehmern, die ihn wohl tausendmal verflucht haben, aber dann doch mit einem erschöpften, glücklichen Grinsen im Gesicht über die Ziellinie fuhren - viele Stunden nach dem Sieger Michel Gau aus Frankreich.

Von Bukarest ging es durch die Walachei, in die Karpaten, durch Transsylvanien, in die ehemalige Bergarbeiterstadt Petrosani, zu den Thermal-Schwefelbädern von Baila Herculane, bevor in Sibiu, nach einem spektakulären Showdown die Zielflagge wartete.

Freinademetz' Frau Siegi stammt von hier. Seit Jahren organisieren die beiden Enduro-Touren durch Rumäniens Berge und Wälder. Bis sie vor drei Jahren auf die Romaniacs-Idee kamen: drei Wertungsklassen, wobei nur die Profis allein auf die Strecke geschickt werden; Amateure und Hobbyfahrer gehen als Duo ins Rennen, denn manche Passagen sind alleine nicht zu schaffen.

Zum Beispiel dieses Waldstück in Bran. Ein Kontrollpunkt auf einem lauschigen Campingplatz am Fluss. Keine hundert Meter entfernt: Schloss Dracula. Nach mehrstündigem Ritt durch regennasse Wälder machen die Fahrer kurz Station, bevor es eine irrwitzige Steigung zu bewältigen gilt.

Mitten durch den Wald, über dicke Wurzeln und so steil, dass Fußgänger selbst auf allen Vieren Mühe haben. Unmöglich, hier Motorrad zu fahren, denkt der Laie, krallt sich irgendwo am Baum fest und denkt: Na, hier werde ich ja wohl kaum im Weg stehen.

Pustekuchen! Als Cyril Despres mit seiner KTM 250 EXC durchs Gehölz bolzt, steht der Laie so genau im Weg, dass er eine satte Ladung Erdreich vom Hinterrad ins Gesicht bekommt - und Glück hat, dass keiner der handballgroßen Steine dabei war.

Ein paar Meter weiter ist dann aber auch Cyril auf Helferhände angewiesen, die ihm die 120 Kilo schwere Maschine über die Felsen zerren. Später stürzt hier oben der Südafrikaner Darryl Curtis von seinem Gerät und meint: "Crazy Martin, there is something wrong in his head."

Drei Frauen am Start

So geht das eine Woche lang: das GPS-Gerät verlieren, die Benzinstation nicht finden, fluchen - und trotzdem weiterfahren. Mit dabei sind auch drei Frauen: die Wienerin Lisi Mucha, die trotz gebrochenen Zeigefingers durchhält, und das schottisch-deutsche Hobby-Team Liz Millett/Christina Meier.

Vergangenes Jahr war die Hamburgerin noch als Service-Frau am Start, nun sitzt sie selbst auf einer schweren 400er. Der erste Tag hat der 34-Jährigen gleich einiges abverlangt.

Der Hindernis-Parcours auf dem fünf Fußballfelder großen Betonfundament der von Diktator Ceausescu vor 20 Jahren geplanten Oper hat es in sich: Sprungschanzen, Reifenstapel, Treppenstufen, eine Wackelbrücke, diffiziles Gelände.

Gut, dass es bei manchen Passagen die Chicken Line gibt, eine einfacher zu bewältigende Umfahrung. Danach geht es im Polizei-Corso raus aus der 2,5 Millionen-Stadt, rein ins Gelände. In der ersten hüfttiefen Pfütze säuft die Maschine ihrer Partnerin ab: Startautomatik defekt.

Erst nach Mitternacht kommen die beiden in Sinaia an, sind unzählige Male im Graben gelandet, haben blaue Flecken gesammelt und sich am Schluss gegenseitig abgeschleppt. Immerhin haben sie die Bärenfamilie verpasst, die sich vor dem Hotel rumgetrieben hatte. Vielleicht besser so.

Die Nacht ist kurz, morgens um sieben geht es schon weiter durch den transsylvanischen Nebel: vorbei an zotteligen Hirtenhunden, Schaf- und Ziegenherden, Wildpferderudeln, durch tückische Flussbette und rutschige Waldpassagen, über wunderschöne Gras-Hochebenen.

Trotz all der Anstrengungen behält Tina Meier dieses schwärmerische Leuchten in den Augen, das sie schon wieder an einen Start im nächsten Jahr denken lässt. Im richtigen Leben arbeitet sie als Teilzeitkraft im Finanzamt: "Ich verblase hier gerade meine Altersversorgung. 10.000 Euro im Jahr kostet mich der Spaß bestimmt." Egal, die nächste Touareg-Tour ist schon fest geplant.

Nichts für Zimperlieschen

Cyril Despres, der Mann mit den maladen Händen, verdient sein Geld auf der Enduro. Die Startnummer eins hat vergangenes Jahr die Rallye Dakar gewonnen und kam nach Bukarest direkt von einer 5000-Kilometer-Rallye aus Brasilien, die er mit gebrochenem Arm bestritt und bei der ein Freund ums Leben kam. Zimperlich darf man nicht sein in diesem Job.

Man muss auch seine Grenzen erkennen können. Und entsprechend handeln. Wie die Nummer eins.

© SZ vom 15.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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